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Der Weltpionier der liturgischen Bewegung

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Zwanzig Jahre sind seit dem Tod Pius Parsch', des Vorkämpfers für eine volksnahe Liturgie und für eine Bibelbewegung im katholischen Raum, verstrichen. Eine noch größere Zeitspanne trennt uns heute schon von der Glanzzeit des damals in der ganzen christlichen Welt bekannten österreichischen Theologen, der vor allem durch seine „Meßtexte“ und sonstigen Kleinschriften von sich reden machte. Pius Parsch war ein echter Österreicher, seiner Mentalität nach, aber auch in seinem Schicksal. Er war geprägt von der Geistigkeit des alten Österreich, die ihrerseits bis in unsere Zeit herauf wieder weitgehend von der Aufklärung bestimmt war. Wenn auch Pius Parsch, vor allem im eigenen Ordenshaus, den Geist der Aufklärung bewußt bekämpft hat, so war er dennoch mehr von ihm geprägt als ihm selbst es bewußt wurde. Was ihn als jungen Theologiiestudenten fasziniert hat, war das seelsorgliche Konzept des Papstes Pius X. und die romantisch-liturgische Bewegung, wie sie von den deutschen Abteien der Beu-roner Kongregation ausgegangen ist. Sein Verdienst war es, diese neuen, revolutionären Gedanken, die zunächst nur die akademische Jugend begeistern konnten, in eine Volksbewegung umzusetzen. Sein Schicksal ist insofern echt österreichisch, als sein großes, für die ganze Weltkirche bedeutendes Verdienst im eigenen Land immer noch zuwenig erkannt wird, wo er als Produzent von Klein-schriften und „Erfinder der Betsingmesse“ in der Erinnerung fortlebt. Ein Studium seiner Schriften zeigt jedoch, daß er als einer der ersten erkannt hat, daß es keineswegs bloß um Veränderung der liturgischen Formen oder um eine gute organisatorische Durchführung der Liturgie-jfrneueruing geht, sondern daß ein gewaltiges Umdenken erforderlich ist, ein Zurückfinden zu den eigentlichen Quellen des Christentums, zur Bibel. Somit gehört er zu den echten, großen Reformern der Kirchengeschichte.

Johann Parsch (Pius war der Ordensname) wurde am 18. Mai 1884 in Neustift (Olmütz) geboren. Nach der Matura trat er in das Augustiner-Chorherrenstift Klostemeuburg ein und erhielt nach dem damals erst kürzlich zum Papst erwählten Pius X. den Ordensnamen Pius. Im Studium fiel er durch strenge Tagesordnung, großes Interesse für die theologische Materie und durch seine Gewissenhaftigkeit auf. Im Kreise der sehr weltoffenen, ja teilweise liberal eingestellten Chorherren wurde er von Anfang an als Außenseiter empfunden. Zusammen mit einigen anderen wurde er Vorkämpfer für die von Pius X. propagierte Oftkommunion. Da zur Zeit seiner Priesterweihe (1909) sämtliche Seelsorgepasten in den Pfarren des Stiftes Klosterneuburg besetzt waren, wurde Chorherr Pius an die Piaristen in Wien-Marda-Treu „ausgeborgt“. In diese Zeit fällt auch seine Promotion zum Doktor der Theologie (1912, Universität Wien). Danach wurde er als Sozius des Novizenmeisters und als Theologieprofessor für Pastoral in das Ordenshaus nach Klostemeuburg an die dortige theologische Lehranstalt zurückberufen. 1915 meldete er sich freiwillig als Feldkurat an die Front. Für sein weiteres Leben bestimmend war hier die Begegnung mit der Ostkirche und ihrer Liturgie. Bei den Gottesdiensten mit den Soldaten kam ihm das Ungenügen der aktiven Teilnahme des Volkes an der Liturgie zu Bewußtsein und ebenso die so wenig der Mentalität eines Mannes angepaßte Form der Frömmigkeit. Eine innige Beziehung zur Bibel als dem Wort Gottes fand er in den lang andauernden Taigen des Stellungskrieges. Oft erwähnte er später, daß er die Bibel nicht so sehr in seinem Studium, sondern im Schützengraben entdeckt habe.

Nach dem Krieg nach Klostemeu-bu-rg zurückgekehrt, hielt er im Jahre 1919 die erste Bibelstunde. Seit 1921 hielt er neben. Bibelstunden auch Liturgieerklärungen, ja er führte sogar einmal vor allen, in priesteriiche Gewänder gekleidet, die Messe vor (als „Missa sicca“, ohne zu zelebrieren). Damals verließen ihn viele seiner Zuhörer, da sie der Meinung waren, der junge Priester verlasse den Weg der Rechtgläubigkeit und der kirchlichen Disziplin. Das Vorurteil, innerlich protestantisch eingestellt zu sein, ist zeit seines Lebens von da an nicht mehr gewichen.Am „Christi Himmelfahrtstag“ 1922 kam es zur ersten Gemeinschafts-messe in der Landessprache in der kleinen romanischen Kirche St. Gertrud in Klostemeuburg. Zur Anleitung und Weiterführung auch anderer Gemeinden ließ er dann Meßtexte drucken, die bald .im ganzen deutschen Sprachraum gefragt waren. Bereits 1928 bestand im Stift Klostemeuburg eine Druckerei und ein Verlag mit 120 Angestellten. Träger des Unternehmens war das „Volks-li'turgische Apostolat“, das bald weltbekannt war. Seit 1926 erschien die Zeitschrift „Bibel & Liturgie“, in der er seine Ansicht theoretisch niederlegte, seit 1928 erschien sein Volksliturgischer Wochenkalender, der später als „Jahr des Heiles“ Übersetzungen in neun Fremdsprachen erreichen sollte. Ein besonderer Markstein in seinem Leben war der Wiener Katholikentag 1933, bei dem ihm die Gestaltung der Messe im Schloß Schönibrunn übertragen wurde. 200.000 Menschen nahmen damals daran teil. Ungezählte hörten die Übertragung im ganzen deutschsprachigen Raum.

1941 wurde mit dem Stift Klosterneuburg auch der Verlag und die Druckerei aufgehoben. Mit den übrigen Chorherren des Stiftes wanderte Pius Parsch wieder dorthin aus, wo seine erste Tätigkeit gewesen war, nach „Maria-Treu“ in Wien. Bis 1946 wirkte er dann als Seelsorger an der stiftlichen Pfarre in Floridsdorf (Wien 21) im Arbeitermdlieu. Nachdem Krieg gab er die wichtigsten seiner Schriften neu überarbeitet heraus; er begann auch wieder, die Zeitschrift „Bibel & Liturgie“ zu redigieren. Inzwischen hatte sich in der Gesamtentwicklung der Kirche manches geändert. Die österreichischen Bischöfe traten geschlossen für die „Volksliturgie“ ein und gaben Richtlinien für die gemeinschaftliche Feier der Messe heraus. Diese Meßform war nicht mehr nur geduldet; sie wurde verlangt. Parsch erkannte, daß durch diese an und für sich positive Entwicklung dennoch der freie Raum des Experimentierens auf liturgischem Gebiet eingeschränkt war. Er überließ daher die Weiterentwicklung den offiziellen und inoffiziellen Stellen, die sich daram bemühten, und wandte sich einer neuen, von ihm immer schon ins Auge gefaßten Aufgabe zu: in einer großen Bewegung wollte er dem katholischen Volk die Bibel näherbringen. Er nahm daher Kontakt mit der „Britischen und Ausländischen Bibelgesellschaft“ auf und strebte das Ziel an, zusammen mit dieser Institution ein Neues Testament aufzulegen. Das für damalige Zeiten sehr kühne Projekt konnte aber noch nicht verwirklicht werden. Kardinal Innitzer sprach sich im kleinen Kreis positiv dafür aus; er konnte jedoch die Erlaubnis dazu noch nicht geben. Er prophezeite: „In dreißig Jahren sind wir soweit.“ Daß die Entwicklung rascher vor sich ging, als man damals glaubte, ist heute bekannt.

1950 gründete Parsch das „Kloster-neuburger Bibelapostolat“, das 1951 eine Neues-Testament-Ausgabe zum Preis von 6,50 Schilling herausbrachte. Diese Ausgabe sollte eine Auflage von über 600.000 erleben. Sein weiteres Ziel, die Menschen zur Bdbel hinzuführen, konnte er nicht mehr verwirklichen. 1952 ereilte den unter hohem Blutdruck Leidenden ein Schlaganfal'l, der ihm zunächst schweres Siechtum und schließlich im März 1954 den erlösenden Tod brachte. In seiner geliebten St.-Ger-trud-Kirche fand er die letzte Ruhestätte.

Im Verband des Stiftes Klosterneuburg würde in den darauffolgenden Jahren die verlegerische Tätigkeit fortgesetzt, bis im Jahr 1966 von Kardinal König das „Österreichische Katholische Bibelwerk“ als kirchliches Institut, das der Bischofskonferenz unterstellt ist, errichtet wurde. Somit wurde in Österreich im Geist des II. Vatikanischen Konzils ein kirchlicher Rahmen geschaffen, in welchem viele der Ideen des großen Vorkämpfers einer kirchlichen Erneuerung realisiert werden können.

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