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Die andere Hierarchie

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„Die andere Hierarchie“ — unter diesem Titel veröffentlichte der Kirchenrechtler Klaus Mörsdorf, heute als' führender Kopf im deutschsprachigen Raum anerkannt, einen Beitrag über Strukturfragen. Wer nicht in rechtlichen Kategorien denkt, wird weder in Frage noch Antwort den Weg der Gelehrten betreten, sondern schlechthin fragen: Wer regiert in Wirklichkeit? Dazu gibt das Kirchenrecht eine zwar klare, aber für die heutige Zeit nicht ganz befriedigende Antwort, wenn Papst und Bischöfe als Gesetzgeber und die von ihnen eingesetzten Organe in Verwaltung und Gerichtsbarkeit erwähnt werden. Dazu ist noch zu bemerken, daß die Beteiligung an der kirchlichen Leistunsgewalt von der Zugehörigkeit zum Klerikerstand abhängig ist.

Dieses blutlose Bild ist jedoch kaum zu irgendeiner Zeit so nachgebildet worden, wie es dem Buchstaben entspräche. Dazu bedarf es gar nicht eines weitausholenden Exkurses über die Rollen des Laien bei Wahlen oder meinungsbildenden Vorgängen. So wie die Päpste im Umgang mit weltlichen Fürsten, und oft war es ein mühevolles Verhandeln oder Lavieren, sich ihre Meinung bilden mußten, beriefen sie sich auf das Konsistorium, um sich der Mitverantwortung der Kardinäle sicher zu sein.

Die Bischöfe hingegen konnten sich dem landesherrlichen Regiment gegenüber auf keine paritätische Verhandlungsbasis begeben, fanden aber in ihren adeligen oder sonstwie hervorgehobenen Standesgenossen eine wirkungsvolle Unterstützung. Das galt schließlich auch für die untere Ebene. Ohne daß ein Pfarrgemeinderat heutiger Ausprägung existiert hätte, suchte der Pfarrherr den Kontakt mit dem Volk und sah sich durch die örtlichen Honoratioren beraten. Der Landpfarrer war schon durch die Umweltprägung in der Regel volksverbunden, er wußte sich von „seinen Männern“ den entsprechenden Rat einzuholen und pflegte das, was heute hochgestelzt als Dialog oder Gespräch bezeichnet wird.

So erfuhr der zu Recht kritisierte Alleingang des kirchlichen Amtsträgers in der Praxis eine Entschärfung. Wenn das Laienelement in ganz massiver Weise zum Zuge kam, war es allerdings nicht das undifferenzierte „Volk Gottes“, sondern das Staatskirchentum. Falsch in den Grundsätzen über das Verhältnis von Kirche und Staat, entwickelte es für die Verwaltung Verhaltensweisen, die von Fachwissen, Können und Erfahrung geprägt waren. Der kürzlich verstorbene P. Ferdinand Maass, den ich das Glück hatte zum Freund und Ratgeber zu haben, meinte nach Vollendung des 5. Bandes („Der Josephinismus“), niemals werde die Kirche in Österreich wieder eine so gute Verwaltung haben wie während der Josephini-schen Ära. Auch da war eine Form der Mitsprache von Laien, die allerdings nicht laienhaft — im anderen Sinn des Wortes — ausgeübt wurde. Das sei jenen ins Stammbuch geschrieben, die heute programmatische Forderungen aufstellen, ohne zur wirklichen Arbeit bereit zu sein.

Bereits diese geschichtliche Rückbesinnung legt es nahe, zeitgemäße und organisatorisch umrissene Formen einer Mitsprache zu entwik-keln. Dazu bedürfte es nicht einmal der Hinweise auf die Stellung aller Getauften, das allgemeine Priester-tum oder die Rolle des Volkes Gottes in Mitverantwortung und Mitsprache,

Was wir als bedenklich finden, ist die Wiederholung alter Fehler, das Zurückgreifen auf politische Leitbilder. Heute ist es die Versuchung, mit dem Zauberwort „Demokratie“ die Dinge ins rechte Lot bringen zu wollen. Der Staatsapparat ist dementsprechend geprägt, die Kirche wird zur Partnerin eines demokratischen Staates und seiner ebenso organisierten Körperschaften; das Volk Gottes müsse sich daher auf demokratische Weise organisieren, mitverantworten und mitbestimmen, soweit es nicht überhaupt bestimmt und dem Bischof gerade noch ein Mitspracherecht gewährt. Als solcher repräsentiert er das Volk, den eigentlichen Gesetzgeber. Der Bischof, auf Funktionen der Weihegewalt beschränkt, wird so zum großen Magier, solange der magische Rest noch besteht. Das alles sind nicht Parodien, sondern Aussagen aus jüngster Zeit, die belegt werden könnten.

Hier sind einige wesentliche Dinge mißverstanden worden. Nicht nur, daß die Vorstellungen über die staatliche Demokratie naiv oder gar verzerrend wären, sie haben die Unterscheidung zwischen staatspolitischem Modell und Lebenshaltung nicht erfaßt. Was seinem Wesen nach nicht demokratisch ist, kann nicht nach den Grundzügen einer staatspolitischen Demokratie geformt werden. Das gilt nicht für die Kirche, sondern auch für andere Gemeinschaftsbildungen. So krankt auch das geplante Organisationsgesetz der Universitäten an der Verkennung dessen, was zur Struktur gehört und was nur als Lebenshaltung verstanden werden kann.

Die Kirche ist die Tat Gottes in dieser Welt, ein Gebilde, das nur zum Teil soziologischen Gesetzlichkeiten unterliegt. Daher kann es in der Kirche nur eine Repräsentation geben, die auf ihrem zeugnishaften Charakter beruht. Der Bischof ist nicht Repräsentant des Volkes, sondern dient der Repräsentation Christi. Dieser Rolle kann er sich gar nicht entledigen, für ihn ist die Autorität unverzichtbar, genausowenig wie die Hierarchie in Widerstreit zur Demokratie gesetzt werden kann.

Wenn aber die Demokratie als Lebenshaltung wegen ihrer menschlichen Werte (Offenheit, Toleranz, Fairneß, Kooperationswille) auch in der Kirche Eingang finden soll, so ist dies nur zu bejahen.

Organisatorisch bedeutet diese Forderung, daß im Wege einer noch längst nicht abgeschlossenen Entwicklung Mittel gefunden werden müssen, um den dialektischen Prozeß der Meinungsbildung in den Begriff der Hierarchie einzubauen. Das weitverzweigte System der Räte ist ein erster und positiver Beginn. • Das Mißtrauen setzt erst ein, wenn diese Gremien nicht nur untereinander, sondern auch dem Bischof gegenüber Prävalenz zu gewinnen trachten. Dann führt ein gesunder Instinkt dazu, daß man nicht mehr an eine sinnvolle Mitsprache glaubt,sondern das Entstehen dessen befürchtet, was wir als „andere Hierarchie“ bezeichnen. Auf der einen Seite besteht die rechtlich fundierte Hierarchie weiter, daneben wirken, teils offen, teils verborgen, Gruppen von Funktionären mit'eigenen Zielsetzungen. Kirchliche Einrichtungen werden unterwandert und Massenmedien erobert. Wenn einmal Presse, Rundfunk, Fernsehen und Verlagswesen in ihren Besitz geraten sind, kommt keiner mehr zum Zuge, der nicht auf der Linie liegt. Der Ruf nach Nonkonformismus, Meinungsfreiheit und Transparenz weicht in Wirklichkeit einer Unduldsamkeit und Herrschsucht, durch die der Rest' an Brüderlichkeit zu Grabe getragen wird.

So bildet sich eine zweite Hierarchie, die zunächst psychologisch eine Gewichtsverlagerung zu bewirken trachtet, dann aber strukturell die Machtpositionen ausbaut. Solange die erste Hierarchie noch nicht entmachtet ist, weil sie zu überleben trachtet, wird es ein unklares Nebeneinander geben, das zur Erschütterung des Vertrauens führt. Die Gläubigen, an Strukturfragen noch weniger interessiert als Studenten an ihrer Hochschulvertretung, werden entweder nicht gewahr, was sich vollzieht, oder sie wenden sich enttäuscht ab. Sie erhielten Steine statt Brot.

Wir sprechen gern vom Primat der Seelsorge; demnach müßten alle Maßnahmen danach geprüft werden, welchen pastoralen Beitrag sie zu leisten vermochten. Niemand kann mit Gewißheit sagen, was im verborgenen blüht oder sich bereits anbahnt. Was wir sehen, ist eine Verunsicherung der Gläubigen, die Un-interessiertheit der großen Masse und die Zahl von Kirchenaustritten. Mag sein, daß die mangelnde Aufgeschlossenheit der Kirche für notwendige Reformen dazu geführt hat; dies zu sagen ist populär. Wer unpopulär sein will, darf zumindest die Frage riskieren, ob nicht die fortwährende Unruhe, durch den vielgepriesenen Umbruch hervorgerufen, abstumpfend oder enttäuschend gewirkt hat. Man sollte doch meinen, die Dinge an ihren Früchten erkennen zu können.

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