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Die Abwehr hinkt nach

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Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte vom 10. Dezember 1948 - vor 40 Jahren in Paris beschlossen—ist zu einem doppelten Fanal geworden: Eine Verurteilung der Vergangenheit, eine Mahnung für die Zukunft.

Sie ist ein Text mit 30 Artikeln, der die politischen und zivilen Rechte einerseits und wesentliche wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte andererseits proklamiert; die Erklärung enthält auch Aussagen über die Pflichten der Menschen, die sie gegenüber Staat, Gesellschaft und den anderen haben.

Die Erklärung führt die Achtung der menschlichen Würde in die internationale Politik ein und erhebt diese Achtung zur Universalität.

Ihre volle Bedeutung wird durch den Vergleich ersichtlich. Während der Zwischenkriegszeit gab es partielle menschenrechtliche internationale Texte. Sie haben vor allem die neuen Staaten, die aus dem Zerfall der österreichisch-ungarischen Monarchie hervorgegangen sind, die unterlegenen Staaten, verpflichtet. Von einem Ende des Kolonialismus konnte keine Rede sein.

Man erkannte deutlich, daß es die Souveränität der Siegermächte nicht dulden konnte, von menschenrechtlichen völkerrechtlichen Verpflichtungen betroffen zu werden. Und im rassistischen System des nationalsozialistischen Deutschland sind die Menschen- und Grundrechte volksgemeinschaftlich verstanden worden, der Rassenfremde kam nicht in ihren Genuß und auch nicht der Regimegegner. Der Zweite Weltkrieg sprach bei zunehmender Totalität allem humanen Recht höhn.

Die Universalität der Allgemeinen Erklärung wollte mit diesen Verirrungen der Staatenwelt aufräumen.

Die Allgemeine Erklärung ist von einer im Vergleich zur Gegenwart relativ kleinen Staatengemeinschaft (zirka 60 Staaten) beschlossen worden. Aber die kommunistischen Staaten haben sie nicht gutgeheißen; gemeinsam mit Südafrika haben sie sich der Stimme enthalten.

Die Allgemeine Erklärung ist als eine Proklamation und nicht als rechtlich verbindlicher Akt verfaßt worden. Die Erklärung war im Zeitpunkt ihrer Beschlußfassung eine Empfehlung. Sie stellt einen internationalen Men-schenrechts-Stammbaum dar. Sie ist der Stamm, aus dem - wie Früchte — heute die Europäische Konvention für Menschenrechte und Grundfreiheiten, die ameri-Lkanische Menschenrechtsdeklaration und Menschenrechtskonvention, eine afrikanische Konvention zum Schutze der Individuen und Völker gesprossen sind.

Auch im arabischen und islamischen Raum gibt es Ansätze, es der Allgemeinen Erklärung gleichzutun.

Aber trotz der Allgemeinen Erklärung, trotz tausendfacher Beteuerungen haben seit 1948 an die 150 menschenmordende Kriege stattgefunden. Der internationale Terrorismus ist zu einem Phänomen geworden, mit dem man zu leben hat. Das Jahrhundert ist zum Jahrhundert der Folter erklärt worden, und die allgemeinen Diskriminierungen gehören praktisch zum Gesicht jedes Staatslebens.

Die internationalen Organisationen sind nicht imstande, mit den Verletzungen der Menschenrechte abwehrend Schritt zu halten. Es kommt nach wie vor auf die Kooperation des einzelnen Staates, der einzelnen Gesellschaft, ja des einzelnen an, um der Allgemeinen Erklärung und allen ihren Inhalten tatsächlich Effektivität zu geben.

Dies ist ein mühsamer Prozeß, dessen Ende nicht abzusehen ist, aber der tagtäglich zu beschreiten und zu beschleunigen wäre. Wenn es gelänge, jeden Staat auf die Allgemeine Erklärung einzu-schwören, wäre schon viel getan.

Bevor man aber noch imstande sein wird, die „Rechte“ der Allgemeinen Erklärung einigermaßen weltweit zu verwirklichen, beginnen sich andere, im Jahre 1948 nicht bewußt gewesene Bedrohungen aufzubauen: Die Abtreibung als ein Angriff auf das Recht auf Leben des Ungeborenen, die Genmanipulation, die in die Substanz menschlichen Lebens eingreift, die Durchsichtigkeit des Menschen durch die totale Verdatung, die Gefährdung der Umwelt als Lebenskreis des Menschen, die Entdeckung randschichtiger Bevölkerungskreise.

Wenngleich sich die internationale Kodifikation der Menschenrechte einem Endstadium zuneigt, zumindest im klassischen Bereich der Menschenrechte, so scheint es unerläßlich, den modernen Bedrohungen zu begegnen. Ehe in den Staaten der Dritten Welt mit Hilfe humanitärer Organisationen Grund für den Genuß ziviler und politischer Rechte gelegt sein mag, wird die westliche Welt neue Generationen der Menschenrechte zu erkennen haben, um neuen Bedrohungen zu begegnen. Eine Weiterentwicklung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte im Bewußtsein der Freiheit ist entscheidend!

Der Autor, Professor am Institut für Staats- und Verwaltungsrecht an der Universität Wien sowie Universitätsdozent in Innsbruck, Abgeordneter zum Nationalrat, ist international anerkannter Menschenrechtsexperte.

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