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Die Abwertung aller heroischen Tugenden

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Unsere Gesellschaft zeichnet sich aus durch eine geschichtlich beispiellose Abwertung aller heroischen oder sonst riskanten Tugenden. Alle lebensgefährlichen Haltungen werden aus dem Verkehr gezogen und von den tonangebenden linksliberalen und pazifistischen Meinungspredigern als autoritäre, repressive oder militaristische Überbleibsel geächtet.

Nicht von ungefähr antworten prominente Figuren der massenmedialen Szene im wöchentlich erscheinenden „Fragebogen” des Magazins der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung” auf die Frage, welche militärischen Leistungen sie am meisten bewundern, entweder mit: „gar keine” oder „die Deserteure”.

Ein akademischer Wehrdienstverweigerer gilt mehr als ein junger Soldat, der so „dumm” ist, offen zu erklären, er sei bereit, für seinen Staat zu sterben. Prämiiert wird die risikolose „Zivilcourage”, einen Bundespräsidenten oder Minister zu verunglimpfen, nicht aber militärische Tapferkeit, die ja (entgegen pazifistischen Zerrbildern) sich nicht darin erweist, daß wahllos Feinde niedergemetzelt werden, sondern daß jemand im Ernstfall dem eigenen gewaltsamen Tod ins Auge zu blicken wagt...

Eine der Folgen besteht darin, daß in einer Welt, in der Opfer, Martyrium, ewiges Heil überwiegend absurde Wörter aus überlebten Zeitaltern geworden sind, die Ansprüche an den Staat immer drängender und, wie man hinzufügen darf, auch unvernünftiger werden müssen. Entbehrt das Leben einer religiösen oder sonst transzendenzbezoge-. nen Sinngebung, dann ist die diesseitige Existenz „alles”, dann wird das Uberleben um jeden Preis, auch den der Ehrlosigkeit und Knechtschaft, zu einer diskutablen Möglichkeit.

Wer anders denkt, gilt als Narr, Heuchler oder „reaktionäres” Überbleibsel aus kriegerischen Zeitaltern.

Die Allergie gegenüber den Frustrationen, denen jede Gesellschaft ihre Mitglieder unvermeidlich aussetzt, wird immer maßloser, die Loyalität gegenüber dem Staat nimmt zunehmend die Gestalt einer Nutzen-Kosten-Analyse an; es ist eine hypothetische Loyalität. Verrat hat das Stigma des unbedingt Verwerflichen und Schändlichen verloren.

Hinzu kommt, daß im Klima der westlichen Konsum- und Anspruchsgesellschaft der Gedanke des „Ernstfalls” systematisch verdrängt wird. Feindschaft zwischen Staaten, Systemen und Blöcken wird entweder beschwichtigend verharmlost, als bedauernswerter „Irrtum” oder durch geduldige Gespräche zu beseitigendes „Mißverständnis” hingestellt.

Ein Kampf auf Leben und Tod wird entweder überhaupt nicht als Möglichkeit erwogen oder als Menschheitsverbrechen kriminalisiert. Die „andern” sind im Grunde, so redet man sich ein, „wie wir”.

Es gibt Partner, Konkurrenten, Außenseiter - aber Feinde kann man sich kaum vorstellen: Feinde, die weder Verbrecher noch Ungeheuer sein müssen (wie ich hinzufügen möchte), sondern militante Gruppen, Staaten oder, religiös-politische Bewegungen, die einen fundamental andern Wertekodex besitzen, das Risiko nicht scheuen und die westlichen Industriegesellschaften als potentielle Beute im Blick haben.

Einer Sucht nach sozialer Sicherheit von der Wiege bis zur Bahre, nach möglichst risikoloser Versorgung und Betreuung steht deshalb auf der anderen Seite eine kriminelle Leichtfertigkeit gegenüber den Problemen militärischer Sicherheit - der Sicherheit vor äußerer Gewalt - gegenüber.

Soziale Zufriedenheit der eigenen Bevölkerung wird geradezu als brauchbarer Ersatz für ausreichende Rüstung angesehen. Tapferkeit hat in den westlichen Wohlstandsdemokratien kaum einen höheren Rang als etwa Jungfräulichkeit. Sie wird am Fernsehschirm konsumiert - risikolos, keimfrei, als Surrogat. Ein zumindest latentes Bedürfnis nach Aufregung, Abenteuer, Bewährung im Wagnis gehört wohl zur Grundausstattung des Menschen.

Es ist natürlich ein heikles Thema, das hier zur Sprache kommt. Doch die Frage bleibt bestehen: Was ist Politik im Ernstfall, wenn nacktes Uberleben oder gar kollektive Berujglichkejt der höchste Wert ist?

Niemand von uns will den Krieg, doch wer wagt zu behaupten, daß die anderen Pazifisten sind? Sie sind es allenfalls in dem Sinne wie der Eroberer, von dem Clausewitz bemerkt, er liebe stets den Frieden, da er gern widerstandslos in unser Gebiet einziehen würde.

Wir leiden an den politischen Folgen einer frivolen Anthropologie, konkret: eines Sich-selbst-Verharmlosens des Menschen, und dies hängt wieder zusammen mit einem verhängnisvollen Mangel an geschichtlichen Kenntnissen, vielleicht aber noch mehr mit einer Ausdörrung historischer Phantasie.

Man ignoriert, daß der demokratisch-liberale Lebensstil (und die mit ihm verbundene Domestizierung des Menschen) eine weltgeschichtliche Ausnahme ist - sowohl in zeitlicher wie geographischer Hinsicht ein geradezu unwahrscheinlicher Zufall. Und wir wissen durchaus nicht mit Gewißheit, ob diese Domestizierung und Befriedung als dauernde oder auch nur langfristige Errungenschaft betrachtet werden darf.

Viele Anzeichen deuten'eher darauf hin, daß der Mensch noch immer so ist, wie ihn die Tragiker der Antike und die Propheten des Alten Bundes gezeichnet haben: ein furchtbares, ganz und gar nicht harmloses Wesen ...

„Feindunfähigkeit” ist die Kehrseite des Niedergangs der Tapferkeit in den von der Ideologie einer egalitär mißverstandenen sozialen Gerechtigkeit heimgesuchten „offenen Gesellschaften” des Westens. Diese merkwürdige Unfähigkeit, in Kategorien weltpolitische Feindschaft zu denken, ist eine typische Krankheit der westlichen Wohlstandsdemokratien.

Auch wenn es von einer illusionären „Entspannungs”-Ideologie verzärtelte Ohren nicht gern hören wollen, so gilt noch immer das Gesetz, das Perikles in seiner Rede vor den Toten des Pelopon-nesischen Krieges in die Worte gefaßt hat:

„Wenn ihr das Glück in der Freiheit, die Freiheit aber im Mute.findet, dann blickt ihrjeuch nicht ängstlich um in den Gefahren der Schlacht.”

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