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„Dialog mit dem Führer“

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Der Gedanke, mit dem Vorläufer des Widerchrist ein Zwiegespräch zu führen, wie dies hier schon im 2. Band geschieht, ist an sich ein befremdlicher; ist doch der Angesprochene nicht unter uns, sondern — ganz wo anders. Wohl kann man einen literarischen Dialog mit einem Verstorbenen führen, mit Plato und Mohammed, mit Marx und Masaryk. Aber das hat ja nur darum einen Sinn, weil die Ansichten solcher Leute erheblich sind, und einem auch von Lebenden entgegengehalten werden könnten. Wer polemisiert gegen die Geographie des Kos mas Indikopleustes, die Theologie des Flaccius, die Farbenlehre Goethes? Nun sind Hitlers Ansichten ja im Sinne seiner eigenen sozusagen Grundsätze durch die Niederlage endgültig widerlegt; es scheint unerfindlich, wozu man mit ihm dialogisieren soll.

Wohl aber ist es dem Historiker und dem Politiker nützlich, diese Ansichten in mehr-weniger systematischer Auswahl vorgesetzt zu bekommen; da kann man so manches lernen. Das Aktuellste, das heute Wichtigste, sagt der Autor schon in der Einleitung; man sieht die Ähnlichkeit der Verbündeten vom September 1939… Da zuckt Hammer freilich zurück. „Dem Hitlerismus ähnlich — so etwa erklärt er auf Seite 198/199 — ist nur der konkrete Bolschewismus, der Stalinismus mit seinen Greueln, aber marxistisch ist nichts davon“. Solche Ausführungen erwecken manchmal den Wunsch, einmal den Kontrast zwischen dem dreckigen, blutigen Hitlerismus und dem „sauberen völkischen Ideal“ nach den authentischen Schriften von Lanz ähnlich schön herauszuarbeiten.

Mit einem Wort, wir sind dem Autor für die Auswahl von schauderhaften Belegstellen um vieles dankbarer denn für seine Kommentare. Nicht einmal das sehr zu lobende Bestreben, all dies als Christ zu besprechen, kann uns immer freuen; denn dies ist Christentum in evangelischer Auffassung, mit der man sich immer wieder auseinandersetzen möchte. Da er nicht vom Fach ist, möchte man dem Autor einzelne historische Mißgriffe, nicht lange vorwerfen (S. 17 die „demokratische Republik Ragusa“), wenn es nicht auch politische bedeutsame Mißgriffe gäbe; so S. 240 mit Böhmen. „Das Rezept lautet simpel: Den Tsche chen die Faust zeigen und, wenn nötig, einen Schuh ins Gesäß — und sie werden kuschen. So hat man vor 1914 in Wien gedacht und gehandelt. So macht es Hitler. So machen es 1968 die Sowjets.“ Mit Verlaub, so haben vor 1914 in Wien die nachmaligen Nazis gedacht; und weil es die kaiserlich-königliche (d. h. königlich böhmische!) Regierung eben nicht so gemacht hat, deswegen waren sie, Hitler inbegriffen, ja dagegen!

Freilich hat Hammer zu Alt-Österreich eine eigene Einstellung, über die der Buchumschlag mit erfrischender Aufrichtigkeit Aufklärung erteilt. „Man erfährt — und vielleicht ist das die Sensation dieses Buches: Hitler war nicht der Führer einer zukunftsorientierten Bewegung… sondern er war im Grunde ein Mensch, der mit Haut und Haaren dem 19. Jahrhundert zugewandt war.“ Na und? Wir geben gerne zu, daß nicht durchaus alles, was Hitler tat und sprach, schlechthin unerhört und nie dagewesen war… aber ist es denn das, was wir ihm vorwerfen?! Was ihm Hammer vorwirft, ist „eine unkorrigierbare Bindung an die Schemata des versunkenen Heimatstaates vor 1914“. (S. 232). Und manchmal klingt das dann so, als ob eben nur das österreichische an Hitler Deutschland in den Abgrund geführt hätte … Aber das Wichtige an diesem Band ist ja nicht der Kommentar — der Dialog —, sondern die schreckenerregenden Zitate aus den Tischreden des mörderischen Geisteskranken. Und die gehören eben nicht ins 19., sondern sehr wohl ins 20. Jahrhundert.

ADOLF HITLER — DER TYRANN UND DIE VÖLKER. Dialog mit dem Führer (II). Politische Aspekte. Von Wolfgang Hammer. München, Delp, 1972. 291 Seiten.

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