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Der Wohlstand muß auch seelisch bewältigt werden
Der moderne Wohlfahrtsstaat befindet sich in einem permanenten Entwicklungsprozeß, der durch die Steigerung der Wirtschaftskraft und durch die Veränderung der sozialen Rahmenbedingungen des Lebens der Menschen gekennzeichnet ist Traditionelle Zielsetzungen christlicher Bewegungen für diese Bereiche sind längst zu selbstverständlichen Errungenschaften geworden, der Sozialstaat mit den ihn Bewegenden Ideen und Kräften, die sich der katholischen Soziallehre immer weniger verbunden fühlen, wirft die grundsätzliche Frage auf, ob und wie die Kirche in den Bereichen von Wirtschaft und Arbeit wirksam werden kann.
Der Bericht geht vom bestehenden innerkirchlichen Pluralismus in Fragen der Wirtschaftsordnung und der sozialökonomischen Situation aus und fordert daß den Bemühungen um die innerkirchliche Konsensbüdung mehr Sorge geschenkt werden solle. Tatsache ist, daß eine große Anzahl katholischer Organisationen und Gruppierungen sich mit den Fragen der Zeit auseinandersetzt, zum Teil völlig unterschiedliche Positionen bezieht und nach Unterstützung sucht sehr oft außen und bei manchmal problematischen „Freunden“. Die innerkirchliche Auseinandersetzung wird zum Teil gemieden („nur nicht mit denen anstreifen!“), zum Teil über die Medien geführt („Wer macht mehr und auffallendere Schlagzeüen?“) oder auf Personalia reduziert Zuwenig erfolgt ein Prozeß gegenseitigen Überzeugenoder zumindest Verstehenwollens.
Der innerkirchliche Pluralismus führt zu oft zu einem Stellungskrieg der Argumente und zu selten zu konzertierter Aktion. Freüich, was könnte selbst eine christlichere innerkirchliche Konsensfindungsprozedur bringen? Die Praxis zeigt hier eine deutliche Kluft zwischen jenen, die ein Höchstmaß an Konzepten erreichen wollen und jenen, die sich mit einem Wenig an Aktion bereits zufrieden geben („Wir haben doch eben erst dafür gesammelt!“).
Der Bericht zeigt eine durchaus realistische Einstellung, wenn er nicht nur feststellt daß die Anteilnahme katholischer Gruppierungen an den Problemen nicht zur Ableitung eines klar konturierten Modells einer den österreichischen Gegebenheiten entsprechenden Wirtschafts- und Sozialverfassung geführt hat, sondern auch bezweifelt ob selbst ein besserer Konsensbildungsprozeß zu einem abgerundeten operablen Leitmodell der Kirche für die sozialökonomische Ordnung in diesem Land führen kann und soll
Dafür wird eindringlich der Appell formuliert sich um „bestimmte konkrete Anliegen, die sich aus christlicher Sicht aufdrängen“, zu kümmern Und für ihre produktive Bewältigung eintreten. Die beispielhaft genannten Probleme finden sich im Zielkatalog jeder sich zeitgemäß nennenden politischen Bewegung auch: Benachteiligte wie Pensionisten, Bergbauem, Gastarbeiter, Frauen, Arbeitslose; Humanisierung der Umwelt am Arbeitsplatz. Politisch interessant scheint der Hinweis zu sein, daß sich die Kirche hiebei um Probleme der Gruppen besonders annehmen sollte, die „im toten Winkel der organisierten Interessen“ liegen.
Die Kirche ist heute auf allen Ebenen mit sozialen Problemen konfrontiert, vom Sozialausschuß eines Pfarr- gemeinderates bis zu den gesamtösterreichischen Aktivitäten der Caritas. Was fehlt ist eine systematische Auswertung der Vorgefundenen Notoder Ubelstände, ihre Übernahme in eine konzeptive Poltik der Abschäf- fung der Ursachen dieser Zustände durch Maßnahmen der wirtschaftlichen, sozialen oder geistigen Reform.
Die Kirche könnte die Erfahrungen vieler Sozialreferenten und engagierter katholischer Betriebsräte, um nur zwei besonders wichtige Kreise zu nennen, zu konkreten politischen Anliegen verdichten. Diese Art von Ausnutzung eines sozialen Fühlersystems scheint sehr wichtig zu sein Denn erst dadurch kann man der nächsten Forderung des Berichtes, der Erkundung struktureller Ungerechtigkeitsfaktoren in der bestehenden Gesellschaft und einem aktiven Entgegentreten entsprechen. Auf diese Weise könnte auch vermieden werden, daß im Bereich katholischen Gesellschaftsengagements zu oft auf bereits fahrende Züge aufgesprungen wird.
Etwas mehr Selbstbewußtsein über die Zeitgemäßheit der katholischen Soziallehre ist dabei dringend erforderlich. Personalität Solidarität und Subsidiarität tauchen, wenn auch unter anderen, plakativeren Titeln immer häufiger auch bei anderen Gruppen als die Schlüssel zur Lösung gesellschaftlicher Fragen auf. Eine Auseinandersetzung mit den modernen Sozialzykliken der Kirche ist notwendiger als das festschriftliche Ausschlachten alter Hüte.
Die Kirche, besser gesagt die Katholiken, werden von einer Reihe politischer Gruppen eingeladen, „ein Stück des Weges gemeinsaun“ zu gehen. Die europaweite Stunde der sozialliberalen Koalition scheint sich in dem Ausmaße ihrem Ende zuzuneigen, als es nichts mehr zu liberalisieren gibt und die Liberalen wegen der Betonung des Gleichheitsgrundsatzes als nächstem, besser zu verwirklichendem Ziel der Sozialreform um ihre Vorstellung von Freiheit zu bangen beginnen. Gibt es aber zur Gleichheitsfrage eine handfestere kirchliche Position als den grundsätzlichen Verweis auf den möglichen Konflikt mit dem Leistungsgedanken?
Die Verbindung konkreter Lebenserfahrung der Katholiken mit den konsequent auszulotenden grundsätzlichen Positionen wird die gesell schaftliche Wirksamkeit steigern. Dazu kommt freüich und unabdingbar, daß die Kirche im eigenen Bereich soziale Modelle zu verwirklichen trachtet und nicht nur mit Ratschlägen zu Lasten Dritter auftritt Wer erinnert sich heute noch an die diesbezüglichen Appelle des österreichischen Synodalen Vorganges (Beschluß 9. 2. 2.)?
Die Kirche wird wenig dazu beitragen können, den faktischen materiellen Wohlstand der Menschen dieses Landes zu steigern. Sie kann und muß sehr vieles tun, um die Menschen diesen Wohlstand sowohl seelisch bewältigen als auch weltweit teilen zu lassen. Der erstgenannte Ansatzpunkt gesellschaftlicher Wirksamkeit in den Bereichen Wirtschaft und Arbeit fehlt in diesem Kapitel des vorliegenden Berichtes. Dafür ist allerdings die Forde rung nach Überwindung des Provinzialismus im wirtschafts- und sozialpolitischen Weltbüd deutlich in Zusammenhang mit den Problemen der Weltwirtschaftsordnung gestellt
Die österreichischen Katholiken sind ungemein hilfsbereit, was Aktionen für die Entwicklungsländer anbelangt, sie gelten hier international als mustergültig. Es müßte allerdings noch erreicht werden, daß der weltweite Gestaltungsaspekt neben dem Hilfegedanken stärker entwickelt wird. Entwicklungshilfe in beiden Formen muß ein alle wichtigen Parteien dieses Landes interessierender Bereich werden. Das schwedische Beispiel, das nur zu oft negativ gebracht wird, sollte uns in dieser Hinsicht beschämen und anspomen.
Es ist zu hoffen, daß das beachtlich steigende Engagement der Katholiken in Fragen der Gesellschaftspolitik (gesellschaftspolitische Arbeitskreise und viele Spontangruppen sind ein erfreuliches Zeichen) auch in den Bereichen Wirtschaft und Arbeit zu Ergebnissen führt und dann der nächste Fünfjahres bericht neben grundsätzlichen Aspekten und Problemen auch konkrete Ein- und Auswirkungen kirchlichen Einsatzes vorweisen kann.
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