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Der Weise von Wien

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Kreiskys Liebkind war die Außenpolitik. Er sah Öster- reich als Dialogzentrum und handelte manchmal so, als wäre das Land der Nabel der Welt. Auf lange Sicht mit einigem Erfolg.

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Kreiskys Liebkind war die Außenpolitik. Er sah Öster- reich als Dialogzentrum und handelte manchmal so, als wäre das Land der Nabel der Welt. Auf lange Sicht mit einigem Erfolg.

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Stellt man sich die Frage nach Bruno Kreiskys außenpolitischer Bedeutung im Europa der Nach- kriegszeit, so werden ihn zukünfti- ge Historikergenerationen wohl als einen der bedeutendsten Staats- männer einstufen, die Österreich im 20. Jahrhundert hervorgebracht hat.

Kreisky fungierte als Außenpoli- tiker mit Leib und Seele und von der Außenpolitik her kam er. Die Stationen seines Lebens sind hin- länglich bekannt: Schwedisches Exil im Zweiten Weltkrieg; Aufbau der österreichischen diplomati- schen Missionen in Skandinavien als junger Beamter des Außenmini- steriums; Staatssekretär im Außen- ministerium; Außenminister; Bun- deskanzler. Auch in seiner 13jähri- gen Zeit als Kanzler blieb die Au- ßenpolitik seine Passion und in der Außenpolitik war ihm auch mehr Erfolg beschieden als in der Innen- politik.

Was ist das Bleibende an Kreis- kys außenpolitischen Initiativen? Vor allem in zwei ungemein schwie- rigen Themenbereichen profilierte ersieh: erstens als Freund der Palä- stinenser im Nahostkonflikt, und zweitens als Beschwichtiger des Kalten Krieges.

Kreiskys Wirken im Nahen Osten war äußerst kontroversiell, war er doch der erste westliche Politiker, der Arafat und seine PLO aus der internationalen Isolation holte, indem er ihnen diplomatischen Status zukommen ließ. Kreisky war überzeugt davon, daß ohne die Palästinenser als Verhandlungs- partner der Nahostkonflikt nicht zu lösen sei. Wenn man bedenkt, daß erst vor kurzem die Amerika- ner mit der PLO in Tunis am Run- den Tisch verhandelt haben, scheint Kreisky recht gehabt zu haben.

Inzwischen ist es auch der Regie- rung in Washington klar geworden, daß ohne die Palästinenser der Nahe Osten nicht dauerhaft befriedet werden kann. Genau das aber pre- digte Kreisky mehr als zwanzig Jahre, wofür er den abgrundtiefen Haß so mancher israelischen Poli- tiker - und viel Unverständnis unter provinziellen Österreichern - ge- erhtet hat.

In den zukünftigen Gesamtge- schichten des Kalten Krieges sollte Kreisky eigentlich einen prominen- ten Platz einnehmen. Kreisky war einer der Väter in der Endredak- tion des hart umstrittenen österrei- chischen Staatsvertrages von 1955, einem Schlüsseldokument des Kal- ten Krieges. Der vielunterschätzte Bundeskanzler Julius Raab und der gewiefte Kreisky- den die britische Diplomatie der Zeit als den wirkli- chen Intellektuellen des Ballhaus- platzes ansah - wußten die Ent- spannungschancen, die sich aus dem Tode Stalins im März 1953 uner- wartet ergaben, klug zur endgülti- gen „Befreiung" Österreichs von den Besatzungsmächten auszunut- zen. Die Bonner Diplomatie hätte da so manches vom Wiener Ball- hausplatz lernen können, wie etwa mit den Sowjets bilaterale Verhand- lungen zu führen sind.

Jüngst hat nun auch Kreisky in seinem zweiten Memoirenband eine weitere Initiative eröffnet, die im Kalten Krieg eine entscheidende Wende einläuten hätte können. Kreisky versuchte immer wieder die kurzfristige Entspannung zwischen den Supermächten - den berühm- ten 1955er „Geist von Genf" - in den späteren fünfziger Jahren trotz der Niederknüppelung des Ungari- schen Aufstandes im Herbst 1956 fortzusetzen.

1958 versuchte Kreisky für sei- nen alten Freund aus dem skandi- navischen Exil, Willy Brandt, der inzwischen Regierender Bürgermei- ster in der geteilten Stadt Berlin geworden war, ein Treffen mit dem sowjetischen Parteivorsitzenden Nikita Chruschtschow zu arran- gieren, um die anhaltenden Span- nungen um Berlin abzubauen.

Chruschtschow wäre bereit ge- wesen, sich mit Brandt zu treffen; als jedoch der deutsche Kanzler Konrad Adenauer von den gehei- men Vorbereitungen zum Treffen erfuhr, blockierte der „Westkanz- ler" die bilateralen Aussprachen, genauso wie er 1952 schon Stalins Anbot eines vereinten und neutra- lisierten Deutschlands nicht diplo- matisch ausgelotet hatte.

Für Kreisky wurde damit eine große Chance vertan, die unnatür- liehe Spaltung der Stadt einer Lösung am grünen Tisch zuzufüh- ren, und damit einen Hauptkrisen- herd des Kalten Krieges auszuschal- ten. Anstatt Entspannung hatten aber die Berliner bald darauf die Verhandlungsunwilligkeit der Kal- ten Krieger in Bonn und Washing- ton mit Mauer und Stacheldraht zu bezahlen.

Kreisky war einer der wenigen Politiker im Westen, der seine Bemühungen um Entspannung zwischen Ost und West durch alle Höhen und Tiefen des Kalten Krieges fortgesetzt hat. Kreisky wird wohl all das jüngst vernehm- bare Gerede vom „Sieg" des We- stens im Kalten Krieg fremd gewe- sen sein, kommt es doch haupt- sächlich aus dem Munde der ameri- kanischen „hardliners", also der Falken, die die Sowjetunion zu Tode gerüstet haben wollen.

Kreiskys Brillanz und Mut auf dem diplomatischen Parkett wurde geschätzt in der Welt. Als Außen- minister und dann als Kanzler war er Gastgeber von zwei wichtigen Gipfeltreffen zwischen Ost und West. 1961. als Chruschtschow mit John F. Kennedy in Wien zusam- mentraf und den jungen amerika- nischen Präsidenten angeblich als politisches Leichtgewicht ein- schätzte; und 1979,alsder wackeli- ge Greis Leonid Breschnew mit dem US-Präsidenten Jimmy Carter in der Wiener Hofburg zusammentraf, um den Salt-II Abrüstungsvertrag zu unterzeichnen (der dann aber wegen der sowjetischen Invasion Afghanistans nie im Washingtoner Senat ratifiziert wurde). In beiden Fällen trug Österreichs aktive Neutralitätspolitik, die größtenteils von Kreisky geprägt wurde, so viel zur internationalen Entspannung bei.

Vor kurzem nun fielen Histori- kern in der Bostoner Kennedy- Bibliothek Dokumente in die Hän- de, die beweisen, daß Kreiskys Vermittlungsversuch in der kuba- nischen Raketenkrise vom Oktober 1962 - der gefährlichsten Nuklear- krise des Kalten Krieges - von der Kennedy-Regierung gar nicht ge- schätzt wurde. Kreisky hatte näm- lieh aus eigener Initiative öffent- lich in Wien vorgeschlagen, was die amerikanische Regierung schluß- endlich auf geheimem diplomati- schem Wege den Sowjets zugestand, nämlich die veralteten amerikani- schen Jupiterraketen von der russi- schen Grenze in der Türkei abzu- ziehen, falls die Sowjets ihre neuen Mittel- und Kurzstreckenraketen von der karibischen Zuckerinsel demontierten. So geschah es dann auch; Kreisky ging aber nie damit hofieren.

Während viele dieser Initiativen unter seinen österreichischen Kon- trahenten und Kritikern unbeach- tet blieben, schoß man sich auf Kreiskys Besuchspolitik ein. Kreis- kys gewagte Reisen in den Nahen Osten und nach Osteuropa läuteten ein Zeitalter der Besuchsdiploma- tie ein, bevor der ambitionierte Henry Kissinger sich damit einen Namen machte. Mit der Einladung des libyschen Terrorchefs Muam- mar Gaddafi ging er selbst für viele seiner Bewunderer einen Schritt zu weit, selbst wenn er seinem Haupt- prinzip treu blieb, daß man nur über das persönliche Gespräch gegenseitige Standpunkte erörtern und Gegensätze überwinden kön- ne. Dabei war er den meisten hart- näckigen Kalten Kriegern, die die militärischen Optionen bevorzug- ten, weit voraus, zumindest wenn man die Friedenserhaltung als Hauptziel internationaler Politik ansieht.

Im Herbst 1989 ist der Kalte Krieg unerwartet schnell zu Ende gegan- gen. Es muß den betagten Kreisky mit großer innerer Genugtuung erfüllt haben, daß er dieses histori- sche Epochendatum noch selbst erleben konnte, hatte er doch soviel zur Überwindung der Ost-West Gegensätze beigetragen, wobei er vor allem in Washington viel Un- dank erntete (trotzdem schätzten ihn Politiker, wie der ehemalige Präsidentschaftskandidat George McGovern, einer der wenigen kon- tinuierlichen amerikanischen Apo- stel der Entspannungspolitik, als eine der wichtigsten europäischen Persönlichkeiten der Nachkriegs- zeit ein).

Vor einigen Jahren ist in den USA ein dickes Buch erschienen, das zum Bestseller wurde. Darin werden die amerikanischen Politiker und Di- plomaten Dean Acheson, Robert Dovelt, Averall Harriman, John McCloy, George Kennan und Char- les Bohlen als die „wise men" (die weisen Männer) der amerikanischen Nachkriegsepoche gepriesen; haben sie doch die Politik der Eindäm- mung der Sowjetunion konstruiert und damit für Westeuropa und die USA Freiheit und Demokratie bewahrt. Europäische Staatsmän- ner wie de Gaulle, de Gasperi oder Adenauer bleiben in solch ameri- kanozentrischen Betrachtungen unerwähnt.

Es müßten diesen zumindest die „weisen Männer" der europäischen Sozialdemokratie gegenüberge- stellt werden, die soviel zur Ost- West-Entspannung beigetragen haben, was nicht überraschen soll- te, waren die Auswirkungen des Kalten Krieges in Berlin und Wien doch viel unmittelbarer zu spüren als in Washington - weit entfernt vom Eisernen Vorhang.

Das Dreigestirn Bruno Kreisky, Olof Palme und Willy Brandt, das sich im schwedischen Exil kennen- gelernt hatte, und das Geschick Europas als Kanzler ihrer jeweili- gen Länder in den siebziger Jahren entscheidend mitprägte, tat mehr, die Eiszeiten des Kalten Krieges zu überwinden, als so mancher Falke in Washington, der jetzt als Sieger im Ost-West-Konflikt dastehen will. Das allein macht den verstor- benen Bruno Kreisky zu einem bedeutenden europäischen Staats- mann in der Zeit nach 1945. Seine österreichischen Kritiker sollten dies nicht vergessen.

Dr. Günter Bischof ist Historiker an der Uni- versität von New Orleans.

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