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Der Westen als Feindbild

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In Athen merkt man schon jetzt an jedem Zeitungsstand, daß die Griechen 1985 in einem doppelten Wahljahr stehen: Im Mai hat noch dieses Parlament den Präsidenten der Republik zu wählen, im Oktober stehen die Abgeordneten selbst zur Wahl.

In der Fülle des griechischen Blätterwaldes herrscht darum auch eine verwirrende Vielfalt von Meinungen, wie es im Land der Hellenen politisch weitergehen wird und soll. In einem nur sind sich fast alle Gazetten einig: beim Anheizen der ohnedies schon feindseligen Stimmung gegen alles, was Amerikanisch und Westlich ist.

Auch als Freund der Griechen muß man dem amerikanischen Verteidigungsminister Caspar Weinberger zustimmen, der die Art Massenhysterie gegen USA, NATO, EG und eigentlich alles, dem sich Griechenland in den letzten 40 Jahren seit Kriegsende verbunden und verpflichtet gefühlt hatte, als mitverantwortlich am Entstehen einer anti-amerikanischen Terrorszene in Hellas gebrandmarkt hat.

Sicher hatte dann auch der Athener Regierungssprecher Ma-roudas in seiner Entgegnung darin recht, daß in der Bundesrepublik Deutschland oder Italien viel schlimmere Anschläge stattgefunden haben als selbst das letzte Attentat in Griechenland: Im Athener Küstenvorort Glyphada forderte ein Bombenanschlag in einer mit US-Stützpunktpersonal vollbesetzten Bar mehrere Dutzend Opfer.

Während es sich aber bei RAF und „Roten Brigaden” um fanatische Außenseiter handelt, mit denen sich in Bonn oder Rom weder der Durchschnittsbürger noch die hohe Politik identifizieren, finden in Hellas die Terror-Brüder vom „17. November” oder der „Nationalen Front” breite Sympathien und offizielle Verharmlosung.

Nicht nur das: Die Sicherheitsbehörden taten zunächst alles, um den Terrorakt als Gasflaschen-Explosion zu verniedlichen. Und von Regierungsseite sind Bedauern und Verurteilung fast unhörbar ausgefallen. Nur eine rechtsradikale Zeitung erinnerte Papandreous Kulturministerin Mehna Merkouri an ihre künstlerische Vergangenheit: Als sie Anfang der Sechziger jähre im Film „Sonntag's nie” die Matrosendirne vom Dienst im Piräus gespielt und dabei fast die ganze Sechste US-Flotte liebevoll in ihr Bett genommen hatte.

Die offenherzigen Zeiten sind bei den Griechen ein für allemal vorbei. Ihre antiwestliche, vor allem antiamerikanische Animosität ist allerdings im letzten Vierteljahrhundert nicht von ungefähr gekommen.

Zunächst waren für die meisten Hellenen die Amerikaner und ihre europäischen Verbündeten lange weiter die Retter aus der deutschitalienisch-bulgarischen Okkupation und dem blutigen Bürgerkrieg mit den Kommunisten. Das Schlagwort von der „freien Welt” war gerade in Griechenland keine leere Phrase; bis zu jenem verhängnisvollen 21. April 1967, an dem neofaschistische Offiziere mit Hilfe eines NATO-Einsatz-planes die Macht ergriffen und sie über sieben Jahre ausüben konnten.

Die Wiederherstellung der Demokratie im Juli 1974 fiel mit der brutalen türkischen Invasion auf Zypern zusammen. Die griechische Öffentlichkeit ist sicher nicht zu Unrecht der Meinung, daß die türkischen NATO-Besat-zer nach elf Jahren nicht mehr auf der Insel wären, wenn sie von Washington und Brüssel dazu halbwegs energisch angehalten worden wären.

Diese berechtigten Vorbehalte der Griechen gegen den Westen haben aber in Athen zu unterschiedlichen politischen Reaktionen geführt. Papandreou versucht seine innen- und wirtschaftspolitisch von seinem Kurs der „Allagi”, des Wandels, enttäuschten Wähler durch Ausnützen und Schüren ihrer antiamerikanischen Vorurteile noch einmal auf Vordermann zu bringen.

Nach seinem Veto gegen den EG-Beitritt von Spanien und Portugal hat er im neuen Jahr besonders die NATO aufs Korn genommen: vom Auszug der Griechen aus dem Schulungszentrum bei Rom bis zu seiner Weigerung vom 7. Februar, weiter an Manövern der Verteidigungsgemeinschaft teilzunehmen. Populär ist diese Taktik zweifellos. Ob sie auf die Dauer seinem Anliegen einer sozialdemokratischen Erneuerung des gesellschaftlich äußerst konservativen Hellas dient, ist erst die Frage.

Das umso mehr, als der ebenfalls zur Neuwahl anstehende Präsident Karamanlis nach der Enttäuschung über die USA eine betont europäische Alternative zu Papandreous Eskapaden in die Ostblock-freundliche Blockfreiere! anbietet. Außerdem hat er dafür gesorgt, daß seine ehemalige bürgerliche Partei der „Neuen Demokratie” jetzt selbst einem sozialliberalen Kurs zusteuert; noch dazu unter Führung von Konstantin Mitsotakis, einem Alt-Liberalen aus Griechenlands fortschrittlicher Hochburg Kreta. Noch ist Hellas für den Westen nicht verloren.

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