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Die Armee ist keine Alternative
Die globale Bedrohungssituation hat sich entschärft. In Wien entwarfen NATO und Warschauer Pakt Defensivkon-zepte. Werden Armeen nur noch in Nationalitätenkonflikten - siehe Jugoslawien, Aserbaidschan - gebraucht?
Die globale Bedrohungssituation hat sich entschärft. In Wien entwarfen NATO und Warschauer Pakt Defensivkon-zepte. Werden Armeen nur noch in Nationalitätenkonflikten - siehe Jugoslawien, Aserbaidschan - gebraucht?
Immer wieder wird in Jugoslawien, und außerhalb, die Frage gestellt, ob es denkbar sein könnte, daß sich die Armee eines Tages berufen fühle, das offensichtliche Machtvakuum in der Staatsführung, das zu einem ebenso offenkundigen Chaos in allen Bereichen Jugoslawiens geführt hat, zu füllen und einen Putsch zu inszenieren. (Die Armee ist 210.000 Mann stark, davon sind 123.000 Rekruten; 99 Prozent der Offiziere sind Parteimitglieder, 70 Prozent von ihnen Serben).
Hochrangige Militärs in Jugoslawien tragen zu dieser Fragestellung insofern bei, als von ihnen manchesmal in der Öffentlichkeit Warnungen oder Drohungen zu hören sind, vor allem aber Feind-bilder in den Raum gestellt werden, die dem traditionell-dogmatischen Wortarsenal kommunistischer Machthaber entnommen sind. Da ist dann die Rede von „feindlichen Kräften im Ausland", von „Verunglimpfungen unserer Vergangenheit und des Werkes von Josip Broz Tito"; festgestellt wurde auch, daß die jüngsten kritischen Äußerungen zur Armee in zunehmendem Maß „anti-jugoslawische, antikommunistische" Tendenzen zeigten.
Parteienpluralismus lehnt die Armee grundsätzlich ab, wünscht sich aber größere Demokratisierung und Pluralismus im Rahmen des Bundesparlamentes. Stärkerer administrativer Zentralismus entspricht selbstverständlich dem hierarchischen Wesen der Armee.
Hochstehende Militärs sagen aber auch andere Dinge, denen - eben weil sie nicht der veralteten Terminologie entstammen - ganz sicher nicht weniger Aufmerksamkeit zusteht. Sie wiederholen in verschiedenen Formulierungen, daß die Armee kein „Schiedsrichter" zwischen innenpolitischen Widersachern sei, daß sie nicht für die Interessen einzelner Gruppen und Kreise eingesetzt werden könne, weil ihre Aufgaben ausschließlich „gesamt-jugoslawischen" Zielen diene - und ähnliches mehr.
Schon aus diesen Zitaten geht hervor, daß die Ansichten innerhalb der Armee nicht einheitlich sind. Ihre zweigleisige Aufgabe ist außerdem in der jugoslawischen Verfassung festgehalten, die ihr sowohl die Verteidigung des Landes gegen Angreifer von außen auferlegt, als auch die Sorge für die Aufrechterhaltung des herrschen-den (kommunistischen) politischen Systems im Land.
Im Gegensatz zu Ceaucescu in Rumänien hatte Tito von Anfang an seiner Armee eine starke politische, wirtschaftliche und soziale Position im Nachkriegsjugoslawien gegeben. Das war eine Konsequenz davon, daß sie die direkte Nachfolge der siegreichen Partisanen (unter Titos Führung) des Zweiten Weltkriegs antrat.
Die Offiziere genossen eine lange Reihe von wesentlichen Privilegien; sie hatten eigene Einkaufszentren, die Armee trat als Bauherr komfortabler Wohnblöcke und Villen auf; unter den Fittichen der Armee entwickelten sich die ersten einflußreichen Export- und Import-Unternehmen des Landes, auch die Fluggesellschaft JATgehört ihr. Die Armee betrieb landwirtschaftliche Kombinate und produzierte ihre eigenen (leichten) Waffen, die zudem ein Exportartikel in die Länder der blockfreien Freunde in der Dritten Welt wurden (daß diese nicht gerne zahlten, spielte erst später eine Rolle, heute arbeitet die Rüstungsindustrie der Armee mit nur etwa 23 Prozent ihrer Kapazität).
Seit Titos Tod 1980 hat sich das Image der Armee in der Öffentlichkeit sehr gewandelt. War sie früher eine „heiligeKuh",über die niemand offen diskutierte, ist sie heute Gegenstand zahlreicher kritischer Ansichten. Sie hätte einen Sonderstatus in den politischen Gremien, der ihr die Position eines neunten Staates -(Gürer) neben den sechs Republiken und zwei Provinzen -einräume; auf diese Weise bestimme sie selbst mit über ihre Finanzierung, argumentieren die Kritiker. Zum Beispiel erhielt sie schon immer über Zoll- und Steuereinnahmen einen beträchtlichen Anteil des jugoslawischen Bundesbud- i gets (konkrete Zahlen darüber gibt es nicht).
Überall in der Welt werde abgerüstet, sagen die Kritiker weiter, nur nicht in Jugoslawien. Wehrdienstverweigerer werden immer lauter und zahlreicher, trotzdem landen die meisten von ihnen im Gefängnis. Seit die Armee 1981 in die Unruhen im Kosovo eingriff -das kollektive Staatspräsidium (in der Nachfolge Titos auch Oberbefehlshaber der Armee) hatte damit den Interessen der Serben entsprochen - ist das übrige Jugoslawien beunruhigt; das führte zur Debatte über das Thema, ob jede Republik ihre eigene nationale Armee aufstellen können sollte.
Als Schlußfolgerung bleibt erstens die Erkenntnis, daß ein Militärputsch niemals ganz und gar auszuschließen ist, denn auch in einem solchen Fall wären nicht nur rationale Erwägungen entscheidend. Zweitens aber - und viel realistischer - scheint die Unmöglichkeit eines solchen Putsches. Die Armee hat keinerlei Alternative anzubieten. Sie weiß selbst nur allzu gut - als Wirtschaftsunternehmer - daß allein die Sanierung der maroden Wirtschaft das Land aus dem Chaos führen kann.
Auch für die Beilegung der nationalen Spannungen innerhalb Jugoslawiens kann die Armee keine Alternative bieten - würde sie eingreifen, wäre der Bürgerkrieg sicher. Greift sie nicht ein, bleibt die Chance für eine evolutionäre Reformbewegung. Sollte es allerdings ohne das Zutun der Armee doch zu bürgerkriegsähnlichen Ausschreitungen kommen - dann wird die Armee eingreifen müssen. Eine Lösung der Probleme Jugoslawiens wäre dann in unübersehbare Ferne gerückt.
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