7228261-1993_51_16.jpg
Digital In Arbeit

Die Alten gehören dazu

Werbung
Werbung
Werbung

Familie — automatisch denkt man da an Eltern mit ihren Kindern. Aber was ist mit den Großeltern, Onkeln und Tanten? Im städtischen Raum verflüchtigt sich der Kontakt zur „Großfamilie”. Dabei erhöht die steigende Lebenserwartung die Wahrscheinlichkeit, daß ein Kind sogar Urgroßeltern hat. Wie steht es um diese Beziehungen?

Als zentrale Aufgabe der Familie steht uns das Anliegen der Kindererziehung, der Sozialisa-tion, der Vorbereitung auf das Leben in unserer Gesellschaft vor Augen. Das entspricht dem modernen Denken: Es ist auf die Gestaltung der Zukunft ausgerichtet. Zweifellos ist dies wichtig. Aber wie steht es mit der Verantwortung der Kinder den Eltern gegenüber?

Das vierte Gebot: „Ehre deinen Vater und deine Mutter” (Ex 20,12), ist in den Hintergrund gerückt. Jugendlichkeit ist heute das Leitbild. Da fängt man wenig damit an, dem Alter Ehre zu erweisen. Ja, bei runden Geburtstagen, vor allem, wenn er in geistiger und körperlicher Frische gefeiert wird, da versammelt man sich um den Jubilar.

Aber der Alltag des alten Menschen ist vielfach von Einsamkeit geprägt. Die alleinstehende, alte Frau ist geradezu ein Markenzeichen der Industriegesellschaft: Von den 847.000 „Singer-Haushalten in Österreich, werden zwei Drittel von „Senioren”, 80 Prozent davon Frauen (siehe FURCHE 25/1993) bewohnt. In manchen Wiener Bezirken liegt dieser Anteil bei 50 Prozent aller Haushalte.

Für die meisten von ihnen ist das Altersheim die logische Endstation im Leben. „Wenn es so weit ist, gehe ich ins Altersheim. Ich habe mich schon angemeldet”, bekommt man zu hören -aber meist von jenen, für die der Schritt noch nicht bevorsteht.

Sobald sich die Notwendigkeit einer Übersiedlung abzeichnet, wird der Schritt aber so lange wie nur möglich hinausgezögert. Und das ist verständlich, nicht etwa, weil die Ausstattung der Heime schlecht wäre (auch das kommt vor), sondern weil das Leben nur unter alten Menschen schwer zu ertragen ist - vor allem wenn die Mobilität nachläßt.

Hier scheint mir eine Besinnung im Jahr der Familie notwendig. Ich weiß schon, daß wir nicht zu den Formen der Agrar-gesellschaft zurückkehren können. Ich weiß, daß viele es ablehnen würden, zu den Kinder zu übersiedeln, nachdem sie gewöhnt waren, ihr Leben nach eigenem Gutdünken zu gestalten.

Und dennoch sollte das Jahr der Familie Anstoß dazu geben, von der „Endstation Altersheim” wegzukommen. Es geht um die Integration des alten Menschen nach einem Konzept der „Nähe auf Distanz”: Jeder hat seinen eigenen Lebensraum, lebt aber nah genug von Verwandten, um von diesen bei Bedarf mitbetreut werden zu können. Die Bereitschaft, den alten Eltern gegenüber Verantwortung zu übernehmen, ist eine kulturelle Leistung, die es wieder zu beleben gilt. Sie trägt übrigens im vierten Gebot eine Verheißung: „... damit du lange lebst in dem Land, das Herr, dein Gott dir mht.” (V.x 20.12^1

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung