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Der Zölibat - Zeichen und Stolperstein

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Ein seltsames zeitliches Zusammentreffen: Da legt ein junger Kaplan sein Priesteramt nieder, weil er heiraten möchte, worauf einige andere Priester sich öffentlich zu Freundin(nen) und Kind(ern) bekennen - und kurz darauf wird ein Plakat affichiert, das den Kuß zwischen einem Priester und einer Nonne darstellt. Kein Wunder, daß eine heftige Diskussion über den Zölibat ausbricht.

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Ein seltsames zeitliches Zusammentreffen: Da legt ein junger Kaplan sein Priesteramt nieder, weil er heiraten möchte, worauf einige andere Priester sich öffentlich zu Freundin(nen) und Kind(ern) bekennen - und kurz darauf wird ein Plakat affichiert, das den Kuß zwischen einem Priester und einer Nonne darstellt. Kein Wunder, daß eine heftige Diskussion über den Zölibat ausbricht.

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Der Zölibat ist die für katholische Priester geltende „geistliche Standespflicht, nicht zu heiraten und in vollkommener Keuschheit zu leben" (Lexikon für Tneologie und Kirche, 1965). Daß die „vollkommene und ständige Enthaltsamkeit um des Himmelreiches willen" die Christus in der Bibel empfiehlt (Matthäus 19,12), „ein Zeichen und zugleich ein

Antrieb der Hirtenliebe und ein besonderer Quell geistlicher Fruchtbarkeit in der Welt" ist, hat das Zweite Vatikanische Konzil (Presbyterorum ordinis 16) betont. Zugleich merkten die Konzilsväter aber an, daß diese zölibatäre Enthaltsamkeit „nicht vom Wesen des Priestertums selbst gefordert" ist, „wie die Praxis der frühesten Kirche und die Tradition der Ostkirche" zeige. Dieses Konzil hat auch verheirateten Männern den Zugang zum Diakonat geöffnet (bei Verwitwung ist Diakonen allerdings keine weitere Eheschließung mehr möglich).

Bibelwissenschaftler nehmen heute mehrheitlich an, daß die meisten Apostel, auf jeden Fall Petrus, verheiratet waren, später aber setzte sich in der lateinischen Kirche - vor allem unter dem Einfluß des mittelalterlichen Reform-Mönchtums - die Verpflichtung aller Priester, nicht nur der Mönche, zur Ehelosigkeit durch. Das hatte auch den profanen Grund, das

Vererben von Kirchenbesitz an die Nachkommen eines Priesters zu verhindern. Wie locker die Sitten trotzdem, nicht nur unter den Renaissancepäpsten, sondern auch noch nach dem den Zölibat bekräftigenden Konzil von Trient (1545-1563) waren, zeigt drastisch das Beispiel des Salzburger Erzbischofs Wolf Dietrich von Raitenau (1559-1617), der mit seiner in Scheintrauung vermählten Geliebten Salome Alt 15 Kinder hatte.

In der Ostkirche ist seit jeher möglich, daß verheiratete Männer Priester (aber nicht Bischof) werden können, nach der Priesterweihe darf aber nicht mehr geheiratet werden. Doch auch die katholische Kirche läßt in bestimmten Fällen Verheiratete zur Priesterweihe zu:

□ wenn sie versprechen, in Zukunft enthaltsam zu leben (solche Fälle sind in jüngster Zeit aus Brasilien bekannt)

□ wenn sie den unierten Kirchen im Osten angehören

□ wenn verheiratete Priester aus anderen christlichen Glaubensgemeinschaften zur römisch-katholischen Kirche konvertieren und eine entsprechende Dispens bekommen (vor allem übertretende Anglikaner nutzten diese Möglichkeit).

Daß die Kirche verheiratete Konvertiten im Priesteramt akzeptiert, aber katholische Priester bei Eheschließung ihr Amt verlieren, ist nicht so unverständlich, wie es manchen erscheint.

Denn für Rom ist offenkundig unter jenen Sakramenten, die mit einer Lebensentscheidung zusammenhängen, das Sakrament der Priesterweihe unüberbietbar und hat daher das letzte zu sein. Insofern ist in Zukunft innerkirchlich sicher eher eine intensivere Diskussion zum Thema „viri probati" (Zulassung bewährter Ehemänner zum Priestertum) zu erwarten als zu den Themen Pflichtzölibat oder Weihe der Frau. Daß der Kirche in diesem Zusammenhang Sexualfeindlichkeit und eine Zurücksetzung des Sakramentes der Ehe gegenüber dem der Priesterweihe vorgeworfen werden, ist bekannt.

Daß der Zölibat als Zeichen einen Wert hat und für Ordensleute eine Verpflichtung bleiben soll, wird in der katholischen Kirche von kaum jemandem bestritten. Die Frage ist, ob ein allfälliges Abgehen vom Pflichtzölibat für Weltpriester jene, die weiterhin zölibatär leben wollen, aufwerten würde (so wie heute eine bis zum Tod geführte Ehe einen höheren Stellenwert hat als in jenen Zeiten, da Ehescheidungen gar nicht möglich waren). Es bestünde nämlich auch die Gefahr, daß Zölibatäre dann durchwegs als absonderlich oder homosexuell eingestuft werden. Die Kirche tut sicher gut daran, es sich sehr gründlich zu überlegen, bevor sie Änderungen der geltenden Regelung ins Auge faßt.

Mit Pauschalurteilen kommt man nicht weiter. Es gab und gibt zweifellos viele Priester, die „um des Himmelreiches willen" auf Frau und Familie verzichten und sich ganz in den Dienst ihrer Mitmenschen stellen. Und es gab und gibt Priester, denen dies nicht gelingt, wobei manche dafür öffentlich die Konsequenzen zu tragen bereit sind (was man noch nicht als „Heldentat" werten sollte), andere nicht (was doch auf eine gewisse „Doppelmoral" hinweist). Muß es hier Doppelmoral geben? Entscheidend wird sein, wie die Kirchenleitung die den Zölibat nicht durchhaltenden Priester behandelt - ob als „Abtrünnige", als „Versager" oder als Menschen, die zwar ein großes Ziel (das andere gar nicht erst ins Auge fassen) verfehlt, aber der Kirche trotzdem oft wertvolle Dienste geleistet haben und weiter leisten könnten.

Da es sich um kein unveräußerliches Glaubensgut handelt (das auch gegen Mehrheiten verteidigt werden müßte), ist die Frage nach dem Prozentsatz der betroffenen Priester berechtigt. Genaue Zahlen liegen zu einem so heiklen Thema naturgemäß nicht vor, allenfalls ist aus den Ordinariaten die Zahl der Weltpriester, die in den letzten Jahren aus dem Amt geschieden sind, zu erfahren. Als sicher gilt, daß es um das Jahr 1970 mehr waren als in allerletzter Zeit.

Bischof Johann Weber gab die „Ausfallquote" für die Diözese Graz seit 1967 mit 6,9 Prozent an. Im letzten Jahrzehnt haben in der Diözese Gurk-Klagenfurt vier, in der Erzdiözese Salzburg fünf, in der Diözese Linz zwölf (dort weiß man auch von neun Stiftspriestern), in der Erzdiözese Wien acht Priester ihr Amt aufgegeben. In der Diözese Feldkirch sollen es seit ihrem Bestehen (1968) etwa 17 Priester gewesen sein. Herbert Bartl von der „Arbeitsgemeinschaft Priester ohne Amt" schätzt, daß es in Österreich insgesamt über 500 Priester ohne Amt gibt, von denen bei 95 Prozent Zölibatsprobleme entscheidend für ihr Ausscheiden waren.

Seine Frau Rosa Bartl koordiniert die „Initiative vom Zölibat betroffener Frauen". Dieser gehören über 50 Frauen an, die eine geheime Liebesbeziehung zu einem Priester haben, „mitunter zu einem solchen, der öffentlich den Zölibat lautstark verteidigt", wie Rosa Bartl anmerkt. Sie und ihr Mann meinen, daß zumindest 50 Prozent der Priester zeitweise Zölibatsprobleme haben und einige (sicher ein geringerer Prozentsatz) auch in Dauerbeziehungen leben, was am Land von der Bevölkerung oft toleriert werde. Herbert Bartl weiß auch von zwei Priestern zu berichten, die ihr Amt wegen Eheschließung aufgeben mußten, aber nach Verwit-wung beziehungsweise Scheidung der nur standesamtlich geschlossenen Ehe wieder aktiv werden konnten.

Aufschlüsse könnte natürlich eine strikt anonyme Umfrage unter Priestern geben. In der Dritten Welt ist das Thema vermutlich noch brisanter als in Europa. Der mexikanische Erzbischof Bartolome Carrasco (Oaxa-ca), in Lateinamerika als Pionier der „Option für die Armen" geschätzt, meldete voreinigen Jahren nach Rom, daß in seiner Diözese 70 bis 75 Prozent der Priester Schwierigkeiten mit dem Zölibat hätten. Sofort bekam er aus Rom einen Koadjutor „mit besonderen Vollmachten" zur Seite gestellt, der sich um die „Disziplin des Klerus und die Überwachung des Diözesan-und Regionalseminars" kümmern sollte. Wen wundert es, daß der Bericht einer Dekanatskonferenz einer österreichischen Diözese, der angeblich ähnliches Zahlenmaterial enthält (70 Prozent der Priester sollen zumindest zeitweise Zölibatsprobleme haben), unter Verschluß gehalten wird? Ist der Eindruck falsch, daß die Kirchenleitung im Grunde niemanden wissen lassen, ja vielleicht selbst gar nicht wissen will, wie groß das Problem ist?

Man kann sicher gute Gründe sowohl für die Beibehaltung als auch für die Abschaffung des Pflichtzölibats finden. Aber um eine ehrliche Auseinandersetzung mit dem Ausmaß des Problems unter den gegenwärtigen Bedingungen wird die katholische Kirche auf die Dauer nicht herumkommen.

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