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Deutsche „Kristallnächte"
In der gesamten Bundesrepublik reißen die Überfälle auf Asylantenheime nicht ab. Im sächsischen Hoyerswerda wurde der Funke des Ausländerhasses gezündet, Beobachter sprechen schon von „Kristallnächten" im neuen Deutschland.
In der gesamten Bundesrepublik reißen die Überfälle auf Asylantenheime nicht ab. Im sächsischen Hoyerswerda wurde der Funke des Ausländerhasses gezündet, Beobachter sprechen schon von „Kristallnächten" im neuen Deutschland.
„Ich schäme mich für Deutschland", erklärte der linksorientierte Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde in Berlin, Galinski, dieser Tage. Er hat nicht unrecht - heute sind es die Ausländer, morgen könnten es Juden sein. Ausländerfeindlichkeit und Rechtsextremismus übelster Form sind gerade im größten neuen Bundesland, im Freistaat Sachsen, keine aktuelle Einzelerscheinung.
Was im Dezember vorigen Jahres noch oft als gewalttätige Attacke zwischen rechten und linken Kräften gedeutet wurde, ist heute kein „Phänomen" mehr. Im neuen „Muster-ländle", wie sich Sachsen gerne sieht, war dieses Phänomen seit Frühjahr 1991 verstärkt zu beobachten. Man nahm es nicht emst.
Frustrierte Gewalttäter
Der sächsische Ministerpräsident Kurt Biedenkopf machte es sich bei der gesellschaftlichen Analyse der Ursachen des Neo-Nazismus noch einfach. In einem Interview gegenüber dem ZDF im heurigen Frühjahr betonte er, „es sei dies Ausdruck einer Frustration"; 2.000 bereits damals registrierte Neo-Nazis tat er als unbedeutend ab. Biedenkopf machte es sich so leicht, die Sache den einstigen Machthabern in die Schuhe schieben zu wollen. Ohne deren Handlungsweise rechtfertigen zu wollen, haben diese damit kaum etwas zu tun. Biedenkopfs Kultusministerin Stefanie Rehm, die ihr Lehrerexamen im alten Regime ablegte und auch als Lehrerin tätig war, säubert jetzt unerbittlich das Bildungswesen. Allein 7.000 Lehrern wird gekündigt. Wie Rehm diese ersetzen will, bleibt offen. Doch nicht jeder Lehrer, der SED-Mitglied war, war schlecht. CDU-Mitglieder galten damals in jeder Schule als Aushängeschilder - und Stefanie Rehm gehörte zu ihnen. Jetzt gibt es 7.000 Frustrierte im Osten mehr, Morddrohungen gegenüber der Ministerin sind keine Seltenheit.
Biedenkopf unterschätzte politisch im Frühjahr jene 2.000 frustrierten Gewalttäter - obwohl er rein mathematisch recht hatte. Man erschrak, als plötzlich am 20. April dieses Jahres die Neo-Nazis sich auf die demokratische Rede- und Versammlungsfreiheit beriefen und offiziell eine Demonstration anläßlich des „Führergeburtstages" in Dresden ankündigten.
Dann kam im Juni die Ermordung des Neo-Naziführers Sonntag in Dresden. Sonntag, der „Proletenkneipen und Hurenlokale ausräuchern" wollte, war selbst Zuhälter und Opfer jener Kreise. Seine Beisetzung wurde zum „Heldenbegräbnis". Äußerst radikale Skinheads, die sich in Dresden auf das Neubauviertel Gorbitz konzentrieren - labile, arbeitslose Jugendliche ohne Lebensinhalt - bewähren sich als „Eliteeinheit" der Neo-Nazis. Im Prinzip geht es ihnen um Gewalttätigkeit um jeden Preis, war es gestern ein Überfall auf eine linke Gruppe, ist es heute ein Asylantenheim und können es morgen schon Mitbürger einer nationalen Minderheit sein. Nicht umsonst machen sich die Sorben, deren Hauptsiedlungsgebiet in Sachsen befindet, plötzlichGedanken, ob sie nicht die nächsten Opfer sein könnten.
Die nun schon zwei Wochen dauernden Übergriffe in Hoyerswerda zeigen deutlich, daß der brave Durchschnittsbürger, der Biedermann, das Leid seiner ausländischen Mitbürger mit klammheimlicher Freude betrachtet. Es gibt Vollstrecker der Pogrome, gegen die er nichts einzuwenden hat -ob in Hoyerswerda, in Hamburg, in Stuttgart oder anderswo. Die Geschichte wird aber die Schweigenden nicht freisprechen.
Man will Aufsehen erregen in der breiten Öffentlichkeit, um doch noch eine Änderung des Grundgesetzes und der Asylantengesetzgebung durchzudrücken. Die Regierungsspitzen in Bonn kommen hier jedoch nicht überein, Bundeskanzler Kohl ist nicht interessiert, wegen der Asylanten eine Regierungskrise heraufzubeschwören. Der deutsche Episkopat lehnte auf seiner Vollversammlung in Fulda im September eine Grundgesetzänderung diesbezüglich ab.
Die Kehrseite der Medaille wird aber auch nicht beachtet. Denn gerade in Sachsen und auch in Brandeburg passieren täglich Hunderte illegale Grenzgänger die Grenze; dort sind es Transitflüchtlinge, die über Polen kommen; in Sachsen sind es Wirtschaftsflüchtlinge, die über die auf beiden Seiten streng bewachte . Grenze in der Lausitz und über das Erzgebirge kommen. Es ist kein Geheimnis, daß in Polen wie auch in der CSFR an der Grenze ständig Schlepper unterwegs sind.
Ein weiteres Problem ist der Warenschmuggel. Allein eine Milliarde DM gehen dem bundesdeutschen Fiskus an Tabaksteuern verloren durch den Verkauf von Billigzigaretten aus Polen. Polizei und Zoll demonstrieren Hilflosigkeit. Mancher ostdeutsche Bürger hat es nicht vergessen, daß seinerzeit, „unter Honecker", der angolanische oder mozambiquische „Umschüler" höher dotiert war als sein Lehrmeister - und dazu noch vorwiegend in ausländischer Währung. „Die sollen jetzt sehen, wo sie bleiben", sagt der kleine Mann und lädt seinen Frust aus der Vergangenheit ab. „Die sollen endlich eine ordentliche Asylantengesetzgebung schaffen, wir wollen nicht, daß unsere Kinder noch für andere arbeiten."
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