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Dichterisches Gestalten und Philosophieren

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Gebührender Abstand, wie ihn ein posthumes Vierteljahrhundert schafft, könnte den Blick klären: übersteigerte Begeisterung ebenso wie überzogene Kritik pendelten sich längst auf das gesunde Maß ein. Wenn zum 25. Todestag eines Autors dessen Werk gewürdigt wird, hat die Zeit schon Spreu vom Weizen gesondert: „Was bleibet aber, stiften die Dichter" (Friedrich Hölderlin).

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Gebührender Abstand, wie ihn ein posthumes Vierteljahrhundert schafft, könnte den Blick klären: übersteigerte Begeisterung ebenso wie überzogene Kritik pendelten sich längst auf das gesunde Maß ein. Wenn zum 25. Todestag eines Autors dessen Werk gewürdigt wird, hat die Zeit schon Spreu vom Weizen gesondert: „Was bleibet aber, stiften die Dichter" (Friedrich Hölderlin).

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Heimito von Doderer war ein österreichischer Dichter von hohem Rang. Das ist unumstritten. Wie aber war's mit seinem Denken? Stand das „zerlegungsweise" Werk, wie er seine Essays und Tagebuchaufzeichnungen nannte, dem „gestaltweisen", seinem erzählerischen Werk ebenbürtig zur Seite, förderte eines das andere? Das soll hier füglich bezweifelt werden. Im voraus sei aber betont, daß dadurch Doderers Rang keineswegs reduziert, sondern eher erhöht werden dürfte.

Allerdings steht solch kritischer Einwand in direktem Widerspruch zum ausdrücklichen Selbstverständnis des Autors. Dieser glaubte, im Tagebuch seine Romane so gut vorbereiten zu können, daß sie aus diesem „Grundsumpf' quasi von selbst herauswüchsen und hinterdrein von dort her zu überprüfen oder gar zu korrigieren wären. Demgegenüber sprangen sie doch wohl eher insofern aus ihm heraus, als im Erzählerischen eine eigenständige, völlig andere Dimension erreicht wurde, der des Denkerischen wesensfremd. Nur radikale Sprünge aus dem einen ins andere lassen sich nachträglich registrieren - sie haben sich, wenn es glückt, wirklich quasi von selbst ergeben, konnten weder geplant noch gemacht werden.

Zwei Wege zur Lebens-Kunst Dies allerdings würde Doderer sicher bestätigen, denn er war davon überzeugt, daß wir nie das von uns Gemeinte direkt erreichen; dazu bedarf es stets des Umwegs! Bruchlose Übergänge dagegen, womöglich gemütliches Hin- und Herspazieren von einer Dimension zur anderen, sind für solches Verständnis ausgeschlossen. Grundsätzlich nun können Dichten und Denken zwei ganz ungleichartige, aber gleichrangige Wege zu rechter Lebens-Kunst bedeuten.

Im speziellen Fall des Dichters Doderer spricht jedoch alles dafür, daß es sich so nicht verhält. Und dies nicht etwa getreu der alten Volksweisheit „Schuster, bleib bei deinen Leisten". Doderer war vielmehr das „Bewech-seln der Grenzen" zwischen ganz unterschiedlichen Lebens-Welten sehr vertraut. Vor altorn in den großen Wiener Romanen hat er es auch beispielhaft konkret gestaltet. Das Springen über Klüfte gehörte „gestaltweis" also durchaus zu seinem Metier; er beherrschte meisterhaft die Schaffung hermetisch eigen-artiger, ja einzigartiger Welten, die in ihrer auratischen Geschlossenheit jeweils scharf und unvereinbar von je anderen Roman-

Welten abgesetzt erschienen. Dies verstärkt gerade die inneren Widersprüche zum „zerlegungsweisen" Werk, besonders seiner expliziten Romantheorie. Sie blieb tief in den Traditionen des 19. Jahrhunderts befangen; die Forderung nach Totalität der Welt, die Suche nach einer schlüssigen Weltformel im Sinne eines mittelalterlichen Universalismus weist sogar noch weiter in die „Tiefe der Zeiten" zurück. Nicht zufällig beschwörte Doderer immer wieder die „analogia entis" des Thomas von Aquin.

Die dichterische Gestaltung spricht dagegen eine ganz andere Sprache:

sie spricht gleich über die Moderne hinweg auf eine schon postmodem anmutende Weltsicht zu, in der radikale Werte-Pluralität mit strikter Ei-gen-Maßstäblichkeit geschlossenverschwiegene Welten hervorbringt. Wiewohl der Autor solchen Eigensinn später mit dem paradoxen Titel „roman muet" belegt - und damit eigentlich schon selbst abrückt von seiner früheren, auf Vollständigkeit und Vollzähligkeit einer Welttotalität ausgerichteten Romantheorie -, ging ihm offenbar die neue, auch von seiner Romangestaltung mit kreierte Bedeutung der Kategorien Sinn und Un-Sinn nicht auf.

Geistesverwandtschaft Dabei entging ihm zugleich sein dichterisch längst geübter Anteil an einem „Umdenken über die Wirklichkeit", das der Würzburger Philosoph Heinrich Rombach vor allem mit seinen großen Vorgängern Friedrich Nietzsche und Martin Heidegger in der Moderne heraufziehen sieht und das die sogenannte Postmoderne in gegenwärtigen und zukünftigen Tagen erst noch als Erfüllung der Moderne auszuarbeiten hat. Es gibt freilich Zeugnisse, daß Doderer solche Geistesverwandtschaft spürte, wenn auch nicht eindeutig identifizierte. Doch nicht im „zerlegungsweisen" Werk möge man danach suchen!

Mit dem Stichwort „Aura" war Doderers Teilhabe am lebendigen Gesprächsgeschehen der „philosophia perennis", der immerwährenden Philosophie schon angesprochen. Wenn er einräumt, ihm sei diese eher „durch Glanz und Ruhm" als von eigenem Studium her bekannt, übersieht er doch, daß er dort gar nicht als Denker mitzusprechen hätte. Sein Anteil daran ist ent-sprechendes Dichten gewesen, getreu dem Hölderlin-Wort, daß Dichter und Denker zwar „nah wohnen", aber auf .„getrenntesten Bergen". Doderers hervorragende Gestaltung von Aura, Duft, Dunstkreis und ähnlichem bringt ihn ins direkte Gespräch mit Friedrich Nietzsche, dessen „Zarathustra" einen neuen Menschensinn, einen sinnenhaften, verkündet. Im Lobpreis der Nase sprechen beide gar unisono: „Diese Nase... ist sogar einstweilen das delikateste Instrument, das uns zu Gebote steht... Wir besitzen heute genau soweit Wissenschaft, als wir uns entschlossen haben, das Zeugnis der Sinne anzunehmen" (Nietzsche). Vergleicht man dazu Doderer: „Was sind schon alle Organe unseres Erkennens im Vergleich zu unserer Nase! Sie erst gibt dem Wissen einen Körper".

Dichterische Durchdringung Dieses leibhafte Denken, Nietzsches „große Vernunft", wird weitergetragen durch die Moderne zur Post-modeme vor allem in der Phänomenologie. So gerät sicher nicht zufällig dereigen-artige Sprach-Leib im Werk Martin Heideggers Doderer zum Anstoß, dessen Worte ins eigene Werk zu setzen, in buchstäblicher Bedeutung. Ist dem Dichter vielleicht trotz fehlender denkerischer Durchdringung aufgegangen, daß Heideggers „Dingen des Dinges" nichts anderes meint als die je einzigartige, typische Seins weise eines jeden Welt-Dinges? So entspräche das spöttisch zitierte „Anwesen des Anwesenden" von Heidegger Doderers „Hauch auf der Pflaume". Es ist „die stumme und geheime Art, in welcher die Umstände sich zusammen gespielt und aufeinander eingespielt haben".

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