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Der Zwang zum Monopol

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Neue Technologien fordern das Informationsmonopol des österreichischen Rundfunks heraus. Eine veraltete Mediengesetzgebung hinkt den heutigen Anforderungen hinterher.

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Neue Technologien fordern das Informationsmonopol des österreichischen Rundfunks heraus. Eine veraltete Mediengesetzgebung hinkt den heutigen Anforderungen hinterher.

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In einem lesenswerten Artikel in der April-Ausgabe der Europäischen Grundrechte-Zeitschrift, dessen Grundgedanken ich hier skizzieren möchte, setzt sich der Professor für Öffentliches Recht und Linzer Rechtsanwalt, Bruno Binder, mit dem de-facto-Rundfunkmonopol des ORF auseinander. Er stellt die Frage, inwieweit dieses im Hinblick auf die modernen europäischen Entwicklungen (Privatfernsehen, Kabelfernsehen, Satellitenfernsehen) verfassungsrechtlich noch vertretbar ist.

Binders Ausgangspunkt ist hierbei der seit 1959 innerstaatlich im Rang eines österreichischen

Verfassungsgesetzes stehende Artikel 10, Absatz 1, der „Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten“ (EMRK). Danach steht die „Rundfunkfreiheit“, d.h. die Freiheit zum Empfang und zur Mitteilung von Nachrichten, grundsätzlich jedermann zu, wie der österreichische Verfassungsgerichtshof in seiner Entscheidung vom 16. 12. 1983 (Aktenzeichen B 7/80) auch feststellte.

Nach Absatz 2 dieses Absatzes dürfen die Staaten jedoch „Genehmigungsverfahren“ für die Tätigkeit von Rundfunk- und Fernsehunternehmen beschließen - das bedeutet aber, daß grundsätzlich auch private — nicht als öffentlich-rechtliche Anstalten konstruierte — Unternehmen Rundfunk betreiben dürfen.

Im Jahr 1974 erging im Einklang mit der EMRK das österreichische Bundesverfassungsgesetz (BVG-Rundfunk) über die Sicherung der Unabhängigkeit des Rundfunks, wo in Artikel I Absatz 2 ausdrücklich der Bundesgesetzgeber zur Ausgestaltung des Rundfunkwesens aufgerufen wird, wobei aber ausdrücklich Von der „öffentlichen“ Aufgabe des Rundfunks die Rede ist. Bisher ist in diesem Zusammenhang einzig die österreichische Rundfunk Ges.m.b.H. (ORF) im Jahre 1974 durch ein spezielles ORF-Gesetz ermächtigt worden.

Auch Österreichs Oberster Gerichtshof hat in einer Entscheidung, in der es um die Verwehrung der Eintragung einer Kabel-fernseh-Gesellschaft ins Handelsregister ging, hartnäckig am de-facto-Monopol des ORF festgehalten. Binder behauptet nun, dieses Spannungsverhältnis zwischen dem verfassungsrechtlich und völkerrechtlich gesicherten „Jedermann“-Recht und dem bundesgesetzlich abgesegneten de-facto-Monopol lasse sich nur dann lösen, wenn wirklich .Jedermann“ die — nicht nur theoretische — Möglichkeit erhielte, ein Konzessionsverfahren in Gang zu setzen. Binder kommt zu dem Ergebnis, daß die Betrauung eines Monopolisten mit Rundfunk ein Verstoß gegen Artikel 10 EMRK sei.

Er erwähnt in diesem Zusammenhang die auch vom westdeutschen Bundesverfassungsgericht bezüglich ARD und ZDF „genehmigte“ Monopolisierung öffentlich-rechtlichen Rundfunks, obwohl in Artikel 5, Grundgesetz (BRD) ausdrücklich bezüglich der Meinungsfreiheit von einem „Jedermann“-Recht die Rede ist und das deutsche Gericht betont, die Meinungsfreiheit sei „eines der vornehmsten Menschenrechte

überhaupt“ und für „die freiheitliche Demokratie schlechthin konstituierend“.

Dem ist meiner Meinung nach entgegenzuhalten, daß zwar in der frühen Rechtsprechung des bundesdeutschen Verfassungsgerichts die ernsthafte Diskussion über Privatrundfunk mit Hinweis auf die rundfunkhistorisch gewachsene öffentlich-rechtliche Konstruktion abgelehnt wurde, wobei die hierbei bedeutende Rolle der Besatzungsmächte im Nachkriegsdeutschland nur kurz gestreift wurde; spätestens seit dem sogenannten „dritten Fernsehurteil“ hat das Gericht eine vorsichtige Korrektur vorgenommen und hält die Betreibung privaten Rundfunks nicht mehr für ausgeschlossen.

Dieser Umschwung war infolge der veränderten technischen Möglichkeiten (zusätzliche

UKW-Frequenzen, Kabelanschluß, Fernmeldesatelliten, direkt empfangbare Weltraumsatelliten) längst fällig. Detailliertere Äußerungen — insbesondere zu den gesetzlichen Mindestanforderungen, denen ein privates Rundfunkunternehmen genügen muß — stehen freilich noch aus. Sie werden in der BRD allseits mit Spannung ab Herbst 1986 erwartet, wenn das Verfassungsgericht

die Landesmediengesetze Niedersachsens und Baden-Württembergs zu prüfen haben wird.

Eine ähnliche Kehrtwendung ist — worauf Binder auch hinweist — seit 1976 bei Entscheidungen der Europäischen Menschenrechtskommission zu beobachten, die neben dem Europäischen Gerichtshof als Beschwerdeinstanz über die Einhaltung der Menschenrechte wacht.

Binder fordert, um Artikel 10 EMRK Genüge zu tun, die Einrichtung eines nach rechtsstaatli-chen Grundsätzen gestalteten Verwaltungsverfahrens mit Parteienstellung des Konzessionsbewerbers und Entscheidungspflicht der Behörde. Er kommt somit zu dem auf den ersten Blick erstaunlichen Schluß, daß das bisher praktizierte Konzessionssystem zwar verfassungsgemäß, aber in seiner Ausschließlichkeit gleichzeitig konventionswidrig ist.

Hier, meine ich, spricht Binder in der Tat einen grundrechtlich sehr empfindlichen Bereich an. Dies wird am westdeutschen Beispiel des - noch illegal—betriebenen Freiburger Hörfunksenders

„Radio Dreieckland“ deutlich, der bisher verbissen und erfolglos versucht, zu einer Sendelizenz zu gelangen. Diese jedoch wurde bisher verweigert, weil der Frequenzplan für Freiburg nur eine neue Hörfunkfrequenz vorsieht, um die sich aber mindestens drei potentielle „Rundfunkmacher“ bewerben.

Daß aber im Interesse der Meinungsvielfalt auch „kommerz-freier Lokalrundfunk“ Chancengleichheit erhalten sollte, scheint mir rechtsstaatlich geboten. Die Regierung Nordrhein-Westfalens hat sich jedenfalls — wohl auch im Hinblick auf die „zarten, privat-rundfunk-freundlichen“ Andeutungen des Verfassungsgerichts entschlossen, dieses Problem durch Vorlage eines entsprechenden Mediengesetzentwurfes anzugehen; dennoch dürfte das Problem letztlich nicht durch die Exekutive, sondern nur durch größtmögliche Ubereinkunft in und zwischen den Länderparlamenten lösbar sein.

Zweckmäßigerweise gilt es dann aber auch, Kriterien für die Vergabe von Lizenzen an Pres-

seunternehmen zu finden, um Meinungs- und Machtkartelle zu verhindern. Weiters wären Regelungen bzgl. Werbezeiten und Finanzierung (Gebührenprinzip, Sponsorsystem oder Abonnementsystem?) vonnöten.

Bei unveränderter Gesetzeslage bleibt - worauf Binder sehr entschieden hinweist — die rundfunkrechtliche Merkwürdigkeit, daß einerseits die Meinungsäußerung des einzelnen — d.h. gerade die subjektive, nicht ausgewogene Meinung — verfassungsrechtlich geschützt ist.

Wer aber schriebe — so Binder — den Inhabern von Printmedien die inhaltliche Ausgewogenheit ihrer Produkte vor? Und wie sollte etwa das Rundfunkprogramm einer politischen Partei oder einer Religionsgemeinschaft aussehen, verlangte man von ihr Ausgewogenheit?

Anders als das in der Mediengesetzgebung infolge seiner föderalistischen Struktur heillos zersplitterte Nachbarland BRD wäre Osterreich in der glücklichen Lage, diese Fragen bundeseinheitlich umfassend — und damit für andere europäische Länder vielleicht richtungsweisend — zu regeln.

Der Autor ist Jurist und Musikdramaturg in Wien.

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