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Der Westen wahrt gemeinsame Werte"

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Der deutsche Kanzler, Sozialdemokrat und nach seinem Selbstzeugnis „eher ökumenischer als lutherischer" Christ, sprach vor der Evangelischen Akademie Tutzing zum Thema Friedenssicherung. Er sagte überaus Bedenkenswertes.

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Der deutsche Kanzler, Sozialdemokrat und nach seinem Selbstzeugnis „eher ökumenischer als lutherischer" Christ, sprach vor der Evangelischen Akademie Tutzing zum Thema Friedenssicherung. Er sagte überaus Bedenkenswertes.

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Uber die vielleicht heute schon „klassisch" zu nennenden drei Grundwerte Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität hinaus scheint es mir notwendig, heute den Wert „Frieden" in diesen Kanon einzubeziehen. !■ Frieden ist ein Grundwert, der in der bisherigen Menschheitsgeschichte keineswegs immer selbstverständlich war, eher das Gegenteil. Das gilt nicht nur für die Politik, das gilt auch für die Kirchen. Erst in neuerer Zeit wird die fundamentale Bedeutung dieses Grundwertes „Frieden" für das Zusammenleben ausreichend erkannt...

Aus vielen Gründen ist Friedenspolitik zum Kernstück der auswärtigen Politik unseres Staates geworden. Einzelentscheidungen der Außenpolitik müssen dem kritischen Maßstab genügen: Können sie dem Frieden dienen oder können sie ihn gefährden?

Solche kritischen Maßstäbe können nur aus der Vernunft gewonnen werden und nicht aus den Grundwerten. Das macht die Sache abermals so schwierig.

Wenn aber solche Fragen so sehr an den Nerv gehen, wenn sie sozusagen keine Nischen lassen, in denen man sich ihnen entziehen könnte, dann sind leider auch Emotionen unvermeidlich. Dabei kann allerdings rasch die Erfahrung verlorengehen, daß Emotionen allein nur selten Grundlage für verantwortliches und verantwortbares Handeln sein können ...

Ich bekenne mich mit Leidenschaft zur Vernunft in der Politik. Sittliche Grundwerte plus Vernunft — nur diese Kombination kann eine eindeutige und verantwortbare Politik ergeben.

Je nach eigener Erfahrung und Geschichte desjenigen, der urteilen und handeln soll, je nach eigenen Interessen, je nachdem, wo er Mitspieler und Gefährten findet oder finden muß, kann selbst bei einer optimalen Kombination von Orientierung an Grundwerten plus Anwendung äußerster Vernunft die vernunftgemäße Abwägung zu sehr verschiedenen Zielen und Wegen führen. Deswegen ist der andere nicht weniger moralisch als der erste und der dritte nicht weniger als der zweite.

Eine Einsicht steht obenan: Der Gegensatz der Systeme und ihrer Grundwerte zwischen der westlichen Führungsmacht mit ihren Verbündeten und dem •östlichen Gegenüber ist eine Tatsache. Sie kann nicht durch Emotion, aber auch nicht durch ein eigenes Grundwertbekenntnis verändert oder beeinflußt werden.

Das wissen die Christen in der Deutschen Demokratischen Republik sehr viel besser als manche Synodalen hierzulande.

Kein Grundwertbekenntnis kann etwas daran ändern, daß die Sowjetunion eine hochgerüstete militärische Weltmacht mit einem anderen Wertkanon ist und daß sie andere Staaten in deren Freiheit bedroht, wie die geschichtliche Erfahrung während unserer Lebenszeit vielfältig bezeugt.

In diesem Gegensatz der Systeme und Grundwerte haben wir Deutsche in der Bundesrepublik, die wir die Freiheit dazu hatten, immer wieder ganz eindeutig votiert. Wir stehen an der Seite unserer Verbündeten und der westlichen Führungsmacht.

Wir sehen im westlichen Verteidigungsbündnis nicht nur eine hochgerüstete Versicherungsgemeinschaft auf Gegenseitigkeit, sondern auch eine Gemeinschaft, die durchaus weitgehend auf gemeinsamen Wertvorstellungen beruht.

Damit meine ich nicht nur die Freiheit der Religion, auch nicht bloß die Freiheit der Wirtschaft, obwohl unser Wohlstand weitgehend auch auf ihr beruht. Ich meine auch die Freiheit derjenigen, die denken und schreiben (der Intellektuellen), auf der Kritik und gesellschaftlicher Fortschritt beruhen und deren Fehlen im östlichen Europa wir so schmerzlich mitempfinden.

Ich meine ebenso die Freiheit der Arbeitnehmer, sich frei zu-' sammenzuschließen und in freier Selbstbestimmung ihre Interessen zu vertreten. Wer als Demokrat um der Freiheit willen für „Solidarnosc" eintritt, zugleich aber das westliche Bündnis als entbehrlich abtut, der gerät in einen Widerspruch innerhalb seines eigenen Wertesystems.

Die Waffen unserer Verbündeten und die Bundeswehr dienen durch Abschreckung der Verhinderung eines Einsatzes der gegnerischen Waffen. Sie dienen ebenso dem Schutz politischer Erpressung mit militärischem Ubergewicht. Sie dienen der Bewahrung der eigenen Entschlußfreiheit und damit der eigenen Freiheit.

Diese fast globale Konstellation von bipolarer gegenseitiger Abschreckung und Gegenabschreckung hat Europa die bisher längste Friedensperiode dieses Jahrhunderts ermöglicht. Tatsache ist aber, daß ihre Vernünftigkeit zunehmend bezweifelt wird.

Die weitgehend ungehinderte Anhäufung von Waffen rückt nach meiner Uberzeugung zwar keineswegs notwendigerweise die Gefahr näher, daß diese tatsächlich eingesetzt werden. Aber denkbare und tatsächliche Un-gleichzeitigkeiten in der technisch-qualitativen und in der quantitativen Entwicklung gefährden das Gleichgewicht, in dem sich die Abschreckung beider Seiten lange Zeit befunden hat. Die Angst vor dem Rüstungswettlauf ist deshalb nicht nur psychologisch verständlich, sondern sie ist durchaus rational begründet.

Es muß also darum gehen, den ungehinderten Wettlauf um immer neue Qualitäten der Waffen zu bremsen, sie quantitativ unter Kontrolle zu bringen und sie Schritt für Schritt auf ein niedrigeres Niveau zurückzuführen. Auf ein niedrigeres Niveau also, auf dem auch in Zukunft das Gleichgewicht von Abschreckung und Gegenabschreckung oder das Gleichgewicht der Verletzbarkeiten ungefähr gewahrt bleibt.

Diesem System entrinnen wir nicht. Aber mit viel Fleiß, Beharrlichkeit und Mühe können wir Europäer zusammen mit den beiden Weltmächten das Gleichgewicht auf ein sehr viel niedrigeres Niveau herunterbringen.

Eine solche Kontrolle der Waffenqualitäten, der Waffenquantitäten und eine Zurückf ührung auf niedrigere Ebene kann nicht durch gute Beispiele, sondern nur durch Verhandlungen und durch Verträge erreicht werden.

Verhandlungen werden nur dann in wirksame Verträge einmünden, wenn ihr Ergebnis im Bewußtsein beider Seiten zum Gleichgewicht führt. Keines der beiden Bündnisse und keine der beiden Weltmächte kann Verhandlungsergebnisse akzeptieren, die ungleiche Sicherheiten stabilisieren.

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