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Der Zeitgeist im Literaturzirkus

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Es gibt Preise für den schönsten Pinscher, für den besten Rätselrater, für den schnellsten Läufer. Es gibt auch Preise für Musiker, für bildende Künstler und für Schriftsteller.

Die Schönheit eines Pinschers ist, so behauptet man, meßbar. Die Form der Ohren, die Länge des Schweifes, die Farbe müssen ganz bestimmten Erwartungen entsprechen. Auch mit dem Rätselrater und dem Läufer gibt es keine Probleme, zumal die Rätsel etwa in den Quiz-Sendungen des Fernsehens gar keine Rätsel sind. Wenn der Rätselrater weiß, wo Goethe geboren ist, wenn der Läufer als erster im Ziel eintrifft, bekommt er seinen Preis.

Kunst ist unmeßbar. Das Urteil über Kunst ist eine Sache des Ermessens.

Kunstpreise sind ihrem Wesen nach dubios. Cezanne bekam kei-

nen Preis. Heute gibt es einen Georg Trakl-Lyrikpreis und einen Franz Kafka-Preis, aber Trakl und Kafka erhielten keine Preise. Die Liste der Literatur-Nobel- Preisträger ist eine absonderliche Lektüre. Viele Namen sind selbst den Fachleuten unbekannt.

Bei der Vergabe von Kunstpreisen wird vieles in Betracht gezogen, was mit Kunst nichts zu tun hat: politische Rücksichten, persönliche Verbindungen, undefinierbare Regungen des individuellen Geschmacks, manchmal auch Geschäftsinteressen. Dennoch werden Kunstpreise von der Öffentlichkeit und sogar von Fachleuten ernst genommen. Die Preise fördern oder unterdrücken Kunstrichtungen, erleichtern oder erschweren die Vermarktung. Sie wecken Bewunderung und Neid. Sie ermutigen den einen und entmutigen den anderen. Sie geben vor, das Unmeßbare gemessen zu haben. Sie setzen Maßstäbe.

Zu den vielen Literaturpreisen ist vor sechs Jahren noch ein weiterer gekommen: der mit einem Wettlesen verbundene Inge- borg Bachmann-Preis in Klagenfurt. Vor wenigen Tagen wurde er der ausgezeichneten deutschen Autorin Friederike Roth zugesprochen.

Die Art, in der die Preisträger in Klagenfurt ermittelt werden, ist für die Übel unserer Zeit charakteristisch: sie ist in ihrer Geistlo-

sigkeit und Lächerlichkeit zeitgemäß.

Eine länger währende, stille und gründliche Beschäftigung mit den Autoren und ihren Texten ist im vorhinein ausgeschlossen. Alles wird, vor laufenden Kameras, im Augenblick oder in wenigen Stunden entschieden. Die Preisträger müssen nicht gute, sondern modische Literatur und darüber hinaus gute Figur machen. Die Mitglieder der Jury sollen vor allem wortgewandt sein. Mundwerk ersetzt das Werk.

Der einzige Vorzug dieser Vorgangsweise besteht in ihrer Ąuf- richtigkeit. Man gibt gar nicht vor, geistig anspruchsvoll, von den flüchtigen Launen der Mode unabhängig vorzugehen oder dem sogenannten Zeitgeist widersprechen zu wollen. Man will die zur Verfügung stehende Summe (in diesem Jahr der mit 120.000 dotierte Hauptpreis und verschiedene andere Preise im Wert von etwa 210.000 Schilling) nicht gerecht, sondern möglichst publikumswirksam verteilen.

Daß sich unter den Preisträgern auch begabte, ja bedeutende Autoren befinden, ist ein Wunder. Es ist allerdings kaum möglich, über ihre Bedeutung länger nachzudenken. Die Prozedur der Preisverleihung setzt einen Werbemechanismus in Bewegung. Werbung ist kostspielig, die Werbekosten müssen wieder eingebracht werden. Wer den Preis hat, muß also notwendigerweise auch bedeutend sein. Zweifel an seinem Talent verletzt Geschäftsinteressen. Hier wird die Komödie zur Tragödie. Daß man die Preisträger in Klagenfurt im Rahmen einer brutalen Show ermittelt, ist Sache der Teilnehmer. Daß man diesen Preis dann ernst nimmt, ist Sache der Literatur.

Der Klagenfurter Literaturzirkus ist in der Tat ein Zeitspiegel. Qualität wird bedenkenlos dem Geschäft geopfert; dem Publikum wird vor allem nicht Li teratur, sondern der Anblick eines Ringkampfes geboten; die Autoren dienen als billiges Fernsehfutter und werden dementsprechend demütigend behandelt. Der Kampf wird erbarmungslos geführt.

Diesen Tatbestand brachte während des letzten Wettlesens der deutsche Autor Rainald Götz durch ein sinnbildhaftes und entsprechend blutiges Happening zum Ausdruck. Die Zeitungsnotiz meldete knapp und sachlich: „Der 29jährige Autor fügte sich gegen Ende seines langen Vortrags mit einem spitzen Gegenstand eine tiefe Wunde auf der Stirn zu. Blutüberströmt trug der promovierte Mediziner die letzten Passagen seines Textes vor, der sich mit Vehemenz gegen Praktiken im kulturellen und literarischen Alltag, insbesondere aber gegen jene der Bachmann-Preis-Veran- staltung richteten.“

Warum Rainald Götz überhaupt nach Klagenfurt gefahren ist und sich — wenn auch unter blutigem Protest — den Praktiken der Veranstaltung unterwarf, wenn er das Spiel ohnehin längst durchschaut hat: auf diese Frage erhalten wir keine Antwort. Wir erfahren lediglich, daß der Star unter den Juroren, Marcel Reich- Ranicki, die Selbstverstümmelung des Autors als „literarische Leistung“ qualifizierte und damit die in Klagenfurt angewandten Kriterien für die Beurteilung literarischer Leistungen in schöner Offenheit umriß. Was wäre ein Zirkus ohne den erregenden Kitzel der Gefahr? Ab und zu ein wenig Blut in der Manege steigert die Erregung, und Literatur — nein, pardon: Ringkampf — ist keine Darbietung für schwache Gemüter.

Es besteht kein Zweifel daran, daß die Gründungsväter der brutalen, dafür aber wirkungsvollen Show für Klagenfurt, für das Fernsehen, für sich selbst und vielleicht auch für die Literatur nur das Beste wollten. War es nicht legitim, in der literarischen Ausstrahlung mit der Stadt Graz in Wettstreit zu treten? Mußte man die Grazer nicht durch ein gänzlich neuartiges Arrangement übertrumpfen? Die Sache kostete zwar Geld, aber die Goldkanäle der Umwegrentabilität sind nicht verstopft, die Stadt wird in den Medien oft genannt, das Fernsehen hat sein billiges Programm, und wenn dann Marcel Reich-Ranicki einmal so richtig loslegt, dann bleibt dem Publikum ohnehin nur die Wahl, dem großen Plauderer verzückt zu lauschen. Oder das Fernsehprogramm zu wechseln.

Die Autoren allerdings müssen an Ort und Stelle zuhören, sie sind durch das Geld, das sie erhofft haben, an ihren Plätzen festgebunden. Manche hoffen vielleicht, von einem Verleger, von einer Zeitung oder auch nur von einem einzigen stillen Verehrer entdeckt zu werden.

Maulaffend starrt die Öffentlichkeit auf das Ereignis, das ihr einerseits fremd—da literarisch —, andererseits aber vertraut ist. Denn auch in Klagenfurt vermengt man Ideen, Geschäft, Drang nach Publicity, Brutalität und Taktik ganz so wie überall — fast überall — in unserer Gesellschaft, vermischt alles vor aller Augen, ohne falsche Scham, ganz un-verschämt, und auch in Klagenfurt wird bar bezahlt.

Daß die wirklichen Schriftsteller, die Introvertierten, die Träumer, die Stotternden und leicht Errötenden, in der Arena meistens gar nicht erst erscheinen? Daß somit der Kreis im vorhinein auf einen ganz bestimmten Typus von Autoren beschränkt ist? Was außerhalb der Medien vor sich geht, existiert nicht. Wer im Bilde ist, ist gewiß auch auf dem Bildschirm.

Alles, woran Ingeborg Bachmann gelitten hat, woran sie letztlich zugrundegehen mußte, ist in diesem Kreis vereint. Der Preis trägt ihren Namen.

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