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Die Abenteuer des Peverl Toni

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Michael Johannes Maria Köhlmeier wurde 1949 in Hohenems geboren und lebt in Bregenz. Nach Hörspielen, Theaterstücken und Drehbüchern schrieb er den Roman „Der Peverl Toni und seine abenteuerliche Reise durch meinen Kopf” (Verlag Hoffmann und Campe, Hamburg 1982). Wir bringen daraus zwei Auszüge.

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Michael Johannes Maria Köhlmeier wurde 1949 in Hohenems geboren und lebt in Bregenz. Nach Hörspielen, Theaterstücken und Drehbüchern schrieb er den Roman „Der Peverl Toni und seine abenteuerliche Reise durch meinen Kopf” (Verlag Hoffmann und Campe, Hamburg 1982). Wir bringen daraus zwei Auszüge.

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Aus. Vorbei. Die schöne Zei-jCTlchenstunde.

Der Bub hat einen Vogel angefangen und ist nur bis zu den Flügeln gekommen. Kein hiesiges Federvieh kann mit solcher Buntheit aufwarten. Bis mein Bauernhof fertig ist, bin ich ausgeschult, denkt der Bub. Drei haben ihren Bauernhof schon abgegeben, und sein Blatt ist noch weiß, und den Vogelflügel könnte die Lehrerin für ein Buntstiftplätzchen halten. In der Bank sitzt er neben dem Freund Franz Michel Bischof. Die Lehrerin sagt:

— In der Schule lernt man schreiben. Wer weiß, was Schreiben ist? Keiner weiß das in der I b. Sehr gerne lacht die Lehrerin. Daheim sagt der Bub:

— Sie hat jeden Tag ein neues Kleid und einmal weiße Schuhe.

Heute hat die Lehrerin einen Reifrock an, der weit ausschwingt, wenn sie sich zur Tafel dreht.

— Ich zeige euch, was Schreiben ist, sagt sie.

Der Bub darf sich neben die Bank stellen und seinen Namen laut aufsagen.

— Pevny Anton.

Die Lehrerin sagt:

— Bist du ein Kärntner oder Steirer oder Wiener, oder was? An die Tafel schreibt sie Pevny mit F und I. Aber Pevny ist ein besonderer Name. Man schreibt ihn mit Vogel-Vau und Ypsilon.

— Auf der Landkarte sieht Vorarlberg aus wie ein aufgehängter Waschlappen, sagt die Lehrerin.

— Ich habe früher immer Laschwappen gesagt für Waschlappen, schwätzt der Franz Michel.

— Und ich Kapet für Paket, sagt der Anton.

Daheim beschriftet ihm die Oma das Hausaufgabenheft Das Schreiben will gelernt sein.

Elio, Nick und Schneider haben spitze Halbschuhe und Lumber-jacks. Sie gehen in die 6 a und lassen sich die Haare hinten ausrasieren. Zigarettenrauchen tun sie auch. Beim Schulausflug trödeln sie nach und fußballen mit alten Semmeln. Der Anton ist jetzt in der Dritten und kann sich noch gut an die Zweite erinnern.

Heute wandert die Volksschule Hohenems geschlossen auf den Berg, der Hohe Kugel heißt. Da lernt man sich kennen, und ein Bewunderter ist in Wirklichkeit ein Freundlicher, der ausgerechnet mit dem Anton am meisten redet und zu Hause in der Südtirolersiedlung mindestens wer weiß gar nicht wie viele Rolf-Torring-Heftchen hat.

— Du kannst sie dir ausleihen, sagt der Elio.

Oft nach dem Schulausflug hat Elios Mutter eine echte Rindssuppe im Topf. Elios großer Bruder liegt im Kinderzimmer auf dem Stockbett. Er hat eine leopardige Badehose an.

— Das ist der Pevny Anton, sagt der Elio.

— Servus, Peverl Toni, sagt der große Bruder.

Der Elio flüstert dem Peverl Toni ins Ohr:

— Er ist fast fünfzehn und war schon oft im Kino für achtzehn und möchte, daß man Schani zu ihm sagt und gibt Kopfnüsse und Roßbisse.

Vor dem Essen sagt er:

— Die Steirer und die Kärntner und die Wiener sind viel lässiger als die Vorarlberger. Der Schani möcht* am liebsten ein Wiener sein.

Es war eine Undankbarkeit vom Anton, wenn er den Peverl Toni nicht annähme. Man braucht es ja später, wenn man in ein anderes Land zieht, niemandem zu erzählen. Der Peverl Toni bekommt den Teller mit den blauen Vergißmeinnicht. Die Suppe hat eine Einlage, zu der die Mutter Hochzeitsbollen sagt. Der Vater hört die Nachrichten. Wenn einer redet, klopft er mit dem Löffel auf den Tisch. Nur einmal schimpft er.

Der Pit Weißmann ist sehr treu. Eigentlich immer sagt er:

— Was könnten wir heute unternehmen?

Sein wertvollster Besitz ist ein Weltatlas. Manchmal schauen sie sich die Welt an. Es sind zweihundert Bilder und Landkarten. Der Pit Weißmann hat Hosenträger. Jedesmal, wenn ihn der Peverl Toni stehen sieht, denkt er: eine Birne; und wenn er ihn sitzen sieht: ein Apfel.

Mit sechzehn hat der Anton etwas in Aussicht bei dem Reisebüro in Dornbirn. Ins Kino für achtzehn würde man ihn nie hineinlassen, weil er so zart ist und hünenhaft dunkelblond und widerborstig gelockt. Beim Föhn ist der Himmel so flach, und die Berge sind so nah. Einmal schaut er vom Schloßberg hinunter auf Hohenems: Die Pfarrkirche und die Volksschule, dazwischen die Hauptstraße. Die Autos sehen aus, als könnte er sie mit dem Daumen aufhalten.

Dann hat er den siebzehnten Geburtstag. Von der Oma bekommt er eine neue Jacke und ein weißes Hemd geschenkt. Das schöne Frühlingswetter möchte er ausnützen. Die neuen Sachen zieht er an, und auf dem Zickzackweg geht er hinauf zum Schloßberg. uf Südseeinseln wachsen LOrangen und Bananen in den Bäumen, und die Kokosnüsse fallen herunter, wenn sie reif sind. Am Anfang geht der Peverl Toni auf der Insel hin und her. Ein kleiner Berg ist da und ein kleiner

See. Auch seltsame Vogelnester. Die sind aus Blattwerk und Erbsenschoten gebaut und manchmal wie Girlanden über zehn Bäume lang. Vielleicht sind das die Vogelstädte, die man sich ausdenken kann. Mit Straßen, Läden und Zirkusplätzen. Endlich kann sich der Peverl Toni ausdenken, was er will. Er hört den Berg und den See freundlich über ihn tuscheln. Da tuschelt er freundlich über den Berg und den See. Er muß sich nicht ums Essen ver-kopfen. Eine Banane nimmt er vom Baum oder eine Orange oder, wenn er Lust hat auf etwas Saures, eine Zitrone, oder er brockt Hirn- und Erdbeeren. Es wachsen ja noch Pfirsiche und Marillen und Kirschen und Apfel und Birnen und Johannisbrot. Zum Schlafen legt er sich hin, wo er gerade müde ist. Am liebsten in den kleinen, warmen Sand, weil es vielleicht wahr ist, daß man hier die schönsten Sachen träumt. Heute will der Peverl Toni vom federgeschmückten Vogelbürgermeister träumen. Der ist er selber. Nahrhafte Schildkröteneier liegen am Strand. Mit den Füßen zerstampft er so viele, wie er mit den Händen einfaßt. Leider fehlt roh der herzhafte Geschmack. Darum sammelt der Peverl Toni fünf glänzende Perlmuttmuscheln und Hände voll feinster Vogelflaumfedern und dürres Astwerk und Holzbrocken und einen glatten Stein. Am Mittag in die heißeste Sonne legt er die Vogelflaumfedern auf einen Haufen, und im Halbkreis darum herum steckt er die Perlmuttmuscheln wie kleine Hohlspiegelchen. Die Sonnenstrahlen sind heiß, und die Hohlspiegelchen machen sie noch heißer und schicken sie zu den Vogelflaumfedern. Die brennen gleich, und der Peverl Toni legt dürres Astwerk nach und dann Holzbrocken. In die Glut tut er den glatten Stein. Der wird heiß wie eine Pfanne, auf der man Schildkröteneier braten kann. Der Peverl Toni ißt mit den Hohlspiegelchen, die jetzt Löffel heißen.

Der Peverl Toni hat keinen festen Wohnsitz. Es gibt Palmen mit Schatten wie Tiger. Aber am schönsten sind die kleinen Wege, die von geschäftigen Tieren getreten werden. So viele Samtpfoten haben den Boden weich gemacht wie den Teppich bei reichen Leuten. Barfußgehen ist am feinsten. Wenigstens einen Elefanten müßte es geben, denkt der Peverl Toni, einen prachtvollen Gesellschafterüber die sie sich nicht zu wundern brauchen. An Feiertagen würden sie sich einladen.

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