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Der Weg zum Standrecht

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Wie es zu den Todesurteilen des Februar 1934 kam, enthüllen die kürzlich im Druck vorgelegten Protokolle des Ministerrats.

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Wie es zu den Todesurteilen des Februar 1934 kam, enthüllen die kürzlich im Druck vorgelegten Protokolle des Ministerrats.

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Sommer 1933. Österreichs Regierung sieht sich von rechts wie von links angegriffen und glaubt, dieser Gefahr nur mit Härte entgegnen zu können. Nur die Wiedereinführung der Todesstrafe könnte dem Terror entgegenarbeiten.

Zunächst ist nur der Terror von rechts gemeint, der zunächst — vorübergehend — auch schlagartig nachläßt, als der Henker droht. Vizekanzler Fey lenkt als erster den Blick nach links — und nach dem Februaraufstand sind es acht Schutzbündler, die die ersten Opfer des Standrechts werden.

In den Protokollen des Ministerrats ist diese Entwicklung zu verfolgen:

Als am 19. Juni 1933 in der Nähe von Krems eine Assistenzkompanie christlich-deutscher Turner mit Handgranaten beworfen wird und7 Schwerverwundete liegenbleiben, tritt der Ministerrat sofort zusammen.

Heeresminister Carl Vaugoin berichtet, „das neuerliche feige Attentat sei zweifellos abermals ein Werk nationalsozialistischer Parteigänger und lege der Regierung die Verpflichtung auf, gegen die Partei nun mit der allergrößten Schärfe vorzugehen, wenn sie es nicht dahin kommen lassen wolle, daß die Bevölkerung ... zur Selbsthilfe greife..."

Sicherheitsminister Emil Fey regt darauf „die Einführung der Todesstrafe als das wirksamste Abschreckungsmittel an."

Diese könne jedoch, wie Justizminister Kurt Schuschnigg meint, „nicht im Weg einer Verordnung eingeführt werden, sondern hätte die Verhängung des Standrechts zur Voraussetzung ..."

Noch ist es nicht soweit. Am 3. Oktober schießt ein ehemaliger Bundesheerangehöriger im Parlament auf Bundeskanzler Engelbert Dollfuß, am 10. November legt Schuschnigg dem Ministerrat die Verordnung über die Einführung der Todesstrafe im Weg des standrechtlichen Verfahrens vor. Er führt (im Protokoll in indirekter Rede wiedergegeben) aus:

„Nach Artikel 85 BVG sei in Österreich die Todesstrafe im ordentlichen Verfahren abgeschafft, dagegen bestehe sie in allen umliegenden Staaten und sei als eine notwendig empfundene Ahndung gewisser schwerer Verbrechen selbst dort eingeführt worden, wo sie früher nicht bestanden habe... § 437 der Strafprozeßordnung schreibe ... vor,. daß nur solche Personen vor das Standgericht gestellt werden, welche... auf der Tat ergriffen worden seien... Werde der Beschuldigte einstimmig für schuldig erklärt, so habe das Standgericht sogleich auf die Todesstrafe zu erkennen..."

Fey ergänzt, man habe bisher aus Rücksicht auf den Fremdenverkehr von der Verhängung des Standrechts Abstand genommen. „In der letzten Zeit zeige sich aber eine ungeheure Belebung der staatsfeindlichen Tätigkeit, nicht nur von seiten der Nationalsozialisten, sondern auch von Seite der Sozialdemokraten und Kommunisten."

In der sozialdemokratischen Partei habe sich „innerlich eine Spaltung vollzogen, und die radikale Richtung, die mit den Kommunisten gemeinsame Sache mache und für die Anwendung kommunistischer Kampfesmethoden eintrete, habe die Oberhand gewonnen ..."

Die Umtriebe der Sozialdemokraten seien ... „gefährlich, weil die Nationalsozialisten das Schlagwort ausgegeben hätten, jede durch Demonstrationen oder Streiks der Sozialdemokraten hervorgerufene Unruhe für ihre Zwecke auszunützen, um die Situation bis zu einem regelrechten Aufstand zu treiben ..."

Im ersten Ministerrat des neuen Jahres, am 8. Jänner 1934, erwähnt Dollfuß seine Bemühungen, in einem Gespräch mit dem Landesinspektor der NSDAP, Theo Habicht, „zu einer Klärung des Verhältnisses zwischen Österreich und Deutschland" beizutragen.

„Trotzdem habe man gerade diese Zeit benützt, um in einer noch nicht dagewesenen Intensität Österreich durch Terrorakte in Atem zu halten. Wenn alle diese Bereitschaft als Schwäche gedeutet werde und zu einer ... Gefährdung der politischen Situation führe, so könne die Regierung diesem Treiben nicht tatenlos zusehen..."

Dann aber, am 12. Februar 1934, tritt der Ministerrat am Abend zu einer außerordentlichen Sitzung zusammen, um über die Vorgänge des Tages zu beraten.

Vizekanzler Fey erklärt, es sei schon vor einiger Zeit festgestellt worden, daß innerhalb der Sozialdemokratischen Partei irgendeine Aktion vorbereitet würde. Die Partei befinde sich noch im Besitz großer Mengen von Sprengmitteln und Waffen und habe noch weitere Sprengmittel aus der Tschechoslowakei beschafft.

Fey berichtet über den Verlauf der Kämpfe in Linz und Wien. Das Protokoll: „Seitens der Sicherheitsdirektoren sei... das Standrecht wegen des Verbrechens des Aufruhrs verhängt worden. Es sei selbstverständlich Auftrag gegeben worden, die

Standgerichte überall zu aktivieren und die auf frischer Tat ertappten Aufrührer diesem Gericht einzuliefern..."

Vier Tage später zieht der Ministerrat Bilanz über die Niederschlagung des Aufstands. Schuschnigg berichtet von den bereits durchgeführten Standgerichtsverfahren gegen Münichreiter und Weißel, drei weitere Todesurteile in Wien und St. Pölten seien noch nicht exekutiert, doch halte er in allen drei Fällen eine Begnadigung nicht für vertretbar.

In der Steiermark stehe die Ergreifung des Schutzbundführers Wallisch unmittelbar bevor. Er sei daher der Ansicht, „daß man das Standrecht dort vorläufig noch aufrechterhalten solle, um den Genannten dem Standrechtsverfahren zuführen zu können."

Staatssekretär Odo Neustädter-Stürmer ergänzt: „Er verstehe, daß die Richter bei den vielen Todesurteilen Grauen erfasse. Man müsse aber auch auf die Mentalität der Exekutive Rücksicht nehmen. Es sei ein Kampf gewesen, der mit einer unmenschlichen Bestialität geführt worden sei...

Quelle: PROTOKOLLE DES MINISTERRATS DER ERSTEN REPUBLIK. Kabinett Engelbert Dollfuß, Band 4,5, Hg. Rudolf Neck, Adam Wandruszka, Bearbeiter: Eszter Dor-ner-Brader (4), üertrude Enderle-Burcel (5). Verlag der Ost Staatsdruckerei, Wien 1984.

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