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Die Alten sind sehr stark im Kommen

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Steigende Lebenserwartung, sinkende Geburtenfreudigkeit, vorgezogene Pensionierung, defizitäre Pensionsversicherung kennzeichnen das Aiten-problem: ein Überblick.

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Steigende Lebenserwartung, sinkende Geburtenfreudigkeit, vorgezogene Pensionierung, defizitäre Pensionsversicherung kennzeichnen das Aiten-problem: ein Überblick.

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Nicht zufällig haben die Vereinten Nationen die Periode 1975 bis 2025 als „Ära der Alten“ („The age of aging“) getauft: Gestiegene Lebenserwartungen auf der ganzen Welt und der Rückgang der Geburtenrate in den westlichen Industriestaaten werden zu einer fühlbaren Verschiebung der Altersstruktur führen. So wird im Jahre 2025 jeder siebente Mensch auf der Welt älter als 60 Jahre sein (1950 war es nur jeder zwölfte).

Der Einwand, der in diesem Zusammenhang meist gebracht wird, daß die Entwicklungsländer

die „Vergreisung“ der Welt durch ihre hohe Sterblichkeitsrate verhindern werden, trifft nicht mehr zu. In den Staaten der Dritten und Vierten Welt erhöht sich nämlich die Zahl der Menschen über 60 Jahre bis zum Jahre 2025 um das 15fache.

Dieser geänderten Weltsituation muß man Rechnung tragen. Bereits heute sind die älteren Menschen keine schwache Minderheit mehr, deren gesamte Zielorientierung lediglich die alljährliche Dynamisierung der Renten und Pensionen ist.

Vom schlechten Gewissen einer jugendorientierten Gesellschaft liebevoll zu „Senioren“ emporstilisiert, wächst die Zahl der Menschen im „dritten Lebensabschnitt“ rapid an:

• Die Steinzeitmenschen lebten durchschnittlich nur 20 Jahre lang;

• im Mittelalter konnte man bereits 30 Jahre zählen;

• der um 1900 geborene Mann konnte mit 48 Jahren und seine bessere Hälfte mit 53 Jahren rechnen.

1986 2051

Gesamtbevölkerung

(in 1000) 7560 5328

Davon: unter 15 Jahre 18,3% 11,4%

15 bis unter 60 Jahre 61,9% 50,7%

60 und mehr Jahre 19,8% 38,0%

75 und älter 6,6% 15,9%

Quelle: Finanznachrichten

Da Menschen nicht ewig leben können, konnte sich die rapide Entwicklung von der Steinzeit bis zur Jahrhundertwende nicht im gleichen Ausmaß fortsetzen. Wer 1900 65 Jahre alt wurde, hatte noch durchschnittlich 10,4 Jahre vor sich, die heute 65jährigen leben im Schnitt noch 12,8 Jahre.

In Österreich ist der Anteil der Pensionisten an der Gesamtbevölkerung bzw. an den Erwerbstätigen höher als im europäischen Durchschnitt. Im Jahre 1982 entfiel auf zwei Erwerbstätige ein Pensionist; im Jahr 2030 wird die Relation bereits 1:1 sein.

Gegenwärtig zahlen die österreichischen Erwerbstätigen 22,7 Prozent ihrer Bezüge an die Pensionsversicherung. Ohne eine nennenswerte Reform muß aber jeder Aktive im Jahre 2030 bereits 40 Prozent für die Versorgung der Pensionisten aufwenden.

Durch den außerordentlich starken Rückgang der Sterbefälle in Österreich gegenüber 1984 um über fünf Prozent ist die Lebenserwartung Neugeborener 1985 um mehr als ein halbes Jahr auf 70 Jahre bei den Knaben und auf 77,25 Jahre bei den Mädchen gestiegen.

Die Zahl der Pensionisten steigt allerdings auch aus arbeitsmarktpolitischen Gründen: Immer mehr Berufstätige gehen frühzeitig in Pension. Der vorverlegte Austritt aus dem Berufsleben ist bereits bei den 55- bis 59jährigen

festzustellen, er ist jedoch bei den 60- bis 64jährigen doppelt so stark ausgeprägt (Rückgang der Erwerbsbeteiligung seit 1971 um 5,2 bzw. 11,6 Prozentpunkte). In dieser Altersgruppe ist 1981 bloß ein Siebentel berufstätig (etwa jeder fünfte Mann und jede zehnte Frau).

Wie eine internationale Untersuchung ergab, sind von 100 Männern im Alter von 60 bis 64 Jahren in Österreich bereits 79 in Pension. In Frankreich liegt der entsprechende Wert bei 67, in der BRD bei 60, in den USA bei 44 und \in der Schweiz sogar nur bei 17. Einer der Gründe für die große Zahl an Frühpensionisten in Österreich ist eine spezielle Früh-pensionsregelung, die wegen der

krisenhaften Entwicklung in verschiedenen Wirtschaftsbereichen eingeführt wurde.

Ein großes und nicht nur österreichisches Problem ist die Finanzierung der Pensionen. Die 1985 eingeführte Pensionsreform hat den Bundeshaushalt, nach einer parlamentarischen Auskunft des Sozialministers Alfred Dallinger, um zirka sieben Milliarden Schilling entlastet und sie werde im Jahre 1990 „kumulativ“ Einsparungen von ungefähr 15 Milliarden Schilling erbringen.

Dennoch werde der Prozentsatz der vom Bund zur Finanzierung der Pensionsversicherung aufzuwendenden Mittel von derzeit 25 Prozent bis zum Jahr 1990 auf 30 Prozent des gesamten Pensions-

aufwandes steigen. Er halte diesen Prozentsatz für eine „magische Grenze“ und für das Maximum dessen, was seitens des Bundes als Beitrag zur Finanzierung der Pensionsversicherung geleistet werden könne, sagte der Sozialminister.

1980 betrug der Beitrag des Bundes zur Pensionsversicherung (ohne Ausgleichszulagen) rund 16,5 Milliarden Schilling, 1984 war der Finanzierungsbedarf doppelt so hoch. Bis zum Jahr 1990 wird das Ungleichgewicht zwischen den Einnahmen und Ausgaben der Pensionsversicherung weiter drastisch zunehmen. Der Bund wird 1990 knapp 60 Milliarden Schilling zur Finanzierung bereitstellen müssen.

Die immer höheren Budgetbelastungen auf der einen Seite und die politisch geschürte Angst vor der „Unsicherheit der Pensionen“ auf der anderen, erzeugen im Bereich der Pensionsversicherung eine kritische Stimmung. Um hier auch längerfristig Abhilfe zu leisten, werden verschiedene Modelle der Pensionsversicherung überlegt.

So schlug jüngst Kurt Kuso als prinzipiellen Ausweg ein „Drei-Säulen-System“ vor und zitiert dabei eine Stellungnahme des zuständigen Bonner Bundesministeriums: „Die gesetzliche Rentenversicherung bietet die Grundsicherung von derzeit etwa der Hälfte der Aktivbezüge; diese wird von der betrieblichen Altersversorgung und der privaten Lebensversicherung auf das von der Bevölkerung erstrebte Ge-samtversorgungsniveau aufgestockt.“ Die „Drei Säulen“ sind:

• Gesetzliche Pensionsversicherung,

• betriebliche Vorsorge,

• private Lebensversicherung. Nur diese drei Säulen können das „Gebäude“ der Pensionsversicherung tragen; Beitragserhöhungen und Leistungskürzungen allein ergeben noch keine Reform.

Der Autor ist sozialpolitischer Referent des Bundespressedienstes.

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