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Die Angst vor der Freiheit

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Die Französische Revolution und Europas Demokratiegeschichte war Thema des 14. Salzburger Humanismusgesprächs 1988. Jetzt - brandaktuell - liegt der Sammelband mit den Referaten vor.

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Die Französische Revolution und Europas Demokratiegeschichte war Thema des 14. Salzburger Humanismusgesprächs 1988. Jetzt - brandaktuell - liegt der Sammelband mit den Referaten vor.

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Ohne Aufklärung und Französische Revolution keine Volkssouveränität, keine Menschenrechte, keine Zivügesellschaft: Die These des seinerzeitigen ungarischen Ministerpräsidenten Andras Hegedüs, der in einem Selbstbekenntnis in Salzburg seine im Jahr 1956 „höchste politische SteU\mg“ als die für ihn heute „moralisch minderwertigste“ bezeichnete, ist getragen von der Erfahrung der Stärke des Volks-

willens, die dem totaUtären Politiker Angst einzujagen vermag. Mit seiner Analyse wurde die Perversion des Revolutionsgedankens durch den StaÜnismiis, aber auch • diuxh den Hitlerismus deutlich, die Vereirmahmung und unfehlbar-ver-bindUche Interpretation der Revolutionsidee in einem poUtischen System verständhch. Die Wurzeln liegen in der Aufklärung, die das Menschenrecht auf Leben, Freiheit und Eigentum, weltweite Brüder^ lichkeit imd Freiheit im Staat - ohne ZwischenschaltimgenvonRegionen, ReUgionen, Berufsverbänden \md eigenen kulturellen Besonderheiten

- verwirklicht sehen wollte. „Der neue republikanische Staat war ein Monopolist“, hielt der deutsche Soziologe Erwin K. Scheuch fest und deutete damit einen Entwicklimgs-strang bis hin zu den real-kommunistischen Staaten imseres Jahrhunderts an, die poUtisches Denken, gesellschaftliches Handeln und persönhche Überzeugungen einem sogenanntenrevolutionärenStaats-gebilde mit Unfehlbarkeitscharakter unterordiien.

Nach rationalistischen Prinzipien

- Glaube sollte ja durch Wissen ersetzt werden, alles noch nicht Verstandene vernünftig einsehbar gemacht imdder Mensch in die Lage versetzt werden, die Kontrolle über sein Schicksal zu erlangen - wurde, so Scheuch, in der Französischen Revolution versucht, „die Regioiien durch die neue Einteilung der Departements zu ersetzen, die Kirchen bestenfalls als Privatsache der Einzelpersonen zu belassen imd die Berufsverbände zu ignorieren“. Ist dieser Glaube an die Vernunft, der einem Gleichsetzen von Erkennen und Tun gleichkommt, der Grund für alle politischen Fehlentwicklungen in der modernen Welt? Ausgangspunkt eines inneren Widei^ Spruchs einer Revolutionsidee, die in ihrem Absolutheitsanspruch die eigenen Prinzipien ad absurdum

-führt?

Die Französische Revolution wurde im 20. Jahrhundert zum Mythos jegücher Revolution. Ihre Verklärung läßt die Widersprüche ungelöst, den Konterrevolutionären

- von Royalisten, Gläubigen bis hin zu den Faschisten - ist die Heraus-f Qrderung der Gleichheit ein Dom im Auge. So stellte man in Deutschland bei Ausbruch des Ersten Weltkrieges vor 75 Jahren den Prinzipien Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit die „deutschen Ideen“ von „Pflicht, Ordnung imd Gerechtig-Iteit“ gegenüber, wodurch man die französische Revolution für über^ wunden glaubte. Der Historiker Christian Graf von Krockow stellte beim Salzburger Humanismusgespräch die Gleichheit und sekundär die Freiheit als „eigenthchen Ecksteindes Anstosses“ inDeutschland dar. Der „Obrigkeitsstaat“ als die dem deutschen Volk angemessene, zukömmliche und von ihm im Grunde gewollte Staatsform - wie Thomas Mann behauptete?

Ängste gegenüber der Revolution kennzeichnen den Faschismus, aber auch den realen Kommunismus, der sich von einer bestimmten Art von Revolution herleitet, die verabsolutiert und verklärt wird. Historische Erfahrungen mit den Auswirkim-gen der Französischen Revolution haben in Europa eine tiefe Spur des Mißtrauens, des Zweifels und des Zwiespalts gegenüber Revolutionen hinterlassen. Da sind einmal die Napoleonischen Kriege, die durchaus nicht als Befreiung erlebt wur-

den. Wie Graf von Krockow darlegte, weckten sie in Deutschland einen Nationalismus mit antiwestlicher Stoßrichtung.

Erlösung von derGleichheitdurch eine Ungleichheit ist die Folge, wie von Krockow konstatierte und in diesem Zusammenhang auf die .J^ndlöBung der Judenfrage“ im Nazi-Deutschland hinwies. Es sollte „buchstäblich vom Erdboden getilgt werden, was seit 1789 mit der Französischen Revolution geschichtliche, weltgeschichtliche Bedeutung gewann“.

Aber warum hat die Idee der Gleichheit solche Ängste und Aggressionen ausgelöst? Von Krockow gab eine polit-psychologische Antwort: „In Deutschland-zart andeutend könnte man hier in Salzburg wohl audi sagen: in Mitteleuropa -haben die geschichtlichen Umstände zu einer Formierung oder Def or-mierung des poUtischen Selbstbewußtseins geführt, von der her die Französische Revolution und ihre Femwirkungen sich als elementare Herausforderung darstellen muß«

ten.“ Für den Historiker Krockow ist das der deutsche oder mitteleuropäische „Sonderweg“. Dabei gehe es um keine IsoUerung vom Westen, sondem um dessen „heimUch-un-

heimUche Nähe.Deim erst aus der Nähe ensteht seit 1789 die große Herausforderung, welche die Ängste und Aggressionen weckt, die am Ende ins Unheil münden. Die Nähe kommt übrigens auch darin zum Ausdruck, daß immer ein halbes Bewußtsein vom Renegatentum, vom Verrat der eigenen, besseren Möglichkeiten bleibt. Zum Sonder^ weg gehören daher stets die Wundmale des Selbsthasses imd die periodisch - besonders in den Jugendbewegungen - wiederkehrenden Ausbruchsversuche.“

Positiv bewertete von Krockow die seit 1945 in Deutschland, teilweise auch in Mitteleuropa, eingeleitete Hinwendung zum Westen -sprich zu den Prinzipien von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit, die - wie Scheuch festhielt - als zentrale Ideen der Aufklärung in den Institutionen der heutigen entwickelten Staaten festgeschrieben worden sind. Der Ordnungsrahmen, in dem unser Alltag heute verlaufe, so Scheuch, sei in den Gesetzeswerken des Code Napoleon, des preußieinen Landrechts und dschen Zivilgesetzbucht. Trotzdem sind die eUschaften „weit da-eine angewandte Aufsein“. Die modemen Gesellschaften seien Gesellschaften“, Wert-(Aufklänmg) werde ZweckrationaUtät. Die ; die neue Herrschafts-5ites Leitmotiv neben z der Wirtschaft Ein les Handeln, legte Faustregel dar, zahle 3 Handelnden langfri-als ein nicht vorgege-irtschaftlicheres Hanich bürokratisch ver-: mehr verantwortUch für die Folgen seines Tuns.IneinerGesell-schaft, die voller Un-durchsichtigkeit ist und in der aus Un-durchsichtigkeit das Verhalten risikoreich werden könnte, wird das Verhalten durch Angleichung an das bürokratische Modell risikofreL Für den sich bürokratisch Verhaltenden hegt es dann im Eigeninteresse, wenn noch bestehende Ermessens sp ie Iräume durch Regeln weiter eingeschnürt werden, denn für den Erfolg^ines Ermessens istder Handelnde ja haftbar.“

Bürokratisierung ist zum Schicksal der modemen Gesellschaften geworden -„nicht weU dieses Verhalten rationaler und für die Zwecke erfolgreicher wäre, sondem weil es in einer Gesellschaft voUer Unsicherheiten die Verhaltensrisiken für den Handelnden kleiner werden läßt“. Dieser Prozeß werde noch gewaltig vorangetrieben durch die Pluralisierung von Normen xmd Werten, wodurch eine „Einigung über Verkehrsregeln“ notwend^ werde. Das hatein dichtes Netz der Zwirnsfäden fon Detailregelungen zur Folge, das - so Scheuch - „in seiner lähmenden Wirkung dem manchmal nahe kommt, was im real existierenden Kommunismus der Primat der PoUtik in allen Lebensbereichen bedeutet“.

Ergänzend zu Scheuch stellte in Salzburg der international angesehene Mancismusexperte Iring Fet-scher die Entwicklung in der Sowjetunion als eine „Neuauflage der bürgerUchen (das heißt Französischen, Anm.d.Verf.) Revolution imter Leitung einer Bürokratenka-ste“ dar, „die an die Stelle der fehlenden Bourgeoisie getreten ist“.

Die RoUe des Mediums im Kommunikationsgeschehen hat in den real kommunistischen Staaten eben der Staatsapparat übernommen.

Der polnische, seit langem im Westen lebende Philosoph Leszek Kolakowski legte dar, was das konkret für das Leben des einzehien in einem „revolutionären“ Staatsgebilde bedeutet. Motiviert sollen die Bürger zwar sein, aber unter der Bedingung, daß ihre Motivation mit den von Staat und Partei festgelegten ZieleninEinklang stehe und der Staatsapparat die vollständige KontroUe über alle gesellschaftlichen Prozesse beibehalte.Der wissen-schaftUche Sozialismus, wie er in den real existierenden kommunistischen Ländern existieren soU, der - aufklärerisches Ideal - Wissen an die SteUe von Glauben setzt, führte im Stalinismus zu einer alles durchdringenden Geheimnistuerei mit dem Zweck, die Menschen hilflos, verängstigt und isoUert zu halten.

Wie beurteilt Kolakowski in diesem Kontext die Erfolgschancen einerGorbatschowschenReformder sowjetischen Wirtschaft und PoUtik zu größerer Freiheit hin? „Wenn die Reformen dem Zweck dienen, den riesigen Apparat von Gosplan (staatliches Planungskomitee, Anm.d.Verf.) funktionsfähig zu halten, wenn die Zuteilung mate-rieUer Ressourcen weiterhin zentral erfolgt, weim es einzelnen Wirtschaftseinheiten nicht frei steht, die Beschäftigung von Arbeitskräften selbst zu reguUeren und ihre eigenen Produktionsziele aufzustellen, wenn Preise durch Planungsorgane diktiert werden, wenn das System der Nomenklatura unverändert bleibt , dann hat man Grund zur Annahme, daß die Reformen auf kosmetische Verbesserungen hinauslaufen werden.“

Kolakowski wirkte in Salzburg sehr skeptisch- mittlerweile hatsich der Prozeß der Liberalisierung in der Sowjetunion doch weiter verselbständigt, als man noch vor einem dreiviertel Jahr anzunehmen wagte. Offenbar wurden durch zaghafte Reformen Kettenreaktionen ausgelöst, die sich - wie Kolakowski hoffnungsvoll hinzufügte - nicht mehr kontrolUeren lassen. „In den letzten Monaten (Kolakowski hat das im Oktober des Vorjahres gesagt, Anm.d.Verf.) haben wir tatsächlichbescheidene Ansätze -nicht zuletzt in Form von gesteigertem Nationalbewußtsein und verschiedener kultureUer Initiativen - für einen mögUchen Begiim einer solchen Reaktion erlebt. Mag sie noch so langsam und dazu Repressionen ausgesetzt sein, die Bewegung, die sich eine Neugeburt der bürgerUchen Gesellschaft im Sowjetregime zum Ziel gesetzt hat, ist in Ersdtiei-nung getreten.

Warm und wie sie den Punkt er^ reichen wird, von dem aus es kein Zurück mehr gibt, imd der den totaUtären Apparat zerstören wird, steht in den Stemen.“

Die Geschichte der Französischen Revolution ist also noch nicht zu Ende. BezügUch ihrer drei Prinzipien steht Europa heute, 200 Jahre nach den revolutionären Ereignissen, erst am Beginn seiner Freiheitsgeschichte.

Die bisherigen Erprobungen von GleichheitsmodeUen waren nicht gerade ermutigend, das Prinzip Brüderlichkeit wird man überhaupt erst entdecken müssen. Abseits vom großen Lärm der Revolutionsfeiern und spektakulären Shows hat das Salzburger Humanismusgespräch einen essentiellen Beitrag zum Verständnis der Geschichte der Auswirkungen der Französischen Revolution bis in die heutige Zeit geleistet.

FREtHETT, GLEICHEIT, BRÜIXRLICHKErr • Die Ideen der Franzönadwn Revolution - Waa istausihnengevvocdenTUnivenitätsva’lag Anton Püatet, Salzburg 1989.272Seiten, öS 198,-.

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