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Devise: Mondialismus

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Von 3. bis 8. November findet in Wien der 56. Weltkongreß des internationalen P.E.N.-Clubs statt. Die ersten Vorbereitungen dazu hat noch György Sebestyen getroffen. In einem Gespräch mit der FURCHE gibt der österreichische P.E.N.-Präsident und Organisator der Veranstaltung Alexander Giese Auskunft über die Schwierigkeiten, die Ziele und die wichtigsten Teilnehmer.

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Von 3. bis 8. November findet in Wien der 56. Weltkongreß des internationalen P.E.N.-Clubs statt. Die ersten Vorbereitungen dazu hat noch György Sebestyen getroffen. In einem Gespräch mit der FURCHE gibt der österreichische P.E.N.-Präsident und Organisator der Veranstaltung Alexander Giese Auskunft über die Schwierigkeiten, die Ziele und die wichtigsten Teilnehmer.

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Die Umbrüche in Osteuropa, der Golfkrieg, die Jugoslawien-Krise und auch der Putsch in der Sowjetunion haben die Planung dieses Kongresses nicht eben erleichert. Vor allem das in Hinblick auf das veränderte Europa gewählte Generalthema „Neue Strukturen der Freiheit" hat seit 1989 doch einen deutlich anderen Klang bekommen. Aber akut ist es noch immer, meint Alexander Giese; weshalb man sich auch entschlossen hat, es nicht mit einem Fragezeichen zu versehen. Mit dem Untertitel „Literatur als Diagnose und Therapie" soll bewußt auf die Macht des geschriebenen Wortes für eine friedliche Welt rekurriert werden.

Doch an diesem Punkt sind in der Zwischenzeit nun auch die größten Probleme aufgetaucht, die bei der Wahl dieses Mottos fürdie Veranstaltung noch nicht in dem Maße deutlich waren. Das neuerliche Aufbrechen des Nationalismus auf unserem Kontinent, hat die Bestrebungen für ein „gemeinsames Haus Europa", das wohl mehr sein muß als die EG der Römischen Verträge, konterkariert und viel mit Sprache zu tun.

Gegen Mißbrauch der Sprache

„Da die Autoren immer mit ihrer Nationalsprache aufs engste verbunden sind", meint Giese, „besteht ja immer die Gefahr, daß die Sprache selber hy pertrophiert und hy postasiert wird und zu leicht in einen Nationalismus hinübergleitet. Gerade die Mitglieder des P.E.N. sehen es deshalb als ihre Aufgabe an, dieses Umkippen, dieses Überschlagen vom berechtigten Nationalbewußtsein und der Pflege der nationalen Sprache -wobei auch die jeweilige Minderheitensprache im gleichen Bereich beachtet und gepflegt werden muß - in einen Chauvinismus zu verhindern. Die Sprache darf nicht zum Mittel eines extremen und sinnlosen Nationalismus werden, der die Welt zerstört."

Schon das Zustandekommen des Kongresses ist deshalb ein Erfolg, weil Schriftsteller aus der ganzen Welt sich zusammenfinden werden, um neue Lebens-, Denk- und Bewußtseinsformen zu diskutieren. Denn für Giese zeigt sich ja, daß die Teilung der Welt in Ost und West obsolet geworden ist und die Zusammenkunft der Schriftsteller daher im Zeichen eines - wenn auch mit einer gewissen Übertreibung gesagt - Mondialismus stehen soll. Dieser Mondialismus „ist eine Art Kosmopolitismus". Es wäre ja ein vollkommener Irrtum anzunehmen, daß die Schriftsteller nur für Ost oder West schreiben.

Ziel des Kongresses, und das kann laut Giese ja nur etwas Geistiges sein, ist das, „was wir in der deutschsprachigen Literatur seit Goethe als Weltliteratur betrachten". Es wurden deshalb viele Autoren eingeladen, die mit Übersetzungen die unterschiedlichsten Literaturen einer Weltbevölkerung näher bringen und die auch mit wissenschaftlichen Arbeiten den Zusammenhang der vielen Nationalliteraturen verdeutlichen. Schriftsteller global denken lassen, das ist unter Mondialismus zu verstehen.

Aus diesem Grund wird auch der international renommierte und in Villach geborene Kommunikationswissenschaftler Paul Watzlawick den Eröffnungsvortrag unter dem Titel „Die Weltliteratur und die Wirklichkeit" halten. Quasi als Ehrengast wird der russische Nobelpreisträger für Literatur Joseph Brodsky erwartet. Präsidiert wird der Kongreß selbstverständlich vom Präsidenten des internationalen P.E.N., György Konräd, dem auch der diesjährige Friedenspreis des deutschen Buchhandels verliehen werden wird.

Weitere Redner werden der in Odessa geborene Franzose Alain Bosquet, der nach dem Zweiten Weltkrieg dem Vier-Mächte-Kontrollrat in Berlin angehört hat, und der 1914 in Limoges geborene Georges Emmanuel Clacier, der bereits im spanischen Bürgerkrieg gekämpft hat, sein. Clacier ist Vizepräsident des internationalen P.E.N. und Förderer von Autoren aus Afrika, Kanada und den Antillen. Sein Credo ist, daß die Poesie der letzte Ort sei, „wo die Würde des Menschen einem sakralen Wert gleich bewahrt werden könne".

Fenster nach Westen

Zur Situation in Osteuropa wird der Präsident des polnischen P.E.N.Zentrums, Artur Mietzyrecki, sprechen. Gerade in Polen war der P.E.N. ja auch ein Zentrum des Widerstandes gegen das kommunistische Regime. Auch der in Innsbruck geborene Pole Egon Naganowski wird einen Vortrag halten. Die osteuropäischen P.E.N.-Zentren wurden vor den Umbrüchen ge- aber auch mißbraucht, Kontakte zum Westen herzustellen. Über die Krise in Jugoslawien wird sicher der Literaturkritiker und Essayist Predrag Matvejevitch etwas sagen. Auch sein Kollege Ivo Runtic, der an der Universität Zagreb lehrt und von Goethe über Heinrich Keller, Hermann Hesse, Franz Kafka, Elias Canetti, Heinrich Boll bis zu Günter Grass und H. C. Artmann viele deutschsprachige Autoren ins Kroatische übersetzt hat, wird reden.

Aus ferneren Weltgegenden werden der Nigerianer Chinua Achebe, der am Burgtheater einst als Regieassistent tätige Japaner Tomoja Wata-nabe, der aus Mozambique stammende Luis Bernardo Vana oder der erst jüngst aus gesundheitlichen Gründen aus dem Gefängnis entlassene Kubaner Ernesto Diaz Rodriguez zu hören sein. Einen anderen Akzent werden Autorinnen setzen. So etwa die Frauenrechtlerin Leah Fritz aus den USA oder Adsuko Fujitani aus Japan, die an einer Dissertation über den Status der Frau in der japanischen Gesellschaft arbeitet. Deutschland wird von dem designierten P.E.N.-Präsidenten Gert Heidenreich, Gerald Bisinger und dem in Wien geborenen Bestseller-Autor Johannes Mario Simmel vertreten werden.

Insgesamt werden zirka 300 bis 350 Mitglieder erwartet, fürdie laut Giese die Grenze des Nationalstaates keinesfalls die Grenze des Denkens und des Geistes ist.

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