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Design aus Italien

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Das Problem der schönen Industrieform wurde in England schon zu Beginn der ersten Industrialisierung erkannt, als man bereits 1754 die Royal Society of Arts gründete, um die Einheit von „Kunst und Handel“ zu fördern. Die Bestrebungen von William Morris und John Ruskin im

19. Jahrhundert, die auch eine Reaktion auf die Geschmacklosigkeiten der Industrie darstellten, zielten in dieselbe Richtung.

Die Bewegung des „art nouveau“, die die Kunst auch für den Gebrauchsgegenstand beanspruchte, rief 1907 den Deutschen Werkbund hervor, der Standardentwürfe in Hinblick auf Brauchbarkeit für die industrielle Fertigung schaffen wollte. Als Walter Gropius 1918 die Nachfolge von Henry van de Velde in Weimar antrat und das Staatliche Bauhaus gründete, wurde dieses in den Jahren nach dem ersten Weltkrieg eine Pionierstätte, an der Techniker und Künstler unter der Leitung von Architekten industrielle Entwürfe jeder Art in Angriff nahmen. Von dort strahlten die Grundgedanken in alle Welt, und nach der Schließung des Bauhauses durch die neuen Machthaber setzten die meisten* seiner Schüler und Lehrer in der Emigration die Arbeit fort.

Italien nimmt, vor allem seit dem zweiten Weltkrieg, auf dem Gebiet des Industrial Design eine internationale Spitzenstellung ein, die seinen Entwerfern weltweite Anerkennung und Bewunderung eingebracht hat. Diese Leistungen werden nun durch eine große und faszinierende Ausstellung im Museum des

20. Jahrhunderts belegt, die unter dem Titel „Industrial Design aus Italien“ von der Mailänder Triennale im Auftrag der italienischen Ministerien für Äußeres und Unterricht zusammengestellt wurde. Sie zeigt eingangs eine Dokumentation in Photographien und Einzelstücken, die mit dem Einfluß der Futuristen (Balla, Prampolini) beginnt und die Entwicklung der Industrieform zwischen den Kriegen demonstriert. Gegenstände, die zwischen 1951 und 1960 entstanden, bilden eine Brücke zur Gegenwartsproduktion und weisen die Kontinuität der Entwicklung und der Formensprache nach. Findet sich auch eine gewisse Verwandtschaft zum Bauhaus in der Benützung von stereometrischen Grundformen, die oft nur leicht abgewandelt werden, so zeichnet sich doch der „italienische Stil“ durch größere Wärme, ein stärkeres Gefühl für Plastizität, Maß, rationale Klarheit, Ausgewogenheit und ingeniöse Einfälle aus. Die elementare Einfachheit der Formgebung erreicht oft Monumentalität und bestechende Eleganz.

In der Ausstellung findet man von den zu recht berühmten Karosserien aus Turin (Bertone und Pininfarina) bis zum Füllfederhalter, vom Kleincomputer (Olivetti) bis zum neuen funktionellen Aschenbecher und von der Quarzuhr bis zum stapelbaren Eßgeschirr wirklich begeisternde ästhetische und funktionelle Lösungen, die dem Verlangen von Louis Sullivan, daß die Form der Funktion zu folgen habe, entsprechen. Selbst traditionelle Verarbeitungsmethoden wie rohrgeflochtene Sessel haben neue und überzeugende Formen gefunden. Nur bei ganz wenigen Objekten ist die Form vielleicht Selbstzweck im Sinn verspielter Uberfei-nerung, eines Gags oder betonter Ideologie geworden, wie etwa in einem Traktorensitz-Stahlhocker, dem düsteren „Golem“-Sessel oder dem häßlichen „Serpentone“-Diwan. Daß Preisangaben fehlen, ist eigentlich zu bedauern, da dadurch nicht ersichtlich wird, ob — zumindest nicht in Italien wie bei uns — das schöne Serienprodukt Luxusgegenstand bleibt.

Die Ausstellung beweist nicht nur den disziplinierten Einfallsreichtum und das sichere ästhetische Können der italienischen Entwerfer, sondern auch, daß es durchaus möglich ist, dem seriellen Gebrauchsgegenstand die Würde überzeugender Schönheit zu verleihen und damit Alltag und Umwelt zu gestalten. Es ist zu wünschen, daß von dieser Schau — die wichtiger und begeisternder als manche sogenannte „Kunst“-Aus-stellung erscheint — wieder Anregungen auf Österreichs Architekten und Entwerfer, die einst selbst internationale Anreger waren, ausgehen mögen, daß sie vor allem aber auch auf das Publikum geschmacksbildend wirkt.

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