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Digital In Arbeit

Der Wunsch war Vater des Gedankens

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Umstritten ist unter den Regierungsparteien, ob ein zweites Karenzjahr eingeführt werden soll oder nicht. Ende August äußerte sich dazu Frauenstaatssekretärin Johanna Dohna!: Kein zweites Karenzjahr, dafür aber Verkürzung der Arbeitszeit bis zum Schuleintritt des Kindes. Die Sinnhaftigkeit ihrer Forderung untermauerte Dohnal mit den Ergebnissen einer Studie, der-zufolge „ein Karenzjahr völlig ausreichend“ sei, denn „mehr könnte sogar schädlich sein...“

Einigermaßen überrascht, daß intensivere Kleinkindbetreuung schädlich sein sollte und daß die ideale Konstellation dann gegeben sei, „wenn beide Eltern berufstätig sind“, besorgteich mir die zitierte Studie der Arbeiterkammer aus den Jahr 1988.

In der Zusammenfassung der Studie steht es weniger apodiktisch: Unter teilzeitbeschäftigten Frauen finde man „hohe Arbeitsund damit verbunden auch Lebenszufriedenheit, die wieder eine überwiegend positive Rotte für das Familienklima, die Erziehungsentwicklung und letztlich die Kindesentwicklungen spielen“. Undbei diesen Müttern gäbe es ein „Entwicklungsbild der Kindespersönlichkeit, das durchaus das der Kinder überhaupt nicht berufstätiger Mütter übertrifft...“

Interessant! Aber wie sind die Autoren zu solchen Ergebnissen gekommen? Man muß sich durch den 540 Seiten dicken Wälzer durcharbeiten, um zu erkennen, wie fragwürdig diese Ergebnisse sind.

Stutzig werde ich schon bei der Beschreibung der Datenerhebung. Da wurden zwar beachtliche 1105 Haushalte mit mindestens einem Kind unter 15 Jahren befragt, aber die Persönlichkeit des Kindes nur bei den über 10jährigen direkt erhoben. Bezüglich der kleineren Kinder wurden die Mütter befragt. Selbst die Autoren stellen aber fest, daß die Übereinstimmung von Mutterbeurteilung und Selbstbeschreibung der Kinder (dort, wo man beides vergleichen kann) nicht ausreicht, um sich wirklich ein Urteil über die Situation der Kinder zu machen (Seite 335).

Fazit: Die Auswirkungen des Karenz] ahres werden in der Studie nicht unmittelbar, sondern ein Jahrzehnt danach erfaßt. Man kann sich vorstellen, wie präzise das ist.

Die Studie spricht von der „Lebenszufriedenheit'' teilzeitbeschäftigter Frauen. Schön. Bemerkenswert, was man diesbezüglich über die verwendeten Daten liest (Seite 175): „Hausfrauen wurden nicht nach ihrer körperlichen und nervlichen Verfassung gefragt und auch nicht nach ihrer allgemeinen Lebenszufriedenheit.“

Redlicherweise muß festgehalten werden, daß die Autoren „nachdrücklich daraufhinweisen, daß die dargestellten Ergebnisse vor dem Hintergrund dieser Tatsache zu beurteilen sind...'' Aber leider steht das auf Seite 176 und nicht in der Zusammenfassung, die jeder liestI

Unter den Tisch fallen in der Zusammenfassung auch viele Aussagen, die Ergebnisse relativieren. Unter anderen: „Vom Beruf belastete Mütter haben ebenso signifikant häufiger zu wenig Zeit für ihr Kind wie jene Frauen, die voll berufstätig sind und daher quantitative Zeitprobleme haben “ (Seite 223) - Kein Wunder, wie jedermann aus dem Alltag weiß.

„Die Berufstätigkeit der Mutter... (hat) weder einen direkten noch einen intervenierenden signifikanten Effekt auf den schulischen Erfolg der Kinder“ (Seite 267). Man staunt - aber jedenfalls kein Plus für Berufstätigkeit.

„Auch die Berufstätigkeit der Mutter wirkt sich global nicht auf die Gesamtpersönlichkeit aus...“ (S.365) - auch kein Pluspunkt.

„Einerseits wirft dieses Ergebnis wohl auch die methodische Frage nach ausreichender Relia-bilität (Zuverlässigkeit) der ausgewählten Testdimension auf, deren Prüfung einer eigenen Untersuchung bedürfte.“ (Seite 333) - Aber sie wurde sicherheitshalber nicht durchgeführt.

Bei genauem Hinsehen entdeckt man, daß die Ergebnisse eben alles andere als eindeutig sind. Und das ist auch nicht verwunderlich, wenn man jenen Maßstab betrachtet, der zur Beurteilung der Persönlichkeit der Kinder herangezogen worden ist. Er umfaßt folgendes:

Emotionale Erregbarkeit; Zurückhaltung und Scheu vor Sozialkontakten; Bereitschaft zu sozialem Engagement; Selbsterleben von allgemeiner Angst; Selbstuberzeugung hinsichtlich eigener Meinungen, Entscheidungen und Planungen; Selbsterleben von Unterlegenheit gegenüber anderen.

In der Studie wird positiv gewertet, wenn ein Kind kontaktfreudig, selbstbewußt, durchsetzungsfähig sowie wenig emotional erregbar und ängstlich ist - und das schon zwischen 10 und 14 Jahren, also in einer Umbruchsphase. Sind diese Eigenschaften nicht sehr ambivalent? Könnte man damit nicht auch rücksichtslose, überhebliche, kaltblütige, unsensible, abgebrühte Typen erfassen?Ich unterstelle es den Kindern nicht. Aber eindeutig positiv sind die Eigenschaften nicht. Um da klar zu sehen, müßte man genau die Fragestellung kennen.

So aber fällen die Autoren der Studie ein undifferenziertes Urteil und die möglicherweise sensiblen Kinder werden so gekennzeichnet: „ Offenbar erleben sich diese Kinder selbst als belastet und versuchen dies dadurch zu bearbeiten, daß sie anderen bei ihren Schwierigkeiten zu helfen bereit sind und sich allgemein sozial einsetzen.“ Das positive sozialeEngagement wird ins negative Bild der emotionalen Labilität hineingepreßt. Stichwort: Helfer Syndrom.

Und so merkt man der Studie rundherum die vorgefaßte Meinung an. Herauskommt, was herauskommen sollte. Aber, ob es die Realität beschreibt, bleibt weiterhin offen. Für ein zweites Karenzjahr einzutreten, wird durch diese Arbeit jedenfalls nicht zur unwissenschaftlichen Prinzipienreiterei abgestempelt.

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