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Der Wunder-Schmidt
„Schmidt ist Nummer eins“ — das verkündete nach der Bundestagswahl vom 19. November Bundeskanzler Willy Brandt; und heute bedürfte es solcher Charakterisierung von höchster Seite nicht mehr. Seit der ersten Dollarkrise und Steuererhöhung weiß jeder in der Bundesrepublik, daß kein anderer Minister im SPD/FDP-Kabinett dem Nachfolger des einstigen Superministers Schiller den Rang streitig machen kann.
„Schmidt ist Nummer eins“ — das verkündete nach der Bundestagswahl vom 19. November Bundeskanzler Willy Brandt; und heute bedürfte es solcher Charakterisierung von höchster Seite nicht mehr. Seit der ersten Dollarkrise und Steuererhöhung weiß jeder in der Bundesrepublik, daß kein anderer Minister im SPD/FDP-Kabinett dem Nachfolger des einstigen Superministers Schiller den Rang streitig machen kann.
Die zunächst nahtlose Abfolge der Erfolge an der Währungsfront inzwischen durch die neuerliche Dollarschwemme in ihrer Wirkung etwas geschwächt, könnte darüber hinwegtäuschen, daß Schmidt vom Glück begünstigt war und die objektiv sicher unangenehme Dollarschwemme ihm subjektiv doch sehr wesentlich zu seiner Erfolgsreihe verholfen hat. Die anfangs glückliche Meisterung der Währungskrise machte dem Finanzminister die Hand frei, um seine bereits seit langem gehegten Steuerpläne realisieren zu können.
Eine von der Dollarkrise geschockte, durch ihre Bewältigung beeindruckte Öffentlichkeit hatte kaum noch den Atem, entschieden auf die Steuererhöhungen zu reagieren. Auch der Koalitionspartner FDP mußte sich offensichtlich dem erfolgreichen Schmidt beugen und von der ablehnenden Haltung gegenüber Steuererhöhungsplänen Abstand nehmen. Die FDP konnte nur durchsetzen, daß beachtliche Teile der Mehreinnahmen stillgelegt werden sollen, doch wird erst abzuwarten sein, wie weit die Bundesregierung der Versuchung widerstehen kann, diese Milliarden doch auszugeben.
Neben dem Sieg über die FDP zeigt auch die Art der Steuererhöhungen den klugen Taktiker Schmidt. Auf den ersten Blick sind die Zuschläge durchaus sozial und treffen den „kleinen Mann“ nicht so sehr. Auch die mittleren Einkommensschichten, denen die SPD und die FDP wesentlich ihren jüngsten Wahlsieg zu danken haben, wurden geschont. Getroffen wurden Spitzenverdiener, Unternehmer und Hausbesitzer. Ihre Belastung findet bei breiten Bevölkerungsschichten sicher keinen Widerspruch. Bedenken könnten erst kommen, wenn sich auf der Unternehmerseite auf Grund der steuerlichen Belastung eine Resignation und eine sinkende Investitionslust bemerkbar macht.
Auf dem ohnedies kritischen Wohnungsmarkt, auf dem der Anteil der Mietwohnungen unter den Neubauten immer mehr zurückgeht, könnte die Aussetzung der Abschreibungen für Neubauten eine weitere erhebliche Stagnation bedeuten. Damit könnte diese steuerliche Maßnahme nach einiger Zeit erst recht den durchschnittlichen Steuerzahler, der für Sozialwohnungen bereits zuviel und für Eigentumswohnungen zuwenig verdient, hart treffen.
Offene Bedenken wurden nach der Steuererhöhung schlagartig gegen die Benzinpreiserhöhung laut. Die Mehreinnahmen aus der Mineralölsteuer sollen nämlich nicht dem Straßenbau, sondern den öffentlichen Verkehrsmitteln zugeführt werden. Mit dieser Maßnahme soll also sowohl der Gebrauch des Autos eingeschränkt und gleichzeitig den bisher vernachlässigten Massenverkehrsmitteln Geld zugeführt werden. Schon wurden Stimmen laut, die darauf hinweisen, daß kaum eine Verbesserung des Massenverkehrs erreicht werden wird, sondern nur eine Abdeckung des jährlich steigenden Bundesbahndefizits ermöglicht werden soll. Selbst wenn die öffentlichen Verkehrsmittel ausgebaut werden, kommt doch der Augenblick, in dem der eine oder andere Autofahrer angesichts der hohen Benzinpreise auf Bahn oder Bus umsteigen will und bemerkt, daß dies Verkehrsmittel sind, die keinen Vergleich mit dem vielgelästerten Auto aushalten. Angesichts des teilweise desolaten Zustands von Nahverkehrssystemen, die erst vor wenigen Jahren in einigen Ballungsgebieten der Bundesrepublik geschaffen wurden, ist deren Ausbau und Modernisierung zu wünschen, doch ist der Leidtragende sicher der „kleine Mann“.
Gerade in der Frage der Verkehrsmittel und der damit verbundenen Steuererhöhung kommt das Ziel Schmidts zum Ausdruck, einige Pläne der SPD bereits in kleinen Schritten in die Wirklichkeit umzusetzen. Ein Stück Gesellschaftspolitik wurde hier betrieben, die auf lange Sicht den Beziehern kleinerer Einkommen zugute kommen soll, ihnen aber vorerst wahrscheinlich nur Nachteile bringt. Auch der Konjunkturzuschlag auf Spitzeneinkommen, der einen Steuersatz von 60 Prozent bedeutet, kommt SPD-Vorstellungen zur Steuerreform nahe. Wenn Wirtschaftsminister Friderichs von der FDP jetzt beteuert, es sei an keine ständige Anhebung des Spitzensteuersatzes gedacht, so haben diese Beteuerungen angesichts der wenig entschiedenen Haltung der FDP bei den jüngsten Steuermaßnahmen nicht eben viel Glaubwürdigkeit.
Mit diesen Maßnahmen weist sich Schmidt auch bei der SPD-Linken als ein für sie annehmbarer Mann aus. Da demnächst das von Schmidt federführend ausgearbeitete Langzeitprogramm der Sozialdemokraten zur Beschlußfassung ansteht, gegen das von der linken Seite der SPD schon heftig polemisiert wird, erhofft sich Schmidt von seinen Maßnahmen eine Reduzierung des Widerstands dieser Seite. Schmidt, der sich vor den Wahlen ganz links Unterstützung holte und bei der Kabinettsbildung den rechten Flügel seiner Partei für sich zu mobilisieren wußte, erweist sich damit als ein Mann, der auf vielen Klavieren zu spielen weiß und dem es dabei doch gelingt, keinen Mißton in das Konzert dieser Instrumente zu bringen.
Schuldig bleiben muß er trotz aller finanzpolitischen Aktionen einen Großteil der Reformen, denn in der gegenwärtigen Konjunktur muß sich der Staat Zügel anlegen, soll sie nicht heißlaufen. Nicht ganz glaubwürdig ist die CDU/CSU-Opposition, die, und das ist ihr gutes Recht, jetzt die steuerliche Belastung und die mangelnden Reformen beklagt, ihren Wählern aber selbst vor der Wahl bei der Inflationsbekämpfung „Blut und Tränen“ und entschiedene, auf Kaufkraftabschöpfung zielende Maßnahmen angekündigt hat.
Schmidt muß jetzt noch mehr Kaufkraft abschöpfen, da er auch noch die Dollarmilliarden, die seit der Krise den Kreditmarkt aufblähen, wegbekommen muß. Sie hat er sich durch seine hartnäckige Weigerung zur Kursfreigabe oder Aufwertung der D-Mark eingehandelt. Diese Standhaftigkeit hat durch das Bekanntwerden des Umstands, daß man in der Bonner Regierung von der Absicht der USA, den Dollar abzuwerten, informiert gewesen sei, viel von ihrem Glanz verloren.
Die neue Währungskrise zeigte schließlich, daß die dirigistischen Maßnahmen Schmidts allein nicht ausreichten und die Abkehr von der Schillerschen Politik der Kursfreigabe nicht so erfolgreich war, wie zunächst erhofft. Wenn auch Schmidts Image dadurch wieder etwas leiden könnte, so hätte die Glanzzeit des Finanzministers doch gereicht, um entscheidende steuerpolitische Maßnahmen durchzusetzen.
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