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Der Wind weht von rechts

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Die konservativen Parteien haben in Skandinavien innerhalb von sechs Monaten drei bemerkenswerte Siege gefeiert. Im März wurde Finnlands „Sammlungspartei” ebenso zur größten Partei des bürgerlichen Lagers wie nun Schwedens „Moderate”. Beide waren die großen Sieger der Parlamentswahlen:

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Die konservativen Parteien haben in Skandinavien innerhalb von sechs Monaten drei bemerkenswerte Siege gefeiert. Im März wurde Finnlands „Sammlungspartei” ebenso zur größten Partei des bürgerlichen Lagers wie nun Schwedens „Moderate”. Beide waren die großen Sieger der Parlamentswahlen:

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Gleichzeitig stürmte Norwegens „Höyre” in bisher unbekannte Höhen, näherte sich bei den Kommunalwahlen der 30-Prozent-Grenze und überflügelte etwa in Oslo die Sozialdemokraten als größte Partei. Daß in der Zwischenzeit in Großbritannien Margaret Thatcher an die Macht gekommen war, bestätigte den konservativen Trend in Nordeuropa.

Die „konservative Revolution”, wie Schwedens Gösta Bohman sie nennt, bedroht in steigendem Maß die Bastion der Sozialdemokraten, die in Skandinavien viel mehr sind als eine politische Partei: Das gesamte skandinavische Wohlfahrtsstaat- und Gesellschaftsmodell ist untrennbar mit der Sozialdemokratie verbunden.

Auch bürgerliche Regierungen segelten, wenn sie mitunter an die Macht kamen, im gleichen Fahrwasser. An der rosaroten Auffassung von Staat und Gesellschaft zu rütteln, galt als Ketzerei.

Es ist daher kein Wunder, daß der erste, der mit Erfolg ein Fragezeichen hinter den üppig wuchernden Soziąl- staat setzte, es nicht mit ernsthaften politischen Methoden tat, sondern mit dem Gehaben eines Clowns: der dänische Rechtsanwalt und Steuerfeind Mogens Glistrup.

Glistrup hat keine emstzunehmenden Nachahmer gefunden. Aber sein Erfolg war Botschaft für andere. Er bewies, daß es Menschen gab, die ihre Unzufriedenheit mit dem verherrlichten System nicht nur hinter vorgehaltener Hand flüsterten, sondern die auch bereit waren, Parteien zu unterstützen, die all das in Frage stellten, was das Modell Skandinavien ausmacht.

Die konservativen Parteien in Dänemarks Nachbarländern fingen diesen Trend auf und funktionierten ihn für ihre Zwecke um. Nicht mit Gli- strups schaumschlägerischen Versprechungen, die Einkommenssteuer abzuschaffen und alle „Papierkrämer” - sprich Verwaltungsbeamten - zu entlassen. Aber mit Programmen, die Leistung an Stelle von Umverteüung setzten und die deutlich aussprachen, daß die Wirtschaft erst das Geld verdienen muß, das der Staat dann kassieren und verteilen kann.

So begann der konservative Höhenflug. Die Sozialdemokraten erkannten die Gefahr und reagierten heftig. Olof Palme sprach in seinem Wahlkampf ständig von der „aggressiven Rechten” und der „schwarzen Internationalen”, bestehend aus Franz Josef Strauß, Margaret Thatcher und Gösta Bohman. Die Sozialdemokraten der Nachbarländer zeigten ähnliche Uberreaktionen.

Gibt es in den sozialdemokratischen Parteizentralen keine Kommunikationsforscher, die wissen sollten, daß derartige Angriffe nur dem Angegriffenen nützen? Der „aggressive Rechte” Gösta Bohman hatte jedenfalls ein glänzendes Wahlresultat zu verzeichnen - ebenso wie Finnlands Konservative, vor deren reaktionärem Gehabe sogar die „Prawda” gewarnt hatte.

Die Konservativen stehen aber nicht nur in der Schußlinie der Linken, sie werden auch von den Mitteparteien angegriffen, die ihre Positionen mit Recht gefährdet sehen. So bemühen sich die Zentrumsparteien, die Konservativen von den wichtigsten Regierungsämtern fernzuhalten, nachdem konservative Wahlsiege ihnen zu Machtpositionen verholfen haben.

Was aber veranlaßt die Skandinavier, plötzlich konservativ zu wählen? Unzufriedenheit mit den Auswüchsen des in seinen Grundzügen allgemein akzeptierten Wohlfahrtsstaates wäre als Erklärung zu wenig. Auch die hohen Steuern sind höchstens ein Steinchen im Mosaik. Jeder konservative Wähler weiß, daß auch seine Partei die Steuerbelastung nicht radikal ändern kann, wenn das hohe Serviceniveau aufrechterhalten werden soll. Und das soll es nach Meinung aller in Skandinavien.

Ein Teü der Erklärung ist in einer soziologischen Umschichtung zu suchen. Der dänische Ministerpräsident H. C. Hansen hat in den fünfziger Jahren gesagt, Sozialismus sei für ihn, daß jeder Arbeiter sein Häuschen haben soll. In den siebziger Jahren hat der Arbeiter sein Häuschen bekommen. Und damit andere Interessen.

Der Arbeiter gehört nun zur besitzenden Klasse und wird ansprechbar für konservative Slogans: er hat etwas zu verteidigen. So wendet er sich von der Partei ab, die er während seines Aufstiegs gewählt hat. Zu Recht, wenngleich für die Sozialdemokraten unerhört proyokąnt, nennt, sich NoWegehs „Höyre” die „zweitgrößte Arbeiterpartei”.

Ein zweites Plus der Konservativen ist in ihren starken Spitzenpolitikern zu sehen. Norwegens Erling Norvik und Schwedens Gösta Bohman verstehen es, wirtschaftliche Zusammenhänge so zu erklären, daß auch Nichtexperten sie verstehen - und fühlen, daß die ökonomische Zukunft bei den Konservativen in guten Händen ist.

Die Sozialdemokraten müssen hingegen gegen den Ruf kämpfen, nicht wirtschaften zu können. Dazu hat die schwedische Wirtschaftskrise anfangs der siebziger Jahre ebenso beigetragen wie in Norwegen der Konkurs des Tandberg-Elektrokon- zerns, in den die Arbeiterpartei-Regierung vergeblich Geld und Experten gesteckt hat, um sein Überleben zu sichern.

Daß der konservative Vormarsch in einer Zeit kommt, in der die Wirtschaftskrise dazu auffordern könnte, unter die schützenden Fänge einer Partei wie der Sozialdemokratie zu kriechen, mag überraschend wirken. Es zeigt aber, daß der einzelne mit seinem hohen Lebensstandard hofft, mit einer guten - sprich: konservativen - Wirtschaftspolitik besser zu fahren als mit sozialdemokratischer Solidarität.

In den sozialdemokratischen Parteiquartieren hat die Suche nach einer neuen Strategie begonnen. Sie wird aus mehr bestehen müssen als aus der Aufzählung vergangener Verdienste und Angriffen auf den politischen Gegner.

Olof Palme hat im Sommer in Kopenhagen davon gesprochen, daß im nächsten Jahrzehnt der Klassenkampf wieder stärker die sozialdemokratische Politik prägen müsse. Macht er dies wirklich zur neuen Linie seiner Partei, wird er endgültig seine Wähler verlieren…

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