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Der „Weltbandit" und wir

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Im Dezember 1976 kam es auf dem Züricher Flughafen Klo-ten zu einem spektakulären Gefangenenaustausch: Kreml-Chef Leonid Breschnew hatte den unbequemen Menschenrechtskämpfer Wladimir Bukowski frei und in den Westen ziehen lassen, Chiles Diktator Pinochet hatte dafür dem Kommunistenführer Luis Corvalan die Freiheit gegeben.

Dem Austausch war eine weltweite Kampagne für die Freilassung Bukowskis vorausgegangen. Denn der studierte Biologe war nicht irgendein Dissident. Moskauer Freunde nannten ihn den „Dirigenten des ganzen Menschenrechtsorchesters". Und Bu-kowski war es auch gewesen, der 1971 mit einer Dokumentation die Welt auf den politisch motivierten Psychiatriemißbrauch in der Sowjetunion aufmerksam gemacht hatte: ein Instrument der Repression und Gef ügigmachung, das er in den Sechzigerjahren am eigenen Leib erlitten hatte.

Nach seiner Freilassung beobachtete Bukowski drei Jahre lang das Geschehen im Westen, das „Leben in Freiheit", reiste in Europa und Amerika herum, lebte zuerst in der Schweiz, dann in Großbritannien. Doch dies war nicht die Art „Freiheit", die er sich vorgestellt hatte. Was er im Westen sah und erlebte, bereitete ihm einen „stechenden Schmerz".

Und so schrieb der Emigrant nieder, was ihn an dieser unserer westlichen Welt stört, analysierte schonungslos die Schwächen unserer Gesellschaft — vor allem im Hinblick auf den sowjetischen To-talitarismus. Was wir so zu sehen bekommen, ist ein überaus unbequemes Bild unserer westlichen Welt — kritisch, zuweilen überkritisch, für manch einen Leser gewiß geradezu verletzend. Aber es ist immer Überlegens- und bedenkenswert, was uns Bukowski zu sagen hat. Sein Buch wirkt wie eine Schock-Therapie.

Hier ein paar politische Grundgedanken des Autors, die in seinem Buch immer wieder auftauchen: Für Bukowski verkörpert das sowjetische System den „Weltbanditen" schlechthin. Die Gemeinheit und Niedertracht aber, der kriminelle Charakter des Systems, gebe der Sowjetunion entscheidende Vorteile: Sie habe stets die Initiative und den Zeitfaktor auf ihrer Seite.

Was das für den Westen bedeutet: „Die Demokratie kann den Totalitarismus nicht mit dessen Mitteln besiegen, ohne sich in sein Ebenbild zu verwandeln. Andererseits führen alle Versuche, sich mit dem .Banditen' zu verständigen, bloß zu seiner Stärkung und zu immer größerer Abhängigkeit von ihm."

Wie aber soll sich der Westen der Sowjetunion gegenüber verhalten? Auf keinen Fall so, wie er es jetzt tut, meint Bukowski. Denn eine kompromißbereite, pragmatische Politik, die die Anerkennung des totalitären Staates beinhalte, stärke diesen nur, gebe ihm einen Anstrich von Legitimität in den Augen des versklavten Volkes und dämpfe die Wachsamkeit der Demokratie, zumal das Sowjetsystem auch in Perioden der Entspannung den „verdeckten Krieg" weiterführe.

Nimmt man das düstere Bild, das Bukowski von der westlichen Gesellschaft zeichnet, werden die freien Demokratien den Kampf gegen den kommunistischen To-talitarismus auf die Dauer kaum bestehen. Daß es soweit gekommen ist, schreibt Bukowski in erster Linie dem Sozialismus westlicher Prägung zu.

Dessen übelste Konsequenz bestehe darin, „daß der Mensch angehalten wird, seine Verantwortung aufzugeben, sich in allem auf den Staat zu verlassen, was mit dem Verzicht auf seine Freiheit gleichzusetzen ist". Die Begriffe der Verantwortung und Freiheit aber seien unauslöslich miteinander verbunden.

Bukowski diagnostiziert auch die Aufblähung der bürokratischen Apparate im Westen und warnt: „Wenn der bürokratische Apparat bestimmte Ausmaße erreicht hat, versucht er, alles und jeden zu kontrollieren."

Alles in allem schaffe der westliche Sozialismus in wirtschaftlicher, ideologischer und psychologischer Hinsicht die Voraussetzungen für eine mühelose Machtübernahme durch die Kommunisten: „Wenn unsere Furcht vor jeder Verantwortung, unser Streben nach sozialer Sicherheit zu Illusionen führen und die Illusionen zum Sozialismus, wenn der Sozialismus dem Kommunismus die Tür öffnet, dann wird der Kommunismus ebenso unvermeidlich sowjetische Panzer ins Land rollen lassen."

Es bleibt die Frage offen, welche Alternativen in der Politik gegenüber der Sowjetunion Bukowski dem Westen empfiehlt. Konkret ist der Autor da eigentlich nur in einem Punkt:

„Die .Menschenrechtspolitik' war in jeder Hinsicht eine unschätzbare Entdeckung, wenn nicht der einzige Ausweg aus einem fatalen Dilemma. Sie erlaubte zu einer .moralischen' Konfrontation überzugehen ...; sie unterstützte die Widerstandsbewegungen, stellte eine ideologische Herausforderung für das gebrechliche kommunistische Regime dar, bedrohte die prosowjetischen Kräfte im Westen selbst und erlaubte, die gesamte westliche Strategie neu zu durchdenken, sie von diktatorischen auf demokratische umzuorientieren."

Daß das Sowjetregime dabei nicht auf Druck von außen reagiere, sei ein Mythos. In der Atmosphäre des totalitären Staates gewinne das freie Wort — auch wenn es im Ausland gesprochen werde — gewaltige Kraft.

Entsprechend wenig hält Bukowski von der von vielen westlichen Politikern gerne propagierten „Geheimdiplomatie": Diese lasse sich nur schwer kontrollieren und sei im Umgang mit der Sowjetunion nur halb so wirksam wie ein öffentlicher Protest.

Wie eingangs gesagt: Viele Ansichten Bukowskis scheinen übertrieben und sind gewiß stark gefärbt durch die persönlichen Erlebnisse und Erfahrungen des Autors. Eine Auseinandersetzung mit seinen Argumenten aber lohnt sich allemal, ja sie ist dringend geboten. Das Buch sei deshalb allen empfohlen, die diese Auseinandersetzung nicht scheuen.

DIESER STECHENDE SCHMERZ DER FREIHEIT. Russischer Traum und westliche Realität. Von Wladimir Bukowski Seewald Verlag. Stuttgart 1983. 287 Seiten, Leinen, öS 280.80.

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