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Der Zugang zur Heiligen Schrift muß dem Glaubenden offen stehen

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Pius Parsch, der vor 24 Jahren verstorbene Initiator einer volkstümlichen Bibel- und Liturgiebewegung, stellte gegen Ende seines Lebens fest, daß es die Liturgiebewegung in der katholischen Kirche leichter gehabt habe als die Bibelbewegung. Diese - meinte Parsch - sei nach vielen erfolgreichen Ansätzen immer wieder dazu verurteilt gewesen, zu versanden. Wer im April den Kongreß auf Malta miterleben durfte, konnte feststellen, daß die katholische Bibelbewegung ihre Anfangsschwierigkeiten nun überwunden hat. Eine von der Bibel getragene Verkündigung und Lebensgestaltung ist weltweit Wirklichkeit geworden.

Schon in seiner Eröffnungsansprache wies Kardinal Franz König, der Präsident der Katholischen Bibelföderation seit ihrer Gründung, auf die zentrale Stellung der Bibel im Leben der heutigen Kirche hin: Das Hauptanliegen biblischen Apostolates liege nicht so sehr im Interpretieren biblischer Texte als in der „Interpretation des Lebens im Lichte der biblischen Aussagen“.

Damit ist schon die Crux zurückliegender bibelpastoraler Bemühungen

aufgezeigt: Die da und dort bestehende Bibelstunde etwa wurde oft gerade von denen nicht besucht, die in einer Pfarrgemeinde die Hauptverantwortung tragen. Die Bibel ist eben nicht ein Seelsorgemittel neben vielen anderen; sie hat ihren Platz im Zentrum des christlichen Lebens.

Das Zweite Vatikanische Konzil hat der Bibel in eindeutiger Konsequenz diese Stellung eingeräumt: Die Mitte der Lehre, der Frömmigkeit und der Lebensgestaltung ist die Botschaft der Heiligen Schrift. Darum auch der Appell im sechsten Kapitel der Konstitution „Über die göttliche Offenbarung“: „Der Zugang zur Heiligen Schrift muß für die an Christus Glaubenden weit offen stehen“ (Artikel 22).

Seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil hat das Interesse für die Bibel

unter den Katholiken ungemein zugenommen, was allerdings nicht nur auf die Tätigkeit der überall neu entstandenen Bibelwerke zurückzuführen ist, sondern auf die innere Entwicklung

der nachkonziliaren Kirche. Die Bibel gelangte mehr und mehr in das Bewußtsein der Gläubigen durch die neu gestaltete Liturgie und Katechese, durch die Gottesdienste und Ansprachen, die im Hörfunk und Fernsehen ausgestrahlt werden.

Manche hatten allerdings den Eindruck, daß die Kirche den hoffnungsvollen Trieb auch gleich wieder vernichten wollte: Die - ebenfalls durch das Konzil neuerlich geförderte -„moderne“ Bibelwissenschaft ließ in den Augen ängstlicher oder schlecht informierter Beobachter der kirchli-schen Szene den Eindruck entstehen, daß man der Bibel nicht mehr recht trauen wolle, vor allem, was ihre Aussagen betrifft, die über allgemein menschliche Erfahrungen hinausgehen.

In Malta gaben die Vertreter der katholischen Bibelwerke zu erkennen, daß in ihren Augen kein Widerspruch zwischen heutiger bibelwissenschaftlicher Erkenntnis und spirituellem Zugang zur Bibel vorhanden sei. Man wandte sich daher auch entschieden gegen neuerlich zu beobachtende naiv-fromme Tendenzen in der Bibelauslegung, bekannt unter dem Namen „Fundamentalismus“, die in den letzten Jahren vor allem in manchen charismatischen Gruppen zugenommen haben. Nur auf Grund exegetischer Vorarbeit kann überhaupt erst der Sinn der Bibeltexte erfaßt, erst über eine theologische Reflexion in Ubereinstimmung mit dem Glauben der Kirche können die Themen christlicher Verkündigung erarbeitet werden. Diese theologischen Aussagen der Bibel geben erst die Motivation zum Glauben und Handeln. Auslegung, Meditation und Realisierung liegen also auf einer Linie und bilden nicht voneinander unabhängige Bereiche. Jede Trennung schafft Einseitigkeit und damit Verwirrung.

Besonders erfreulich war, daß man auf Malta eine weitgehende Ubereinstimmung in den Auffassungen der Bibelwerksleiter - es waren immerhin 42 Nationen vertreten - beobachten konnte. So herrschte etwa Klarheit über die schon in der Eröffnungsrede von Kardinal König aufgestellte Meinung, daß biblisches, Apostolat sich nicht in Ubersetzen und Verteilen von Bibelausgaben erschöpfen dürfe. Ebenso klar war auch, daß nicht die Vermittlung einzelner Bibeltexte vor dem Verkünden der biblischen Botschaft an sich den Vorrang habe. Wohltuend wirkte in diesem Zusammenhang auch die Feststellung eines Gastes, des Leiters der protestantischen Bibelgesellschaft Italiens, daß man sich heute auch in Kreisen der United Bible Societies darüber im klaren sei, daß neben der Herstellung und kommentarlosen Verbreitung der Bibel auch die pastorale und spirituelle Aufgabe gesehen werden müsse.

Das tiefste Erlebnis auf Malta war das Zeugnis der Teilnehmer der Dritten Welt. Der neu aufblühende christliche Glaube in diesen Ländern wäre ohne die Kraft der B ibel nicht denkbar. Dem nüchternen Europäer wurde erneut bewußt, was unter „Inspiration“ zu verstehen ist, wenn er die Begeisterung der Afrikaner, die seelische Kraft der Asiaten und die Ergriffenheit der Südamerikaner erlebt hat. Sie fühlen sich von Gott angesprochen, und sie finden ihren christlichen Glauben in den Worten der Bibel artikuliert. Trotz dieser Bibelnähe ist nichts von Bibli-zismus zu merken: Ein afrikanischer Laie begrüßte die Existenz der Katholischen Bibelföderation, weil hier eine katholische Identität bestehe und kirchliche Lehre ausgesprochen werde.

Wertvoll für den Teilnehmer war der Austausch über bibelpastorale Arbeit. Auch hier eine weltweite Übereinstimmung: Uberall bilden sich kleine Gruppen, in denen die Bibel gelesen wird und in denen man sich bemüht, christliches Leben zu verwirklichen.

Uberall aber auch das Bestreben, in der Kirche zu bleiben, nicht auszubrechen, sondern Sauerteig zu sein. Uberall gibt es Zusammenarbeit mit Christen anderer Konfessionen, vor allem mit Protestanten, überall findet man Zusammenarbeit zwischen katholischen Stellen und den Bibelgesellschaften, allerdings mit verschiedenen Erfahrungen.

Auch die Zusammenarbeit katholischer Bibelwerke in Großräumen ist im Kommen: Die „Arbeitsgemeinschaft Mitteleuropäischer Bibelwerke“ (AMB), die vom österreichischen Bibelwerk in Klosterneuburg mitgetragen wird, wurde immer wieder als Modell vorgestellt

Kardinal Bea hat vor zehn Jahren, wenige Monate vor seinem Tod, Mitarbeiter bibelpastoraler Zentren aus aller Welt zusammengerufen, um ihnen einen Herzenswunsch mitzuteilen: Eine weltweite Gemeinschaft für katholisches Bibelapostolat soll gegründet werden. Ein Jahr nach diesem Zusammentreffen wurde die World Ca-tholic Federation for the Biblical Apostolate (WCFBA) gegründet, heute hat sie vor allem dank des Einsatzes des Generalsekretärs van der Valk 41 Vollmitglieder, die offizielle Stellen nationaler Bischofskonferenzen sind. Seit der denkwürdigen Begegnung mit Kardinal Bea kann aber mehr verzeichnet werden als eine organisatorische Großleistung: Die Feststellung, daß die Bibel mehr und mehr als Buch der Kirche zum Lebensbuch der Christen wird.

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