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Der Weg zur Nummer 1

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„In gewisser Hinsicht können wir uns da ein Beispiel nehmen“, resümierte Adolf Czettel, Präsident des österreichischen Arbeiterkammertages, nach einer Japan-Reise im April. Dafür wurde er von linken Sozialisten massiv kritisiert. Czettel bleibt dabei. Für die FURCHEfaßte er seine Eindrücke zusammen;

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„In gewisser Hinsicht können wir uns da ein Beispiel nehmen“, resümierte Adolf Czettel, Präsident des österreichischen Arbeiterkammertages, nach einer Japan-Reise im April. Dafür wurde er von linken Sozialisten massiv kritisiert. Czettel bleibt dabei. Für die FURCHEfaßte er seine Eindrücke zusammen;

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Japan ist eine Reise wert. Diese banale Feststellung muß man treffen, wenn man von einer Japanreise zurückkommt. Sie ist nämlich so ziemlich die einzige Feststellung, die ein Gewerkschafter ungestraft treffen kann, wenn er sich bemüht hat, in Japan die Wirtschaft kennenzulernen und in Diskussionen mit japanischen Gewerkschaftern hinter das japanische Phänomen zu kommen. Hinweise auf Unterschiede in der Sozialpolitik, im Arbeitsfleiß und in der Mentalität zwischen europäischen und japanischen Arbeitnehmern werden sofort als Angriff auf die soziale Sicherheit in Österreich gewertet.

Meine Reise hatte ausschließlich das Ziel, Informationen wirtschaftlicher und gewerkschaftlicher Natur zu erhalten. Unsere Gesprächspartner waren MITI, das japanische Handelsministerium, die japanische Metallarbeitergewerkschaft, die Industriellenvereinigung (KEIDANREN) sowie das Handelshaus Mitsui. Besuche in einem Stahlwerk von Nippon-Kokkan, bei Toyota und beim Elektronikkonzern FUJITSU, der verstärkt in die Industrierobotererzeugung einsteigen will, vervollständigen das Programm. Die aus den Gesprächen und Besuchen resultierenden Erkenntnisse müssen für Gewerkschafter ebenso wie Für Wirtschaftsfunktionäre alarmierend sein.

Japan ist ein hochindustrialisiertes Land mit dem Ziel, in der Welt Industrienation Nummer eins zu werden. Daß das ein nationales und von allen in der Industrie Tätigen übereinstimmend angestrebtes Ziel ist, erkennt man aus jedem Gespräch. Polit-, Wirtschaftsund Gewerkschaftsmanager lassen keinen Zweifel offen, daß sie in dieser Beziehung an einem Strang ziehen.

Die Einstellung des japanischen Arbeitnehmers zu seinem Industriebetrieb weicht von der des europäischen Arbeitnehmers grundsätzlich ab. Der ja panische Industriearbeiter betrachtet den Betrieb als eine echte zweite Heimstätte und unterwirft seine Bedürfnisse in einem hohen Maße den Bedürfnissen des Unternehmens.

So hat man uns im modernsten Stahlwerk in der Nähe Tokios zum Beispiel erklärt, daß die Arbeitnehmer in diesem Betrieb wohl Anspruch auf 20 Arbeitstage Urlaub pro Jahr hätten, aber in diesem Betrieb durchschnittlich nur 3,8 Tage pro Jahr davon verbrauchen. Der Rest geht an das Unternehmen zurück. Unsere erstaunte Frage nach dem Bedürfnis, den Urlaub mit der Familie zu verbringen, wurde ebenso erstaunt beantwortet, daß es ein solches Bedürfnis nicht gebe.

Die japanischen Gewerkschaften sind starke Organisationen, haben ihre Basis aber in Betriebsgewerkschaften, die den größten Teil der Vertragspolitik im eigenen Unternehmen auf den Betrieb abgestimmt erledigen. Das Lohnsystem ist eigenartig, denn es besteht aus einem Fixlohn, der, zwölfmal irti Jahr bezahlt wird, und aus einem Bonus, der je nach Geschäftslage des Betriebes jährlich verändert wird.

In der Metallindustrie gab es beispielsweise irn Jahr 1980 zwölf Monatslöhne Fixlohn und sechs Monatslöhne als Bonus. Dieses System des fixen und variablen Lohnes ermöglicht es den japanischen Unternehmen, sich der Marktlage vollkommen anzupassen.

Zurzeit bezieht ein japanischer Metallarbeiter in der Industrie einen Monatslohn von etwa 200.000 Yen, das sind rund 14.000 Schilling im Durchschnitt. Da die Lebenshaltungskosten in Japan außerordentlich hoch sind, ist der reale Wert dieses Durchschnittseinkommens geringer als in Österreich.

Die japanischen Gewerkschaften haben für den Begriff der Mitbestimmung wenig Verständnis, denn in der japanischen Industrie ist der Lebensarbeitsvertrag fast die Regel. Die Gewerkschafter meinen, daß der Unternehmer die Verpflichtung hätte, dafür zu sorgen, daß er den Lebensarbeitsvertrag erfüllen kann und daher das alleinige Recht der wichtigsten Entscheidungen haben müsse.

Man darf allerdings nicht übersehen, daß alle Entscheidungen in der mittleren Ebene des Unternehmens lange vordiskutiert werden, es somit einen breiten Kommunikationsbereich gibt, sodaß - wird dann entschieden - diese Entscheidung von allen akzeptiert und getragen wird. Betrachtet man dieses System, dann sieht man, daß wohl ein relativ großes Maß an Mitbestimmung im Betrieb herrscht, jedoch in einer Form, die in Europa undenkbar wäre.

Man darf allerdings auch nicht übersehen, daß es neben dem Industriesektor einen großen Sektor der gewerblichen Produktion und der Dienstleistung gibt. In der gewerblichen Produktion, so hört man, sind die Zustände wesentlich schlechter als in vergleichbaren europäischen Industrieländern.

Alles in allem beeindruckt natürlich der technologisch hohe Ausrüstungsstand der japanischen Industrie. Man sieht Arbeitsmethoden, die es in Europa nicht gibt. Man sieht maschinenbestückte Fabrikshallen, in denen produziert wird und in denen man keinen Menschen findet. Man sieht Industrieroboter, die die menschliche Arbeitskraft ersetzen, und kann kaum Vergleiche mit Europa anstellen.

Dazu kommt eine perfekte Organisation. Von der Produktion bis zum Außenhandel wird nichts dem Zufall überlassen. Forschung und Entwicklung werden stark gefördert. Sie garantieren dafür, daß Produkte erzeugt werden, die auf dem Weltmarkt wegen ihrer Qualität und ihrer Preiswürdigkeit gefragt sind.

Eine perfekte Außenhandelsorganisation sorgt dafür, daß diese Produkte auch dorthin kommen, wo sie verkauft werden können. Das Handelsministerium ist nicht nur ein Teil des staatlichen Verwaltungsapparates, sondfern ein wirkungsvolles wirtschaftspolitisches Instrument.

Die Handelshäuser stehen in direktem Kontakt mit dem Produzenten, sind auf allen Teilen des Weltmarktes präsent und wickeln den Handel zwischen Japan und der ganzen Welt un- mittelbarab.DasBankensystem besorgt die Finanzierung der Produktion und des Handels auf eine höchst effiziente Art. Was noch überrascht, ist die geringe Eigenkapitalausstattung der japanischen Industrie.

Als Gewerkschafter muß man über das Phänomen Japan nachdenken. Wenn es auch unzulässig ist, zu empfehlen, japanische Methoden in Europa anzuwenden, so zwingt die Tatsache, daß die Japaner im Handel und in der Produktion in zunehmendem Maße in Europa wirksam werden, auch die österreichischen Gewerkschafter zum überlegen. Nachdenken und überlegen hat insgesamt noch nie geschadet, und wenn man -dann noch entsprechende Konsequenzen zieht, kann man auch der kommenden Entwicklung durchaus optimistisch entgegensehen.

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