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Der Zweite im Staat als Zuspitzer?

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Verfassung und Gesetz machen den Präsidenten des Nationalrates zum Wächter des Parlamentarismus. Er wacht insbesondere darüber, "daß die Würde und die Rech-te des Nationalrats gewahrt, die dem Nationalrat obliegenden Aufgaben erfüllt und die Verhandlungen mit Vermeidung jedes unnötigen Aufschubes durchgeführt werden. Er handhabt die Geschäftsordnung , achtet auf ihre Beobachtung und sorgt für die Aufrechterhaltung der Ruhe und Ordnung im Sitzungssaale..."

Er ist Hausherr im Hohen Haus und "übt das Hausrecht im Parlamentsgebäude aus und erläßt nach Beratung in der Präsidialkonferenz die Hausordnung." Er ist Hausva-ter des Parlamentes, in dem er den Voranschlag erstellt und über die finanzgesetzlichen Ansätze des Bundesvoranschlages verfügt. Er ist Chef der Parlamentsbediensteten und kann den parlamentarischen Klubs Bedienstete der Par-lamentsdirektion zu Dienstleistung zuweisen.

Der Präsident hat Aufgaben, die unparteiisch und fair erfüllt werden müssen. Deshalb soll er stark und unabhängig sein. Überlegenheit, Gelassenheit, höfliche Bestimmtheit, Geistesgegenwart, Humor und auch Mut sind gut für dieses Amt. Die wichtigste Aufgabe ist die Vorsorge für die effiziente, disziplinierte und würdige Arbeit des Parlamentes.

In anderen Staaten tritt der Präsident mit Amtsübernahme aus seiner Partei aus und nimmt an Debatten und Abstimmungen nicht teil. Er enthält sich auch der Stel-lungnahme zu politischen Problemen in der Öffentlichkeit. Bei uns besteht eine andere Tradition, so-daß auch politisch agierende Präsi-denten möglich sind. Der Zweite im Staat kann möglicherweise in der Zukunft mehr reden als der Erste. Wenn er etwas zu sagen hat, so wird er auch zu reden haben.

Allerdings kann eine aktive Amtsauffassung in der Öffentlichkeit und unter den Fraktionen des Parlaments Konflikte bedeuten. Ein Amtsträger, der für die Aufrechterhaltung der Ruhe und Ordnung, der Sitte und des Anstandes sorgen soll und der Zustimmung vieler bedarf, tut sich als Zuspitzer in der Politik schon vom Amt her schwer. Ein Präsident, der Unruhe stiftet, wird von der Öffentlichkeit wenig akzeptiert werden.

Das Wächteramt des Präsidenten ist eher zum Sehen und Schauen bestimmt. Sehen, was ist, verlangt eher einen sicheren Standort. Das parlamentarische Regierungssystem ist immer wieder gefährdet. Es bedarf der Wächter, die für Ordnung und Freiheit von Volksvertretung und Volksvertretern sorgen. Das Regierungssystem ist durch die Entwicklung vom Zwei- zum Vierparteiensystem labiler geworden. In diesen Übergangszeiten haben die Präsidenten stabilisierende und wegweisende Funktionen. Die Präsidenten müssen auch Hüter der Rechte der Minderheit sein.

Die drei Präsidenten sind der Möglichkeit nach auch Träger der Bundespräsidentschaft. Denn auf das Kollegium der drei gehen bei Erledigung oder einer länger als 20 Tage dauernden Verhinderung des Bundespräsidenten alle seine Funktionen über. Damit zeichnet sich auch eine verfassungspolitische Möglichkeit ab: Die Bundespräsidentenschaft einmal durch die Parlamentspräsidentschaft zu ersetzen", die "Zweiten" der Republik zu "Ersten" zu machen. Heute ist diese Möglichkeit eher individuell als allgemein politisch gegeben. Die Parlamentspräsidenten haben das Parlament aufgewertet. Nicht zuletzt deshalb, weil sie keinen anderen Beruf haben. Sie wur-den nicht deshalb Präsidenten, weil sie wo anders Präsidenten sind.

Alle drei sind Vollblutpolitiker und alle drei haben Erfahrungen im Staat, mit dem Staat und durch den Staat. Alle drei haben höhere Ränge in ihren Parteien. Sie können auf Grund ihrer Autorität innerhalb ihrer Parteien durchaus Politik machen. Ob sie es machen wollen ist eine Sache für sich.

Alle drei sind Juristen. Alle drei kennen ihre Beziehungen von Macht und Recht. Alle drei waren mit ihrer Partei sowohl in der Regierungsais auch in der Oppositionsfunktion. Zwei waren Minister in unter-schiedlichen Koalitionsregierungen. Können sie militante Staatsmänner und Staatsfrau auch gegen die eigene Partei werden?

Das parlamentarische Leben ist ritualisiert und rationalisiert. Aber immer wieder gibt es Zufälle und Überraschungen. Eine neue Gewaltenteilung wäre auch eine Überraschung. Eine solche Gewaltenteilung wäre umso wichtiger, als die zwei Großparteien rund 75 Prozent der Wählerstimmen auf sich vereinigend im Nationalrat eine übergewichtige Mehrheit haben.

Der Autor ist Professor für Rechtslehre, Prärektor der Universiät für Bodenkultur und Dritter Präsident des Wiener Ländtages a.D.

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