6931666-1982_31_07.jpg
Digital In Arbeit

Die Angst der Kleinen vor den Großen

Werbung
Werbung
Werbung

Auf die Frage, was ihnen die Unabhängigkeit gebracht habe, pflegen Politiker junger ka-ribischer Kleinstaaten zu erwidern: „We are more on the map now — Jetzt sind wir mehr auf der Landkarte.” Zehn ehemalige britische Kolonien zwischen Belize, den Bahamas und Trinidad-Tobago sind heute souveräne Staaten, einige von ihnen sind vielen Menschen immer noch unbekannt, über manche dieser Karibikstaaten liest man mehr auf der Reiseseite als im politischen Teil der Zeitungen.

Auf Eilanden wie Antigua, Dominica, St. Vincent und St. Lucia, aber auch auf größeren Inseln wie Jamaika und Barbados, wird man schwerlich einen Politiker finden, der den Ministaaten weltpolitische Bedeutung beimißt. Andererseits wird nicht verkannt, daß die Selbständigkeit mehr politisches Gewicht verschafft — ein Gewicht, das sich in internationalen Körperschaften, wie den Vereinten Nationen und der Organisation Amerikanischer Staaten, zur Geltung bringen läßt.

Auf wirtschaftlichem wie auch auf militärischem Gebiet sind starke Abhängigkeiten geblieben. Ohne Wirtschafts- und Entwicklungshilfe wäre mancher Kleinstaat nicht lebensfähig. Kritische Geister fragen zuweilen, was außer der Nationalflagge und der

Nationalhymne seit der Unabhängigkeit anders geworden sei.

Bevor sich die Briten von ihrem karibischen Kolonialbesitz trennten, hatten sie eine weitgehende Selbstverwaltung und den parlamentarischen Westminster-Stil eingeführt. Den Eingeborenen blieb ein blutiger Unabhängigkeitskampf erspart. Tote und Verletzte sind vielmehr heutzutage in den Wahlkämpfen auf Jamaika und Trinidad zu beklagen.

Auf einigen Inseln hat es gewaltsame Umsturzversuche gegeben, manchmal hatte Kuba die Hand im Spiel. Aber immer noch repräsentieren die Kleinen zahlenmäßig den stärksten Block demokratischer Regierungen in der Hemisphäre.

, Mit Ausnahme von Grenada haben neun Inselstaaten eine freigewählte Regierung. Die Presse-und Meinungsfreiheit steht nicht nur auf dem Papier, sie wird recht temperamentvoll ausgeübt. Korruptionsfälle, Bürokratie und Beamtenwillkür werden angeprangert, die Politik der Supermächte wird kritisch kommentiert.

Je kleiner die Insel, desto größer das Mißtrauen gegenüber hegemonistischen Tendenzen größerer Nachbarn. Man reagiert empfindlich auf jede Einmischung in die inneren Angelegenheiten.

Die Insulaner sind relativ gut über Nordamerika, Westeuropa und Südafrika, um so weniger über Lateinamerika, Osteuropa und Asien im Bilde. Wie sehen sie die fortgesetzte europäische Präsenz in der Karibik, wie beurteilen sie den Falkland-Konflikt? Müßten sie nicht für die Bewohner der Niederländischen und Französischen Antillen und für die „Brüder und Schwestern” der britischen Restkolonien auf die Barrikaden steigen? Warum haben sie im Falkland-Streit nicht für Argentinien Partei ergriffen?

Nicht alle karibische Staaten haben sich mit Argentinien solidarisch erklärt. Belize, das ehemalige Britisch-Honduras, und der Zweiinselstaat Trinidad-Tobago standen auf Großbritanniens Seite, weil sie ihre Eisenstaatlichkeit von den Nachbarn Guatemala und Venezuela bedroht sehen.

Guatemalteken und Venezolaner argumentierten ähnlich wie die Argentinier: sie halten sich für die rechtmäßigen Erben des ehemals spanischen Kolonialbesitzes, der vor und nach dem Unabhängigwerden ihrer Länder in britische Hände fiel.

Unter Berufung auf den Präzedenzfall Falkland, so befürchtet man in Belize und in Port of Spain, könnten jene Länder eines Tages ihre Gebietsansprüche durchsetzen. Einstweilen verläßt man sich auf den militärischen Schutz der Briten. Der Aufbau einer nationalen Streitmacht steckt noch in den Kinderschuhen.

Auch das ehemals britische, seit 1966 unabhängige Guyana sah sich gezwungen, eine eigene Armee aufzustellen. Sein Nachbar Venezuela beansprucht ein Gebiet, das nicht weniger als zwei Drittel Guyanas umfaßt.

In Caracas spricht man nicht von den Erdölvorräten, die in den umstrittenen Urwaldgebieten vermutet werden, sondern man pocht auf die Souveränität und nationale Ehre Venezuelas.

Wird Venezuela seinen Nachbarn Guyana militärisch angreifen, wenn es seinen Willen nicht bekommt? Diese beängstigende Frage beschäftigt die Politiker in Guyanas Hauptstadt Georgetown. Sie können in diesem Fall kaum mit dem Beistand Großbritanniens und Nordamerikas rechnen, denn für beide Länder stehen Erdölinteressen in Venezuela auf dem Spiel.

Während Venezuela von allen Ländern der Region am stärksten den Anspruch Argentiniens auf die Falkland-Inseln unterstützte, erhofft sich die. linksorientierte Regierung Guyanas den Beistand des kommunistischen Kuba.

Im Entkolonialisierungsausschuß der Vereinten Nationen tut sich heute Kuba vor allen anderen Karibikstaaten hervor. Es sind Castros Vertreter, die westlichen Kolonialismus und Imperialismus geißeln und von Unterdrük-kung sprechen. Argentiniens rechtsgerichtete Militärjunta scheut sich nicht, in diese Töne einzustimmen und kubanische und sowjetische Unterstützung zu suchen. Nicht die politische Moral, sondern der militärisch starke „Freund” ist gefragt.

Der lachende Dritte im Streit um das koloniale Erbe zwischen Mittelamerika und Feuerland ist die Rüstungsindustrie, die große und kleine, arme und reiche Länder noch mehr als bisher beliefern wird.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung