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Digital In Arbeit

Dialog statt Hirtenbrief

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„Verkürztes Verständnis der Arbeit “ und „Fehlbeurteilung der Funktion der Leistung" sind die Hauptkritikpunkte der „Arbeitsgemeinschaft Wirtschaft" im Cartellver- band. Hier ein Auszug.

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„Verkürztes Verständnis der Arbeit “ und „Fehlbeurteilung der Funktion der Leistung" sind die Hauptkritikpunkte der „Arbeitsgemeinschaft Wirtschaft" im Cartellver- band. Hier ein Auszug.

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Der von den Bischöfen ins Auge gefaßte Gegenstand („Sinnvoll arbeiten- Solidiarisch leben“, Anm. d. Rcd-Jeignet sich nicht für einen Hirtenbrief der Bischöfe. Die damit angesprochenen sozialen Fragen sollten vielmehr zum Anlaß für einen ständigen Dialog zwischen jenen gemacht werden, die ihre Sach- kompetenz auf wirtschaftlichem und sozialem Gebiet (einschließlich der Kenntnis der unterschiedlichen legitimen Interessenslagen) einbringen können, und den Bischöfen andererseits, deren analoge Sach- kompetenz auf dem Gebiete ihrer pastoralen Funktionen und der theologisch begründeten Ethik liegt.

Ein kirchliches Dokument, das den Begriff der Arbeit auf die unselbständige Arbeit und bestenfalls noch auf jene Arbeit einschränkt, die in der Familie, in der Landwirtschaft oder ehrenamtlich geleistet wird, verfehlt die soziale Wirklichkeit in gesellschaftlich sehr wichtigen Belangen. Arbeit ist nicht nur unselbständige Arbeit: auch die freien Berufe und die Unternehmer, die nicht nur sich selbst, sondern auch anderen Arbeit geben, leisten gesellschaftlich wertvolle, ja unverzichtbare Arbeit.

Dies außer acht zu lassen, würde für die Kirche einen Rückschritt hinter den heutigen Stand ihrer Erkenntnis dieser Zusammenhänge bedeuten: Schon in der Enzyklika „Sollicitudo rei socialis“ hatte Johannes Paul IL auf die Bedeutung des „Rechts auf unternehmerische Initiative“ als Voraussetzung auch für das Gemeinwohl hingewiesen.

Erst recht würde ein Hirtenbrief die soziale Wirklichkeit verfehlen, würde er sich nur mit jenen beschäftigen, die Ansprüche an das Sozialsystem — berechtigt oder unberechtigt - anmelden und jene außer Betracht ließe, die durch ihre Arbeit die Mittel für die Sozialleistungen erst aufzubringen haben. Der Grundtext erweckt den Eindruck, als wollte er das Christuswort „Geben ist seliger denn Nehmen“ in sein Gegenteil umfunktionieren: „Nehmen ist seliger denn Geben.“

Der Grundtext verletzt damit das der katholischen Soziallehre innewohnende entscheidende Prinzip der Subsidiarität, indem er Aufgaben, die etwa der einzelne, die Familie oder private Organisationen erfüllen können, kritiklos dem Staat überträgt. Ohne Orientierung nach der Subsidiarität zur Feststellung des jeweils Verantwortlichen wird der Ruf nach Solidarität zur Leerformel oder gar zur Verleugnung des gleichrangigen Prinzips der Personalität (Anhang UI).

Überhaupt scheint der Stellenwert von Arbeit und Leistung für den Menschen fehlgewichtet In diesem Zusammenhang wird nur vom „einseitigen Leistungsdenken“ und von „Mühe und Leid“ gesprochen, das überwunden werden muß, abernicht davon, daß die überdurchschnittliche Leistung einzelnerund ganzer Gruppen Voraussetzung für den Fortschritt und für jenen Wohlstand ist, der es der Gesellschaft erst erlaubt, Bedürftigen zu helfen. Es findet sich im ganzen Grundtext keine Anerkennung für jene, die verdienen und über ihre Steuern das bezahlen, was verteilt werden kann, und die ihre politischen Vertreter ausdrücklich zu dieser „Zweiten Einkommensverteilung“ legitimieren. Der Grundtext erweckt sogar den Eindruck, als würden sie alle als solche gesehen, die „aufgrund von Privilegien hohe Einkommen erzielen“. Womit nicht gesagt wenden soll, daß es nicht auch Einkommen gibt, die nicht durch Leistung bestimmt werden und daher Gegenstand sozialer Reformen sein müssen.

Der Zusammenhang von Leistung und Einkommen ist der der Natur des Menschen entsprechende und damit imentbehrliche Antrieb zur Deckung seinerund seiner Mitmenschen Bedürfnisse. In den kommunistischen Staaaten Mittel- und Osteuropas aber auch Asiens, in welchen man lange Zeit hindurch versuchte, eine Sozialordnung der prinzipiellen Trennung von Leistung und Einkommen zu verwirklichen, sind heute die ungeheuren Schwierigkeiten zu beobachten, diemitdem offen eingestandenen Fehlschlag dieser Idee in der wissenschaftlichen Theorie wie auch in der politischen Praxis verbunden sind und die demonstrieren, wie schwer es ist, den notwendigen Zusammenhang von Leistung und Einkommen wieder herzustellen.

Der Grundtext spricht oft von „Solidarität“ (schon im Titel:„Solidarischleben“), ohne daß auch nur ai> einer Stelle versucht wird, diesen sehr unterschiedlich gebrauchten Ausdruck verständlich zu machen. Im Kapitel fünf (Sozialstaat - Solidarität muß wachsen können) wird der Eindruck erweckt, es handle sich dabei vor allem um eine quantitativ noch höhere, gesetzlich zu erzwingende Umverteilung (Anhang III).

Für sich allein gestellt bleibt das Prinzip der Solidarität zwar als wichtiges pastorales Anliegen in seiner Bedeutung imgeschmälert, gesellschaftspolitisch aber eine Leerformel, die in keinem sozialen Konfliktfall eine Antwort gibt, wenn sie nicht mittels des Subsidiaritätsprinzips vom Prinzip der persönlichen Verantwortung (Personalitätsprinzip) abgegrenzt wird. Allen angebotenen Handlungsaltemati- vdn hegt jeweils irgendeine Vorstellung von Solidarität zugrunde.

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