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Die Angst geht um
Die „Adevarul" (Die Wahrheit) geht in Bukarest von Hand zu Hand. Wen wundert's? Wird die Zeitung doch kostenlos verteilt und ist an den Kiosken nichts anderes zu haben - keine „Romania libera", keine „Contemporanul"; man frage bitte nicht nach der Westpresse! Denn wer danach verlangt, der macht sich in diesen Junitagen mehr als verdächtig. Ein falsches Wort, gar nur ein falscher Blick und man kann sich unter jene tausend Bukarester einreihen, die hinter Gittern den Sommer erleben dürfen.
Welch ein Stimmungswechsel in der rumänischen Hauptstadt! Vor einem halben Jahr, in jenen legendären Dezembertagen, hatten die Rumänen jeden Ausländer, dem sie begegneten, mit Diskussionen in Beschlag genommen. Heute geht schon wieder die Angst um. Kaum einer, der namentlich genannt werden will. Anstelle von hitzigen, südländischen Wortgefechten verstohlene Anklagen hinter vorgehaltener Hand.
Grabesruhe überall. Die „Adevarul" wörtlich: „Endlich läuft der Verkehr wieder ruhig und normal, wie es sich für eine zivilisierte Stadt gehört - dank der Bergwerksleute, diesen fleißigen Kumpels, die keine Lust verspüren, herumzulungern wie die Taugenichtse."
Die Bergwerksleute - Hunderte Kilometer kamen sie angereist, um den rumänischen Präsidenten Ion Iliescu vor einem „faschistischen Putsch" zu retten. „Bergwerksleute?", schon dieses Wort sei ein Märchen. Die Kumpels aus dem Schiltal seien friedliche Leute. Und man habe es doch gesehen, so ein Gesprächspartner, selbst die jungen Rekruten, die Iliescu letzte Woche bestellte, um den Protest auf dem Bukarester Universitätsplatz blutig niederzuschlagen, hätten sich geweigert, gegen die Studenten gewaltsam vorzugehen.
„Glauben Sie denn wirklich, Bergwerksarbeiter sind so leicht vor den Karren dieser Neo-Kommunisten zu spannen, die unser Land regieren?" „Genosse C", nennen wir ihn so, wie wir ihn schon unter der Ceausescu-Diktatur zu nennen pflegten, unseren alten „Linken", der manch Geheimnis gegenüber westlichen Journalisten lüftete, lächelt: Im Schiltal sei die Stimmung genauso wie auf dem Universitätsplatz - angespannt und gegen die nahezu allein herrschende „Front der Nationalen Rettung" gerichtet. Die „Kumpels" hätten zu gezielt auf die „Staatsfeinde" losgeprügelt, sie seien zu gekonnt mit den Schlagstöcken vorgegangen. Des „Genossen C'." einfacher Schluß: Es war die alte Securitate. die verkleidet losschlug - und dies mit den gleichen alten Gummiknüppeln, wie sie die Geheimpolizei unter Ceausescu zu tragen pflegte.
Ein Augenschein am Hauptbahnhof der Hauptstadt: Man sieht sie nicht mehr, die Schuhputzer. Flüchteten sie vor dem regnerischen Wetter in die nahegelegenen Kneipen? Ein Blick hinein genügt: Roma-Zigeuner sind nicht mehr in der Stadt. Erinnerungen werden wach. Als im Dezember 1989 die Revolution losbrach, regten sich blitzschnell die Fäuste gegen arabische Studenten. In jedem Araber entdeckten die übermütigen Rumänen einen Terroristen, über Nacht verbreitete sich eine Lynchstimmung gegen diese angeblichen Ceauses-cu-Verehrer. Und einige afrikanische Studenten bezahlten ihre Hoffnung, durch einen rumänischen Hochschulabschluß in ihrer Heimat Karriere machen zu können, mit dem Leben.
Sechs Tote sind in diesen Tagen offiziell zu beklagen. Drei von ihnen sind Roma, hört man. Wie riefen die „Bergwerksleute" immer wieder?: „Tod den Taugenichtsen. Tod dem Zigeunerpack!""
Alte Freunde und Bekannte trifft man nicht mehr in diesen Tagen in Bukarest. Stelian Tanase, der alte Optimist, Chef des Wochenblattes „ 22 ", ein altoppositioneller Schriftsteller, dieser „Feigling" sei untergetaucht, um sich der „gerechten Strafe" zu entziehen, heißt es im Radio. Wer an der Calea Victoriel 120 vorbeigeht, kann leicht nachempfinden, warum sich der kleine bärtige Mann versteckt hält. Die Redaktionsräume seiner Zeitschri f t wirken wie ein Trümmerhaufen. Dort, wo wir einst bei Wein über Demokratie und Freiheit diskutierten, bedecken Fensterglasscherben den großen Redaktionstisch.
Der Augenschein währt nicht lange. Ein Passant, der sich gerade eine Zigarette anzünden will und merkt, daß er kein Feuer hat, kommt herüber. Ob wir ihm helfen - und mitkommen könnten, er habe ein paar Fragen an uns zu richten. Er zückt gelassen seinen Polizeiausweis.
Abreise über Brasov (Kronstadt). Rotbach. In der sächsisch-deutschen Enklave, hundertfünfzig Kilometer nördlich von Bukarest, hat man wenig von den Ereignissen in der Hauptstadt mitbekommen. ..Aber wir haben verstanden, daß wir nun gehen müssen", erzählt der Kirchendiener. Von 200 Familien im Ort sei schon die Hälfte in Richtung Deutschland abgereist. Nun würden auch die letzten Standfesten „einreichen".
Aus Protest über die undemokratischen Entwicklungen nach den freien Wahlen im Mai, wollen wir wissen. Der Bauerdenkt kurz nach: „Zum Protestieren sind wir schon lange zu schwach. Nennen Sie es beim Namen: Wir gehen aus Enttäuschung und Hoffnungslosigkeit."
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