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Der wegrationalisierte Mensch
Das deutsche Meinungsforschungsinstitut in Ailesbach hat zum Thema Einstellung zur Arbeit folgendes erhoben: Von 1965 bis 1975 ist der Anteil jener, die Freude an ihrer Arbeit hatten von 57 Prozent auf 41 Prozent zurückgegangen, der Anteil der Befragten mit negativer Einstellung zur Arbeit von 12 auf 21 Prozent angestiegen. Diese Entwicklung hält weiter an.
Irgendetwas stimmt offenbar nicht an der Art, wie in unseren Industrieländern gearbeitet wird, sonst könnten sich nicht innerhalb einer Dekade solche Änderungen in der Einstellung zur Arbeit ergeben. Mag es nicht auch an unserer Grundeinstellung zur wirtschaftlichen Tätigkeit liegen?
Die Wirtschaftstheorie kennt den Menschen fast ausschließlich nur in seiner Rolle als Produktionsfaktor Arbeit. Gemessen wird in Zahl der Beschäftigten (eventuell untergliedert nach verschiedenen Merkmalen: Arbeiter, Angestellte, Fach-, Hilfsarbeiter, usw….).
Dieser Faktor erbringt bestimmte Leistungen im Produktionsprozeß: Er stellt seine Arbeitskraft zur Verfügung, also Energie, verfügt über Fertigkeiten, die bei der Herstellung zum Zug kommen und steuert dank seiner Fähigkeit, mit Information umzugehen, alle notwendigen Abläufe. Nun, in all diesen Fähigkeiten läßt sich der Mensch durch geeignete Maschinen ersetzen.
Seit Erfindung der Dampfmaschine zu Beginn der Industrialisierung wird der Mensch immer weniger als Energielieferant benötigt. Künstliche Energie beherrscht das Feld. Die Arbeitsmaschine wiederum ersetzt einen wachsenden Anteil der Handgriffe, die ein wesentlicher Beitrag des Menschen zur
Produktion sind und waren. Eine Verpackungsmaschine etwa leistet ein Vielfaches dessen, was ein Packer in derselben Zeit zustande brächte.
Der Umgang mit Information, bisher scheinbar privilegierte Domäne des Menschen, wird nunmehr auch immer mehr von Datenverarbeitungsmaschinen übernommen.
Dafür, daß nicht alles mit einem-Schlag arbeitslos wird, sorgt der Umstand, daß der Mensch nun verstärkt in Aktivitäten zum Einsatz kommt, die vor, neben oder nach der Produktion stattfinden: Marketing, Verkauf, Buchhaltung, Planung, Forschung, usw….
Unsere gesamte technische Entwicklung zielt also darauf ab, menschliche Arbeit möglichst effizient einzusetzen. Wir sprechen vom arbeitssparenden technischen Fortschritt. Welche Prämissen stehen aber hinter einem technischen Fortschritt, der möglichst hohe Arbeitsproduktivität als Ziel anvisiert?
Stillschweigend wird angenommen, daß Arbeit (besonders die körperliche Arbeit) möglichst einzuschränken sei. Arbeit wird nur als Last gesehen. Damit versuchen wir technisch zu vollziehen, was Karl Marx als Vision einer so-zialistischenGesellschaftsieht:,,… das Reich der Freiheit beginnt…, wo das Arbeiten, das durch Not und äußere Zweckmäßigkeit bestimmt ist, auf-> hört."
Es wird auch angenommen, daß sinnvoll an der wirtschaftlichen Tätigkeit nur das Ergebnis sei. Die Art, wie das Produkt entsteht, spiele nur eine untei-geordnete Rolle. Sie ist nur nach dem ökonomischen Kalkül zu beurteilen. Und das führt nun einmal dazu, daß der teuerste Faktor - und der ist nach wie vor die Arbeitskraft - möglichst sparsam einzusetzen sei. Die
Freude und Zufriedenheit des Mitarbeiters, die Befriedigung, ein schönes Stüci Arbeit, wenn auch langsamer, gemacht zu haben, sind nicht meßbar und gehen nicht in die wirtschaftliche Erfolgsrechnung ein. Sie werden daher nicht bei der Ausrichtung der technischen Entwicklung berücksichtigt.
Als Konsumenten haben wir zweifellos von dieser Entwicklung durch die gigantischen Produktionssteigerungen enorm profitiert. Allerdings hat diese Ausrichtung der Technik den Menschen als Produzenten stark benachteiligt. Denn das Arbeitsgeschehen wird an die technisch-organisatorischen Notwendigkeiten und nicht primär an die Bedürfnisse des Menschen angepaßt. Der Mensch wird Lückenbüßer des Systems.
Diese Triviialisierung der Arbeit vieler Menschen ist das Ergebnis der einseitigen Gleichsetzung von Arbeit mit Fron. Sicher wird Arbeit immer den Aspekt der Mühsal aufweisen. Dies wegzudiskutieren, wäre unredlich. Aber die technische Entwicklung nahezu ausschließlich auf diesen Aspekt der Arbeit auszurichten, ist unsinnig.
Wir müssen daher die geistigen Grundvoraussetzungen ändern, die hinter unserem technischen Fortschritt stehen. Soll eine Arbeitswelt entstehen, in der der Mensch Freude an seiner Tätigkeit erleben kann, darf Arbeitsproduktivität nicht das einzige Maß fiir Wirtschaftlichkeit sein. Die neue Situation am Energie-, Rohstoff- und Um-, weltsektor könnte ein Umdenken erleichtern. Effizient müßten sie eingesetzt werden, nicht die Arbeitskraft, in einer Zeit, wo die Arbeitslosenziffern in die Millionen gehen.
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