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Deutscher Kanzler und Geheimnisverrat
Bundeskanzler Brandt hat ein ungeheuerliches Wort in die Welt gesetzt und es bislang noch nicht zurückgenommen: Er hat von Journalisten und Verlegern als „Schreibtischtätern“ gesprochen und damit die Parallele zu den Judenmördern gezogen, zu denen, die das Werk Adolf Eichmanns verrichtet haben.
Bundeskanzler Brandt hat ein ungeheuerliches Wort in die Welt gesetzt und es bislang noch nicht zurückgenommen: Er hat von Journalisten und Verlegern als „Schreibtischtätern“ gesprochen und damit die Parallele zu den Judenmördern gezogen, zu denen, die das Werk Adolf Eichmanns verrichtet haben.
Aber Brandt hat noch ein weiteres Wort gesagt und es bislang nicht zurückgenommen: Er hat öffentlich zweimal erklärt, in Deutschland werde die Pressefreiheit „mißbraucht“ — und hat damit nicht auf „Sex und Crime“ angespielt, sondern auf politische Opposition.
Damit nicht genug. Staatssekretär Paul Frank vom Auswärtigen Amt erklärte vor einiger Zeit im Fernsehen (nachdem ihm die Frankfurter Allgemeine Zeitung zuvor ihren Raum für Ähnliches zur Verfügung gestellt hatte): „Wer geheime Regierungspapiere veröffentlicht, was nach § 353 (Strafgesetzbuch) strafbar ist, der ist qualitativ nicht anders zu beurteilen als jemand, der einen Molotow-Cocktail schmeißt oder ein Warenhaus in Brand setzt, um die kapitalistische Gesellschaft zu beseitigen.“ Und weiter: „Die einen wollen mit allen Mitteln unsere demokratische Ordnung, die anderen die Regierung beseitigen.“
Was in diesen Äußerungen anklingt, ist keine Frage des guten oder schlechten politischen Stils mehr. Es sind auch leider keine einmaligen Entgleisungen. Sie offenbaren vielmehr ein Systemdenken, das mit unserem bisherigen Verfassungsverständnis nichts, aber auch rein gar nichts mehr gemein hat. Es geht also nicht um Entschuldigungen, nicht um Erklärungen oder Erklärungsversuche; es geht vielmehr darum, die Linien auszuziehen, die sich hinter diesen Worten verbergen, weil man im Auge haben sollte, daß das Wort schon immer der Vorbote der Tat gewesen ist — heute mehr als früher.
Entscheidend fällt dabei ins Gewicht, daß der politisch Andersdenkende, derjenige, der sich öffentlich in Opposition zur Regierungspolitik äußert oder gar derjenige, der Regierungsgeheimnisse verrät, „qualitativ“ einem Verbrecher gleichgeschaltet wird — und dies geschieht pauschal, gilt als Etikette oder als politischer Schlachtruf, ohne daß gerichtliche Schuld nachgewiesen worden wäre. Wer aber politisch Andersdenkende derart öffentlich aburteilt, von dem ist zu befürchten, daß er dies auch eines Tages wirklich tun wird. Dann aber stehen am Ende Konzentrationslager, Pressezensur, Gleichschaltung von Beamtenschaft und Massenmedien, der autoritäre Staat, der totale Staat.
Noch ist es nicht so weit — Gott sei Dank. Aber unheilvolle Zeichen stehen an der Wand. Denn solche Äußerungen maßgeblicher Regierungspolitiker gab es in dieser bestürzenden Form noch nie zuvor — außer damals, als alles „anders“ war. Und es gab auch niemals zuvor den Fall, daß die Staatsanwaltschaft eingeschaltet wurde, um gegen Journalisten (von „Welt“, „Bild“, „Quick“ und ZdF-Magazin) wegen Verdachts des Geheimnisverrates nach § 353 c Strafgesetzbuch zu ermitteln. Gleichzeitig wird auch gegen Beamte ermittelt, die im Verdacht stehen, geheime Regierungspapiere der Presse zugespielt zu haben — im konkreten Fall: die geheimen Telegramme des deutschen US-Botschafters Pauls.
Sicherlich, jede Regierung hat ein Interesse an der Wahrung ihrer Geheimnisse, das sei unbestritten. Aber dieses Recht endet da — und das läßt die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes klar erkennen — wo die Rechte des einzelnen höher stehen, wo sein Recht auf Meinungsfreiheit höher zu bewerten ist als das Recht des Staates auf Geheimnisschutz. Gerade im Fall von „Geheimnissen“, die keine Geheimnisse enthalten, weil sie ungesetzliche Zustände verdecken und vor den Augen des Bürgers verbergen sollen, gilt, daß das Recht des einzelnen nach angemessener Güter- und Pflichtenabwägung zum Zug kommt, gegen den Staat.
Das aber scheinen SPD und FDP vergessen zu haben. Daß es in Deutschland nämlich nicht auf Kadavergehorsam und frommen Autoritätsglauben ankommt, nicht auf die Staatsraison und nicht auf das Staatswohl, wenn dadurch die Rechte des einzelnen mit Füßen getreten werden. Das Recht des Staates endet nach der Verfassung da, wo die unveräußerlichen Grundrechte des einzelnen als Abwehrrechte beginnen.
Von daher gesehen, sind die Äußerungen Brandts vom „Schreibtischtäter“ und vom „Mißbrauch“ der Pressefreiheit ebenso unerträglich wie die staatsanwaltlichen Ermittlungen gegen die Presse, die politische Geheimnisse verraten hat. Denn dadurch droht Gefahr, daß diese unveräußerlichen Rechte des einzelnen unter die Pflugschar der Regierungspolitik geraten, und dann würde die Politik, die Parteipolitik regieren und das Recht würde abdanken, weil die Parteipolitik sich mit der Staatspolitik gleichsetzt, so daß Recht gleich Politik wäre.
Dann hätte freilich das Wort vom „Schreibtischtäter“ seine Konsequenz, ebenso das Wort vom „Mißbrauch“ der Pressefreiheit, ebenso das Wort von dem, der „qualitativ nicht viel feiner“ ist als einer, der „einen Molotow-Cocktail schmeißt“, weil er geheime Regierungspapiere offenbart hat. Dann aber wäre schließlich politische Opposition nichts als Unrecht, und Recht hätte nur der, welcher die Macht hat Es war doch schon einmal so!
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