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Der wendige Oberst

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Lateinamerika ist reich an Dikta-ruren, die sich häufig zu Demokratien umbilden und umgekehrt. In Bolivien sieht man eine neue Variante. Oberst Hugo Banzer hat den prosowjetischen bolivianischen General Juan Jose Torres im Verlauf eines Militärputsches gestürzt, den er als die „Umwandlung des Chaos und der Anarchie in den Frieden und die Ordnung" bezeichnete. Er hat die von Torres eingesetzte Arbeiter- und Bauern-Volkskammer abgeschafft, etwa 1000 linke Intellektuelle zur Emigration gezwungen oder inhaftiert und die Presse gleichgeschaltet. Zwar regiert das Heer; aber die beiden größten Parteien, die einst ultrarechte „Falanga Socialista Boliviana" unter dem jetzigen Außenminister Mario Gu-tierrez und das „Movimiento Nacio-nalista Revolucionärdo" unter dem Expräsidenten Dr. Victor Paz Estenssoro bilden die Parteienfassade. Beide erklären, ebenso wie Banzer, daß Wahlen auf absehbare Zeit überflüssig seien. Ohne ein Parlament zu bilden, vermeidet also Banzer das Stigma des Militärdiktators, indem er sich auf zivile Kräfte stützt. Banzers schnell erlassene „Gesetze" über Investitionen und Bodenschätze begünstigen das Auslandskapital. Aber seine Geschicklichkeit zeigt sich auch darin, daß er sich gleichzeitig als bolivianischer Nationalist präsentiert. Das kleine Bolivien wird von seinen Nachbarn Argentinien, Brasilien und Paraguay umworben, weil jeder dieser Staaten dem anderen seinen Einfluß mißgönnt. Banzers persönliche Kontakte mit dem argentinischen Präsidenten Lanusse, dem paraguayischen Ströessner und demnächst dem brasilianischen Medici verlaufen in äußerster Harmonie. Aber Banzer spielt sie mehr oder weniger gegeneinander aus und verweigert ihnen jede wirkliche Beteiligung an dem wichtigsten Projekt Boliviens: den Eisenerzlagern von AI Mutün. Wir erleben in Ecuador, daß sich die Staatseinnahmen innerhalb kürzester Zeit um 150 Prozent steigern werden, weil die Ausbeutung des neuentdeckten Petroleums beginnt. Bolivien lebte bisher vom Zinn, wobei sich die Minen langsam erschöpfen. Jetzt sind unweit der paraguayischen Grenze riesige Eisenerzlager gefunden worden; zur Zeit ist paradoxerweise eine noch von Torres gerufene sowjetische Expertengruppe am Werk, um den genauen Umfang der Mineralvorkommen festzustellen. Ob nun die Voraussage französischer Futurologen, daß man dort im Jahr 2000 ein lateinamerikanisches Ruhrgebiet vorfinden werde, zutrifft oder nicht — in jedem Fall bemühen sich Argentinien, Brasilien und Paraguay schon jetzt darum, an dem Geschäft beteiligt zu werden. Banzer winkt ab und antwortet, „El Mutün" dürfe kein zweiter „Cerro Rico de Potosi" werden. (Der „reiche Hügel von Potosi" war das von den Spaniern bis zur völligen Erschöpfung abgebaute riesige Silberbergwerk der bolivianischen Stadt Potosi.)

Aber Banzer will mit seinen Kontakten vor allem die geographische und damit wirtschaftliche Isolierung Boliviens durchbrechen, das 1935, im Chaco-Krieg, große Gebiete an Paraguay verloren hat. Banzer erreicht jetzt, daß die sogenannte Trans-Chaco-Chaussee, die seit einigen Jahren für Paraguay von größter

Bedeutung ist, mit Bolivien verbunden wird. Aber das größte Handicap ist der fehlende Zugang zum Meer. Bolivien hat ihn 1879, nach dem sogenannten Salpeterkrieg gegen Chile, verloren. Torres hatte mit der gleichgesinnten Allende-Regierung Verhandlungen aufgenommen, um einen Zugang Boliviens zum Pazifik zu erreichen. Der jetzige bolivianische Außenminister Gutierrez hat trotz der veränderten ideologischen Konstellation die Fäden wieder anzuknüpfen versucht. Banzer hat Anfang März erklärt, daß die seit etwa zehn Jahren wegen eines Konfliktes um die Nutzung des Lauca-Flusses unterbrochenen diplomatischen Beziehungen mit Chile nur dann wiederaufgenommen würden, wenn Bolivien den Weg zum Meer zurückerhalte.

Chile soll übrigens das bolivianische Verlangen abgelehnt haben, den etwa 300 linksgerichteten politischen Gefangenen Asyl zu gewähren. Aber da alle Torres-freundlichen Elemente aus der Verwaltung und vor allem aus dem Heer beseitigt sind, ist ein Staatsstreich von links wenig wahrscheinlich. Bei der in Bolivien chronisch brodelnden Unruhe ist dagegen eine Palastrevolution innerhalb der Rechtskreise keineswegs ausgeschlossen.

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