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Deutsch-deutscher Frost

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Am deutsch-deutschen Fenster haben sich Eisblumen niedergeschlagen. Seit die DDR die Zwangsumtauschsätze für Besucher aus dem Westen um fast das Doppelte auf 25 Mark erhöht hat, sind die Entspannungspropheteo der Bonner Regierungskoalition still geworden. Nach einem wiederholten Tritt vors Schienbein, der diesmal erheblich heftiger ausfiel als bislang, hat sich die Bundesregierung aufs Nachdenken verlegt.

Auch wenn sie noch ein wenig die Hoffnung hegen sollte, daß ihre Entspannungsphilosophie nicht völlig absurdum geführt worden ist, der rüde Schritt der DDR hat zuviel kaputt gemacht, als daß es im innerdeutschen Verhältnis so weiter gehen kann, wie bisher.

Dabei kam die Maut-Verfügung der DDR nicht völlig überraschend. Seit einiger Zeit schon befürchteten in Bonn hohe Beamte aus dem Kanzleramt, daß angesichts des polnischen Frühlings im Herbst die DDR irgendwann reagieren müsse. Doch solches wurde allenfalls hinter vorgehaltener Hand erörtert, um unangenehme Turbulenzen in der Schlußphase des Wahlkampfes zu vermeiden.

Honecker war denn auch so ein-

sichtsvoll, bis nach dem 5. Oktober zu warten, um, wiedie DDR-Nachrichtenagentur ADN zynisch meldete, Helmut Schmidt nicht zu schaden.

Allerdings war diese Abschottungsaktion keine originäre Ostberliner Maßnahme. Der Befehl dazu kam aus Moskau. Man kann eingeweihten im deutsch-deutschen Polit-Poker die Einschätzung durchaus glauben, daß wäre es nach Honecker gegangen diese schroffe Aktion nicht durchgeführt worden wäre. ^

Aber der SED-Chef hatte von Moskau ein deutliches Signal erhalten: Um einmal zu verhindern, daß die polnischen Freiheitsgelüste auf die DDR-Bevölkerung abfärben könnten und zum zweiten, um einer möglichen Intervention in Polen ein Klimasturz-Präludium voranzuschicken, empfahl der Kreml verstärkte Abgrenzung.

In diesem Sinne ist auch Honeckers Rede vier Tage nach der drastischen Drosselung des Reiseverkehrs in Gera zu verstehen, wo der SED-Chef die An-

erkennung einer DDR-Staatsbürgerschaft durch Bonn und die Aufwertung der sogenannten ständigen Vertretungen in Bonn und Ost-Berlin zu Botschaften verlangte. Er tat dies, wohl wissend, daß die Bundesrepublik solchen Wünschen in keinem Fall nachkommen kann, weil ihnen ein Verfassungsgebot des Grundgesetzes entgegensteht.

Die Ratlosigkeit in Bonn ist besonders groß, weil man wieder einmal feststellen mußte, daß das Vertragswerk mit dem Osten keine Möglichkeiten eröffnet, auf Häßlichkeiten der östlichen Seite effektiv zu reagieren - es sei denn, man beantwortete Vertragsbrüche mit gleicher Münze.

Doch dazu mag sich in Bonn niemand durchringen, auch die Opposition nicht, die im Vergleich zu dem großen Hammer, den sie bei früheren derartigen Gelegenheiten stets geschwungen sehen wollte, diesmal auch nur für einen Löffel plädiert, mit dem man Honecker auf die Finger klopfen solle. In-

vdes, der Nutzen ist zweifelhaft, ob heftig oder zurückhaltend reagiert wird, bei allen Gegenmaßnahmen, die Bonn in Erwägung ziehen kann, bleibt stets als absolute Orientierungsmarke die Insellage Berlins.

Noch immer hat die DDR hierdurch die Oberaufsicht über die Transitverbindungen ein Unterpfand für Wohlverhalten seitens der Bundesrepublik in der Hand. Jeder Vertragsbruch durch Bonn führte automatisch zum Sperren der Verbindungswege. Das kann und will in der Bundesrepublik niemand riskieren. So beschränken sich die Bonner Reaktionen weitgehend auf das Einfrie-

v ren von Verhandlungen über zukünftige wirtschaftliche und vor allem finanzielle Morgengaben an die DDR. An den bestehenden Vereinbarungen indes soll nichts geändert werden.

Dies mag man als pflaumenweiche Reaktion verdammen, doch die Verhandlungsfehler der Vergangenheit lassen kaum Spielraum. Vor allem will die Bundesregierung nicht ihrerseits die

Temperaturen zwischen Ost und West noch weiter abkühlen. . Die inoffizielle Bonner Sprachregelung, die auch von der Opposition geteilt wird, heißt denn auch: Falls Moskau wirklich in Polen interveniert, können wir um jedes Stückchen deutschdeutscher Gemeinsamkeit im Interesse unserer Landsleute drüben dankbar sein, das noch nicht in die Brüche gegangen ist.

Die Bundesregierung leugnet zwar hartnäckig, daß sie durch Ost-Berlin erpreßbar sei. Aber solange sich der freie Teil Deutschlands für den unter östlichem Kuratel stehenden Teil mitverantwortlich fühlt,sind es nur graduelle Unterschiede, die Bonn von der Erpreß-barkeit trennen. Ein hoher Ministeria-ler aus dem Kanzleramt brachte die Lage auf einen treffenden Nenner: „Wir müssen wieder bei etwas über Null anfangen . . ."

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