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Deutsche und Tschechen feiern Kaiser Karl IV.

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Wer in Böhmen oder Mähren in die Schule gegangen ist, hat gelernt, daß Karl IV. der große König dieser Länder war. Er stammte aus dem Haus der Luxemburger und regierte von 1348 bis 1378. Es sind also jetzt 600 Jahre her, daß seine segensreiche Herrschaft zu Ende ging, was in der Bundesrepublik Deutschland und in der CSSR auf Ausstellungen in Nürnberg und Prag auf sehr unterschiedliche Weise gefeiert wird.

Sein Vater Johann, der, bereits erblindet, bei Crėcy auf Seiten der Franzosen im Kampf gegen die Engländer gefallen ist, hatte als Erzieher seines Sohnes Karl keinen Geringeren als Petrarca ausgewählt, der aber wegen der Fehden der oberitalienischen Signo- rien nicht nach Prag kommen konnte. Also wurde die Erzieherin dem Bene- diktinerabt Pierre de Rosiers übertragen, der als Magister Theologiae an der Pariser Sorbonne lehrte. 1342 wurde dieser Erzieher Karls IV. Papst Clemens VI.

Karl IV. ist mit mehreren Leistungen in die Geschichte eingegangen: bei seinem Antritt als Landesherr Böhmens war jede Stadt und jede Burg wegen großer Schulden seines Vaters verpfändet. Bei seinem Tod war Böhmen ein blühendes Land, wirtschaftlich saniert und die Mitte des Reiches. Der Veitsdom auf dem Hradschin, die Karlsbrücke über die Moldau, die Burg Karlstein am Zusammenfluß der Be- raun mit der Moldau, die Gewahrsamsstätte der Reichsinsignien war, vielleicht auch die Fassung der Quellen Karlsbads, sind steinerne Zeugen seiner Herrschaft.

Deutschlands erste Universität

1348 gründete er die erste mitteleuropäische Universität. Tschechen und Deutsche streiten sich seit Jahrhunderten, ob dies eine tschechische oder eine deutsche Universität gewesen sei, was der lateinischen Gründungsurkunde nicht entnommen werden kann. Von Prag aus entstand überhaupt erst so etwas wie eine deutsche Amts- und Kanzleisprache, und einige meinen sogar, daß Luther ohne diese Grundlage seine Bibel nicht hätte schreiben können. 1356 erging die Goldene Bulle, die erste Verfassungsurkunde des Reichs, die bis 1806 Geltung hatte. Karl IV., der nicht nur Besitzgeist und Erwerbssinn, sondern auch scholastische Bildung mit einem christlichen Tatendrang in sich vereinigen konnte, hat etwas von einem Musterknaben der Weltgeschichte an sich. Es spricht auch für seine Vitalität, daß er vier Ehefrauen überlebte. Manche Geschichtsschreiber sehen in ihm .Böhmens Vater, des Reichs Erzstiefvater*. Die heute vorherrschende Meinung will in ihm jedoch den .allzeit Mehrer des Reichs* erkennen.

Auf der Nürnberger Burg haben das Bayerische Nationalmuseum, die aus Prag gebürtige Baronin Johanna von Herzögenberg und der Medievist Prof. Ferdinand Seibt eine Ausstellung über Karl IV. zusammengestellt, die vom Bundespräsidenten Walter Scheel eröffnet wurde. Der Besucher wird durch viele Landkarten, Schaubilder, Unikate, Inkunabeln, Originaldokumente und durch mannigfache Kunstgegenstände, Kreuze, Pilgerzeichen, eine Pietä aus Mähren, einen Heiligen Georg aus der Schule Peter Parlers, auf all das aufmerksam gemacht, was für die Bedeutung Karls IV. und die Leistung seiner Zeit spricht. Aus Wien kam die Maria lactans. Nürnberg gibt auch mit seiner Burg einen eindrucksverstärkenden Hintergrund für die Ausstellung.

Ganz anders haben die Tschechen auf dem Prager Hradschin versucht, Karl IV. dem zeitgenössischen Geschichtsbewußtsein nahezubringen. Natürlich wurde auch diese Ausstellung vom Generalsekretär des Zentralkomitees der KPČ und Präsidenten der ČSSR, Gustav Husäk, mit einer festlichen Ansprache eröffnet Allerdings begnügt sich diese Ausstellung keineswegs mit dem, was von Karl geschaffen und von seiner Zeit geleistet wurde. Zunächst ist man bestrebt, die Notwendigkeit des Zusammenlebens

Worauf es im Bereich, der institutionellen Erwachsenenbildung vorerst ankommt, ist, den zu Bildenden davonzu überzeugen, daß Bildung für ihn wertvoll sei. Entscheidend dabei ist es, die heute nur allzuoft vermengten Begriffe „Schulung“ und „Bildung“ klar und deutlich voneinander abzugrenzen.

zwischen Tschechen und Slowaken durch den Hinweis auf die erste staatliche Vereinigung im Großmährischen Reich des 6. Jahrhunderts darzutun. Gründer dieses Reichs war der fränkische Kaufmann Samo, dessen Erbe allerdings schnell vertan war. Ganz deutlich wird das Alt-Slawische und die ja erst nach Kari IV. einsetzende revolutionäre Tradition Böhmens durch Johann Hus in den Vordergrund gestellt

So wird Karl IV. zwar zum Anlaß, aber viel weniger zum Mittelpunkt der Ausstellung, die zeitlich weit über die vor 600 Jahren zu Ende gegangene Epoche hinausgeht. Sie reicht über die Hussiten-Zeit, den nationalen König Georg von Podiebrad, den Dreißigjährigen Krieg, den Slawen-Kongreß von 1848, den .liberalen Bourgeois* Franz Palacky, die erste tschechische Ausgabe des Kommunistischen Manifests bis zum tschechoslowakisch-sowjetischen Vertrag über Beistand, Freundschaft und Zusammenarbeit dem Pakt zwischen Benesch und Stalin, bis zum Bündnisvertrag von 1970 und demonstriert den ganzen Aufbau des Sozialismus.

Der umfunktionierte Kaiser

Damit hat man also das Gedenken an Karl IV.,' dessen Bindungen an das Reich und ąn . alles Deutsche zielbewußt in den Hintergrund verdrängt wurden, für begreifliche Zwecke .gesellschaftlich umfunktioniert*. Überdeutlich wird einem dies auch, wenn man das Organ der Kommunistischen Jugend, die .Mladä Frontą* liest: „Die bürgerliche Geschichtsschreibung hat die Historie der Völker mit Herrschern und Heerführern vollgestopft, die sie bis heute bewundert, und deren Fähigkeiten oder Unfähigkeiten und deren Taten als spiritus agens der Geschichte des Menschengeschlechts ausgegeben werden. Die Wahrheit ist jedoch anders. Hinter den schönen und künstlerischen Gebäuden der Vergangenheit, die wir bis heute bewundern, hinter den luxuriösen Fassaden und den architektonischen Baudenkmälern, hinter allem Fortschritt sehen wir die ungezählten Generationen des arbeitenden Menschen. So möge die Ausstellung aus der Zeit Karls IV. in jedem Besucher das Bewußtsein unseres neuen sozialistischen Eigentums stärker und ihn zur überzeugten Teilnahme an jenem großen und erhabenen Werk anregen, das wir im Gefolge mit der Sowjetunion und den anderen brüderlichen sozialistischen Ländern errichten.“

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