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DIALOG, NICHT SCHULMEISTERN!

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Lange Zeit waren die Kirche Österreichs und mehrere angrenzende Ortskirchen durch den „Eisernen Vorhang" getrennt, heute sind Kontakte und Zusammenarbeit wieder möglich und nötig. Ein österreichischer Experte und Publizisten aus den Nachbarländern meinen, daß beide Seiten dabei gewinnen. •Redaktionelle Gestaltung: Heiner Boberski

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Lange Zeit waren die Kirche Österreichs und mehrere angrenzende Ortskirchen durch den „Eisernen Vorhang" getrennt, heute sind Kontakte und Zusammenarbeit wieder möglich und nötig. Ein österreichischer Experte und Publizisten aus den Nachbarländern meinen, daß beide Seiten dabei gewinnen. •Redaktionelle Gestaltung: Heiner Boberski

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Die vor einigen Wochen zu Ende gegangene europäische Bischofssynode spricht in ihrer Schlußresolution von der „ungeheuren Herausforderung der gegenwärtigen Stunde" für die Kirche in Europa. Ein wichtiger Bereich dieser vielschichtigen Herausforderung ist die Begegnung des westlichen Teils mit dem östlichen Teil der katholischen Kirche. Diese Teile der Kirche haben ganz verschiedene, ja konträre Erfahrungen gemacht: Im ehemals kommunistischen Bereich „hat die Kirche, arm geworden an Strukturen und Mitteln, tiefer gelernt, auf Gott allein zu vertrauen", Uber die westliche Teilkirche sagt die Schlußdeklaration, daß sie „infolge der Freiheit, deren sie sich über lange Zeit erfreut hat, zu einer pastoralen Praxis unter den Bedingungen einer pluralistischen und säkularisierten Gesellschaft gelangte. Sie vermochte viele Konsequenzen des II. Vatikanischen Konzils zu entwickeln, die nun in Demut und in Unterscheidung der Werte mitgeteilt werden können".

Für die nun nötige Zusammenarbeit dieser Teilkirchen sind „materielle Mittel und personelle Hilfen nötig, die zum Aufbau des Leibes Christi dienen und den Prioritäten der Empfängerkirchen entsprechend geleistet werden müssen". Worin besteht der Beitrag der katholischen Kirche Österreichs zu diesem „pastoralen Wiederaufbau"?

Er begann nicht erst vor zwei oder drei Jahren. Seit rund 25 Jahren helfen Institutionen wie der Europäische Hilfsfonds, viele Diözesen, katholische Organisationen, Gruppen und Einzelpersonen, auf offenen oder versteckten Wegen, durch Bücher, Zeitschriften, technische Geräte, Geld für karitative und pastorale Aufgaben, der Kirche hinter dem „Eisernen Vorhang", zunächst in Jugoslawien und Polen, später auch in Ungarn und -auf schwierigen Wegen - in derTsche-choslowakei. Ebenso wertvoll wie diese materiellen Hilfen war für die Christen „drüben" das Erlebnis, nicht vergessen zu sein und in der freien Welt Freunde zu haben.

Seit dem Ende der kommunistischen Herrschaft vervielfachten sich die Hilfen und die Kontakte. Sie erstreckten sich von Initiativen einzelner Pfarren, die ihre „Nachbarn" jenseits der Grenze endlich offen besuchen und zum Gegenbesuch einladen durften, bis zu großen Sammelaktionen der Diözesen, gemeinsamen Tagungen und Begegnungen verschiedener Organisationen zu wichtigen Themen, Darüber gibt es keine vollständige Zusammenstellung. Wichtig war und ist die Tätigkeit der Caritas, besonders für Rumänien und Kroatien.

Österreich ist ein kleines Land -und kann sich auf die Dauer nicht um fast 100 Diözesen, nicht um alle ehemals kommunistischen Staaten Europas kümmern. Daher entstanden auf der Basis der räumlichen Nähe oder lange bestehender persönlicher Beziehungen Partnerschaften zwischen österreichischen und ausländischen Diözesen sowie eine Zusammenarbeit katholischer Organisationen mit ähnlicher Zielsetzung.

Im Detail: Wien pflegt enge Kontakte mit den Nachbardiözesen Brünn, Olmütz und Tyrnau, Eisenstadt mit Györ.Sf. Pölten mit Budweis, König-grätz und Väc (Ungarn), Linz mit Budweis, Graz mit Maribor, Szom-bathely und Zagreb, Salzburg mit Nitra, Innsbruck mit Banska Bystri-ca, Satu Mare und Veszprem.

Die im Katholischen Laienrat Österreichs zusammengeschlossenen Gliederungen und Werke der Katholischen Aktion und andere laienapostolische Organisationen bemühten sich besonders um die Förderung des Laienapo-stolates, das von den kommunistischen Herrschern völlig unterdrückt war. Schon Anfang 1989 nahm eine Delegation des Laienrates an der ersten Tagung aller laienapostolischen Gruppen Ungarns teil, er organisierte im Sommer 1990 und 1991 die Teilnahme von Vertretern aus den Nachbarstaaten am Europäischen Forum des Laienapostolates in Wien sowie am „Forum Ostarrichi". Es gibt regelmäßige Kontakte des Laienrates und der Katholischen Männerbewegung Österreichs mit Kräften des Laienapostolates in Ungarn und Mähren zum Erfahrungsaustausch und zurOr-ganisierung finanzieller Hilfen.

Viele Mitgliedsorganisationen des Laienrates kooperieren mit ihren Schwesterorganisationen oder mit Bestrebungen ähnlicher Zielsetzung in den Nachbarstaaten, wobei auch finanzielle Hilfen vermittelt werden. Hier sind nur beispielhaft zu nennen: Katholischer Akademikerverband, Katholische Hochschuljugend Österreichs, Kolpingwerk, Einrichtungen der Katholischen Erwachsenenbildung, Katholisches Familienwerk und Familienverband. Hervorzuheben ist die Aktion „BibeltransferOsteuropa" des Katholischen Bibelwerkes. Einen besonderen Schwerpunkt bildete das Gebiet Presse und Verlagswesen. Hier wurden schon lange bestehende Kontakte verstärkt und Beratung, Ausbildung, finanzielle Hilfe vermittelt.

Vor allem 1991 spielte die Katholische Soziallehre eine besondere Rolle. Zu diesem Thema organisierte die Männerbewegung in Mähren ein Seminar, es fanden dazu auch internationale Veranstaltungen des Laienrates und der Internationalen katholischen Föderation für Erwachsenenbildung (FEECA).statt. Hauptthemen dieser Gespräche über das Leben der Kirche in einerpluralistischen und säkularisierten Gesellschaft waren und sind (keine vollständige Aufzählung): die Wichtigkeit des Laienapostolates, nach den Lehren des Konzils und der Enzyklika „Christifideles laici", wobei aber unsere Nachbarn ihre eigenen organisatorischen Formen und Methoden finden müssen; Idee und Erfahrungen - nicht die Einzelheiten der Statuten - der Pfarrgemeinderäte als Ort der Mitarbeit der Laien; die Rolle der Frauen als gleichberechtigte Personen; Religionsunterricht; sozial-caritative Dienste; Ehevorbereitung und Familienberatung, Erwachsenenbildung.

Zum Thema „Kirche und Gesellschaft" kann Österreich Wertvolles anbieten, zum Beispiel die Grundideen und die Vorgangsweise bei der Erstellung des Sozialhirtenbriefes; die Einzelheiten des Inhaltes sind auf die Nachbarländer nicht übertragbar!

Der Ökumenismus besitzt hohe Aktualität. Besonders dort, wo der Nationalismus auch von unterschiedlicher Konfessionszugehörigkeit geprägt ist, wird die ökumenische Gesinnung zum Prüfstein der Glaubwürdigkeit der christlichen Botschaft. Mit der Stiftung„Pro Oriente" leistet Österreich hier einen wertvollen Beitrag.

Was ist der Sinn dieser Aktionen und Kontakte?

1. Zuerst ist hier ganz nüchtern vom Beschaffen von Geld für die Bedürfnisse des pastoralen Wiederaufbaues zu sprechen: Geld zum Druck von Bibeln, Büchern zum Religionsunterricht, religiöser Literatur, Geld als Starthilfe für Zeitschriften und Zeitungen, für Autos, damit Pfarrer mit mehreren Pfarren überall Gottesdienst halten können, Geld zur Instandsetzung von Seminaren und anderen Ausbildungsstätten, zum Studium im Ausland und für vieles andere.

2. Es ist äußerst wichtig, daß mit den finanziellen Hilfen immer auch gegenseitiges Kennenlernen, die Begegnung der Menschen und das Gespräch über unsere gemeinsame Aufgabe in Mitteleuropa, in Europa, ja in der Weltkirche verbunden werden. Das kostet Zeit und Mühe! Daher müssen wir zu den Nachbarn reisen, und sie müssen zu uns kommen. Dazu ist die Kenntnis von Fremdsprachen nötig, und wir bewundern unsere Nachbarn, daß so viele unsere Sprache können, und wir schämen uns, daß wir ihre Sprachen nicht lernen!

3. Wir Österreicher können nicht unsere Formen und Strukturen des kirchlichen Lebens auf völlig andere Verhältnisse übertragen! Wir dürfen nicht wie die Lehrmeister auftreten, denen die Schüler zuzuhören haben. Nicht die Belehrung, schon gar nicht die Bevormundung, sondern der Dialog ist die Basis unserer Hilfe. Und zum Dialog gehört, daß man nicht nur spricht, sondern einander zuhört.

4. Wir Österreicher können in diesen Dialog die Erfahrungen einer Kirche einbringen, die sich schon seit Jahrzehnten in der Freiheit bemüht, „unter den Bedingungen einer pluralistischen und säkularisierten Gesellschaft Konsequenzen aus dem II. Vatikanischen Konzil zu entwickeln" (Schlußdeklaration, Europasynode). Dabei können wir in aller Bescheidenheit sagen, daß wir manches zustande gebracht, aber auch nicht wenige Mängel aufzuweisen haben.

5. Wir müssen unsere Gesprächspartner ermutigen, „Geduld mit sich selbst" zu haben. Nach Jahrzehnten der Zerstörung christlicher, ja allgemein-menschlicher Werte kann der „Wiederaufbau" im religiösen undor-ganisatorischen Bereich nicht in wenigen Jahren erfolgen. Der Vergleich mit dem Ergebnis eines 45jährigen pastoralen Wiederaufbaues in Österreich - nach nur siebenjähriger Unterbrechung - sol 1 unsere Nachbarn nicht mutlos machen - auch bei uns waren die ersten Jahre mühevoll.

Dipl. Ing. Hubert Lehner ist geschäftsführender Vizepräsident des Vereins zur Förderung religiöser Medienarbeit in Mittel-undOsteuro-pa - CLIRCA -.sowie Beauftragter der Österreichischen Bischofskonferenz für die Koordinierung von Projekten für Osteuropa im Europäischen Hilfsfonds.

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