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Die Absage an die Preispolizei

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Mit dem 1. Mai 1974 sind die Vereinigten Staaten erstmals seit dem 15. August 1971 — wenn man von den Erdölprodukten absieht — wieder frei von staatlichen Lohn- und Preiskontrollen. Mit dem 30. April 1974 war der „Economic Stabilization Act“ cr-satzlos ausgelaufen. Das beendete das erste Experiment der USA mit dem Versuch einer direkten Lohn- und Preisregelung in Friedenszeiten. Während das „Wall Street Journal“ diesen Anlaß kaum erwähnte, schrieben die „New York Times“, daß beide Häuser des Kongresses „tränenlos“ und routinemäßig ihrer Tagesarbeit nachgingen und das Kontrollprogramm in aller Stille Vergangenheit geworden sei; die offensichtliche Unfähigkeit, damit die Inflation zu stoppen, hatte eine zunehmende Enttäuschung über dieses Programm zur Folge.

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Mit dem 1. Mai 1974 sind die Vereinigten Staaten erstmals seit dem 15. August 1971 — wenn man von den Erdölprodukten absieht — wieder frei von staatlichen Lohn- und Preiskontrollen. Mit dem 30. April 1974 war der „Economic Stabilization Act“ cr-satzlos ausgelaufen. Das beendete das erste Experiment der USA mit dem Versuch einer direkten Lohn- und Preisregelung in Friedenszeiten. Während das „Wall Street Journal“ diesen Anlaß kaum erwähnte, schrieben die „New York Times“, daß beide Häuser des Kongresses „tränenlos“ und routinemäßig ihrer Tagesarbeit nachgingen und das Kontrollprogramm in aller Stille Vergangenheit geworden sei; die offensichtliche Unfähigkeit, damit die Inflation zu stoppen, hatte eine zunehmende Enttäuschung über dieses Programm zur Folge.

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Die Erfahrungen, die damit gemacht wurden, sind weit über die Grenzen der USA hinaus interessant, weisen doch diejenigen, die trotz aller schlechten Erfahrungen immer wieder aufs neue versuchen, die Inflation mit direkten Kontrollen, vor allem der Preise zu bekämpfen, immer wieder darauf hin, daß auch nichtsozialistische Regierungen gelegentlich nach diesem Auskunftsmittel gegriffen haben.

Die „Washington Post“, die diesem Experiment eine fast ganzseitige Studie widmete, bemerkt dazu, daß die Preise „ironischerweise“ heute dreimal so rasch steigen wie 1971, als der Präsident für 90 Tage den Lohn-und Preisstopp verfügte. Zu Beginn, im Mai 1970, war es ein Congress mit demokratischer Mehrheit, der einer widerstrebenden Regierung die Vollmacht zur Lohn- und Preiskontrolle gab, die gelobte, niemals davon Gebrauch zu machen — um sie nach 15 Monaten doch anzuwenden. Heute ist es derselbe Congress, welcher—der Kontrolle überdrüssig — derselben Administration ein sehr bescheidenes Kontrollrecht über -das Gesundheitswesen und dem Cost-of-Living-Council die Funktion selbst einer mahnenden Überwachung der Lohn- und Preisbewegung verweigert.

Der jüngste Jahresbericht (Februar 1974) des Sachverständigenrates des Präsidenten (Council of Economic Advisers-CEA) stellt der Wirksamkeit des dreijährigen Kontrollprogramms — obwohl er sich die Kritik nicht leichtmacht und sich sehr vorsichtig ausdrückt — auch kein gutes Zeugnis aus: Die Inflationsrate würde auch ohne Kontrollen nicht viel höher gewesen sein. Die Erfahrungen des Jahres 1973 machen es schwer, zu glauben, daß die Kontrollen einen bemerkenswerten Erfolg hatten. Diesbezügliche Zweifel sollten nicht überraschen. Nach vielen bisherigen Erfahrungen können Preis- und Lohnkontrollen dieser Art während Friedenszeiten in einer Marktwirtschaft unter den 1973 gegebenen Verhältnissen von Angebot und Nachfrage die Inflation nicht wesentlich vermindern.

Auch nach dem vorjährigen Bericht wären die Auswirkungen auf die Preissteigerungen nicht augenfällig gewesen. Sollten Kontrollmaßnahmen im Jahre 1973 wirksam gewesen sein, so bleibt die Möglichkeit, daß sie 1974 oder später nachziehen.

Obwohl der CEA meint, daß es nicht sicher ist, ob der Rückgang der Inflationsra'te im Jahre 1971 angehalten hätte, zeigt die nebenstehende Graphik, daß die Verringerung des Konsumentenpreisindex längst vor dem Lohn-Preis-Stopp im Jahre 1971 eingesetzt hatte und auf das damals in den USA spürbare Nachlassen der wirtschaftlichen Anspannung (Rezession) zurückzuführen war.

Bei aller Unsicherheit hinsichtlich der Frage, ob die Kontrollmaßnahmen im Jahre 1973 die Inflation beeinträchtigt haben, stellt der Council fest, daß sie weder eine Inflationsrate verhindern konnten, die für die USA — unter historischen Aspekten (sehr hoch ist), wie auch im Vergleich zum vergangenen Jahr und im Vergleich zu den Erwartungen für 1973 und zu den Zielsetzungen dieses Kontrollprogramms. Er schreibt dies aber nicht Mängeln in seiner Durchführung zu, sondern führt das darauf zurück, daß die Situation zu schwierig war, um mit solchen Mitteln erfolgreich bekämpft zu werden.

Mit größerer Präzision nennt der CEA nachteilige Kontrollwirkungen: sie haben eine geringere Versorgung zur Folge, wenn sie bewirken, daß der Verbraucher mehr nachfragt, als der Produzent zu produzieren bereit ist. Kein Verwaltungsapparat ist fähig, einem Preisdruck zu wiederstehen, der auf eine akute Mangelsituation zurückzuführen ist.

Auch in Österreich hat die Erfahrung gezeigt, daß eine Nichtbewilli-gung kostendeckender Preise dazu führen kann, daß solche Waren nicht produziert werden. Im Hinblick auf die Alibikompetenz, die die österreichische Bundesregierung im Preisregelungsrecht den Landeshauptleuten zuschieben möchte, ist die amerikanische Erfahrung von Interesse, derzufolge sich in den Gliedstaaten, in welchen die Kontrollen schärfer gehandhabt worden sind, regionale Versorgungsschwierigkeiten zeigten, die dann nur durch Preiserhöhungen beseitigt werden konnten. Da die Kontrolle bestrebt war, die Inlandspreise tiefer zu halten als die unkontrollierten Exportpreise, wurde mehr exportiert (selbst importierte Rohstoffe nach Genehmigung nur unzureichender Preise für die daraus erzeugten Waren!) und damit das heimische Angebot, dessen Vergrößerung die wirksamste Waffe gegen die Inflation ist, relativ geschmälert.

Die Schlußfolgerungen des Councils ist daher eine Totalabsage an die Preispolizei: nachdem die Preise in vielen Sektoren „in den Himmel“ gewachsen sind (Nahrungsmittel, Holz und andere Grundstoffe) und es offensichtlich wurde, daß die Kontrollen unwirksam, wenn nicht schädlich sind, wendete sich die Aufmerksamkeit den „wirklichen Problemen“, der Unzulänglichkeit des Angebots zu (die aufgeblähte Nachfrage versucht das US-Zentralbankwesen durch restriktive Geldpolitik zu zügeln). Es gibt viele Fälle, in denen nach dem Urteil des CEA „entdeckt“ wurde, daß die Bundesregierung selbst für Angebotsbeschränkungen mitverantwortlich ist. Vor allem in der Landwirtschaft: die Aufhebung der vielen Produktionsbeschränkungen, vermehrte Importe, Beseitigung von Exportsubventionen, die Reduktion staatlicher Lager. Dies alles habe zur Bremsung der Agrarpreise mehr beigetragen als direkte Kontrollen hätten erreichen können.

Waa die Kontrollen bewirken konnten, war seit dem Stopp am 15. August 1971 eine anhaltende Verringerung der Lohnzuwachsraten, der oligopolitischen Struktur des Arbeitsmarktes und dem Fehlen jeder bemerkenswerten betrieblichen Lohnbewegung (Lohndrift) entsprechend, obwohl der Council auch hier seine Vorbehalte macht, die er auf Unzulänglichkeiten der Statistik begründet, die wohl die Lohnbewegung des einzelnen Arbeiters, nicht aber die rascher steigenden Lohnnebenleistungen berücksichtigt. Die abneh-nehmenden Lohnzuwächse führten bei steigenden Inflationsraten — wie die Graphik zeigt — sogar zu realen Einbußen der Arbeitnehmereinkommen, noch bevor das Wachstum der Gesamtwirtschaft absolut zurückgegangen ist.

Seitens der Wirtschaft war das Programm auch als Weg begrüßt worden, die Lohnentwicklung, die als Folge der Bemühungen zur Konjunkturbelebung hätte gefährlich werden können, unter der dann verfügten Obergrenze von plus 5,5 Prozent zu halten. Obwohl die Gewerkschaften anfänglieh aktiv mitwirkten, wurde der Gewerkschaftsverband AFL-CIO zu einem immer stärkeren Gegner der Preis- und Lohnkontrolle. Er ist es auch gewesen, der sich am heftigsten gegen eine Verlängerung des Wirtschafts-Stabilisierungsgesetzes ausgesprochen hat. Arnold R. Weber, der damalige Leiter des mit dem Lohn- und Preisstopp beauftragten Cost-of-Living-Councils, meinte auch in einer Studie der angesehenen Brookings Institution, daß ein solcher Stopp auf die Löhne kurzfristig stärker durchschlägt als auf die Preise. (Wie die Graphik zeigt, sind die Wirkungen längerfristig nicht anders!) Weber räumt auch ein, daß ein Lohn-Preis-Stopp kein selbstwirksames Mittel der Einkommenspolitik sein kann. Er sei nur eine kurzfristige Zwischenphase, die mit einem komplexeren Stabilisierungsprogramm verbunden sein müßte. Es komme schon bei ihrer Formulierung darauf an, „was nachher kommt“, und die kurze damals zu Verfügung gestandene Vorbereitungszeit hätte zu den großen Unzulänglichkeiten bei der Durchführung beigetragen.

Der CEA hingegen meint, daß eine Analyse der wahrscheinlichen Verhaltensweise der Löhne gegenüber anderen Daten, vor allem der Arbeitsmarktverhältnisse, es wahrscheinlich macht, daß sich die Löhne ohne Kontrollen kaum anders entwickelt hätten.

Die allgemeine Enttäuschung über die Auswirkung direkter staatlicher Einwirkungen auf Löhne und Preise hat zur Folge, daß der Versuch dreier demokratischer Abgeordneter einem Senat, der Regierung gewisse Überwachungsvollmachten zu belassen, heute schon als gescheitert gilt.

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