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Der Weg zur Erinnerung

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Mit der Berufung des deutschen Regisseurs Claus Peymann an die Spitze des Burgtheaters könnten der ersten Bühne des Landes neue Möglichkeiten eröffnet werden. Diese betreffen nicht nur die Theaterbesucher. Durch die Spielplangestaltung, durch den Stil der Aufführungen, durch das Hervorheben bedeutender

Schauspielerpersönlichkeiten können vom Burgtheater kulturhistorisch bedeutsame, auch politisch wirksame Vorbilder geschaffen werden.

Es wäre verfrüht, hier eine Bilanz der ablaufenden Direktionszeit Achim Bennings erstellen zu wollen. Benning hat als Regisseur manche faszinierende Auffüh-

rungen gestaltet. Deren nun ungeachtet, läßt ein erster Rückblick auf seine Direktion zwei anfechtbare, ja fragwürdige geistige Orientierungspunkte erkennen.

Die Direktion — so scheint es — sah und sieht sich als eine Kraft, die berufen ist, den Willen des hegelianischen Weltgeistes im Zeichen eines durch Kompromisse, durch gelegentliche Zweifel und durch Schlamperei gemilderten Pseudomarxismus zu vollstrek-ken. Diesem in den Programmheften immer wieder ausführlich erläuterten Konzept liegt eine von der Wirklichkeit längst Widerlegte Vorstellung des historischen Ablaufs zugrunde.

Ob diese Vorstellung die reine Einbildung der philosophierenden Phantasie ist, ob sie als ideologische Begleitmusik politischen Strebens verniedlicht werden kann, steht hier nicht zur Debatte. Sie trug jedenfalls dazu bei, das Theater einseitig zu machen, durch belehrende Absichten den schöpferischen Impetus zu schwächen, den Spielplan in einen „ideologisch gewichtigen" und in einen „unterhaltsamen" Teil zu spalten.

Die Auswirkungen zeigten sich nicht nur in der Auswahl der .Stücke, der Schauspieler und der Regisseure, sondern auch im Versiegen der Lust am vitalen Theaterspiel schlechthin.

Einen zweiten Orientierungspunkt fand die Direktion im Beispiel bundesdeutscher Bühnen. Kopien englischer Inszenierungen kamen dazu. Hier scheint eine fragwürdige Deutung des Begriffes „Provinzialismus" gewirkt zu haben.

Selbstverständlich bildet das Welttheater—wie auch die Weltliteratur — ein einziges Ganzes. Selbstverständlich müssen Impulse des gesamten deutschen Sprachraumes genutzt werden. Aber: Rücksichten auf die Leistungen anderer Bühnen dürfen nicht so weit gehen, daß sie die

Entwicklung eines eigenen, dem Theater gemäßen Standpunktes und künstlerischen Stils vereiteln.

Ein Theater, das nicht selbst geistiges Zentrum sein will, das sich anderen Zentren freiwillig unterordnet, verrät sein Publikum und sein Ensemble und wird obendrein erst recht „provinziell".

Die Lehren aus der Ära Benning und die Hoffnungen, die an eine Direktion Peymann geknüpft werden können, machen es notwendig, auf eine einfache, offenbar in Vergessenheit geratene Tatsache hinzuweisen: Das Burgtheater ist nicht irgendeine deutschsprachige Bühne, sondern das österreichische Nationaltheater.

Dieses österreichische Nationaltheater muß keinen Österreicher zum Direktor haben. Auch so bedeutende Direktoren wie Heinrich Laube, Paul Schienther und Hermann Rbbbeling waren Deutsche.

Sie verkörperten zudem das „progressive" Element ihrer Zeit - Laube als Anhänger der Revolution 1848, Schienther als Streiter • für Gerhart Hauptmann und den Naturalismus. Aber sie schöpften aus dem Geist dieses Landes, machten für das österreichische Publikum einen der Zeit und dem Ort entsprechenden eigenständigen Spielplan, stützten sich auf das eigene Ensemble und entwik-kelten einen eigenen Stil, der im deutschen Sprachraum beispielhaft wirken konnte.

Das ging so weit, daß Röbbeling nach 1933 zur Profilierung der eigenen Position gegenüber Hitler-Deutschland in seinem Zyklus „Stimmen der Völker" etwa Tol-stoj und andere slawische Autoren und das sehr österreichische Drama „3. November 1918" von F. Th. Csokor auf den Spielplan setzte.

Es ist in diesem Sinn die Pflicht des österreichischen Nationaltheaters, neben den Werken österreichischer Klassiker, die Hans Weigel als „Evergreens" bezeichnet, Stücke österreichischer Autoren der Gegenwart zu zeigen. Gerade in dieser Hinsicht hat Peymann durch seine Bemühungen um Thomas Bernhard gute Vorsätze erkennen lassen.

Es ist die Pflicht des österreichischen Nationaltheaters, auf der Höhe der Zeit zu sein, das heißt, Weltliteratur und Welttheater im Geiste unserer Kultur, in fruchtbarer Wechselwirkung mit dem Publikum einen unverwechselbaren Stil zu entwickeln, mit einem Wort: als geistige Werkstatt dieses Landes zu dienen.

Was die Royal Shakespeare Company für England, die Come-die Francaise für Frankreich, ist das Burgtheater für Österreich. Es kann Großes schaffen, wenn es sich seiner Eigenart besinnt

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