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Die Armee muß einfach wissen, wo sie steht

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1979 stand das Bundesheer bei den großen Herbstmanövern auf dem Prüfstand. Rund um die Ereignisse wurde über viele positive Dinge berichtet, aber auch über manche Unzulänglichkeit. Jetzt heißt es, die Lehren aus den Manövern des letzten Jahres zu ziehen, die Erfahrungen umzusetzen, die das Bundesheer für die achtziger Jahre gewonnen hat. Armeekommandant Emil Spannocchi hat für die FURCHE ein Resümee gezogen.

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1979 stand das Bundesheer bei den großen Herbstmanövern auf dem Prüfstand. Rund um die Ereignisse wurde über viele positive Dinge berichtet, aber auch über manche Unzulänglichkeit. Jetzt heißt es, die Lehren aus den Manövern des letzten Jahres zu ziehen, die Erfahrungen umzusetzen, die das Bundesheer für die achtziger Jahre gewonnen hat. Armeekommandant Emil Spannocchi hat für die FURCHE ein Resümee gezogen.

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Erinnern wir uns an die Malaise in Sachen Bundesheer am Ende der sechziger Jahre, die man in einem Satz zusammenfassen kann: „So geht das bestimmt nicht!" Dem war mit keinem Argument beizukommen, weil das Gefühl der Ohnmacht mit der Wirklichkeit des vorhandenen Instrumentes identisch war. Gefühl und Räson auf einem Nenner waren in ihrer Wirkung vernichtend als Wertschätzung des Bundesheeres durch Nichtsoldaten und als Selbstwertgefühl des Heeres.

Aus diesem Zwang heraus wurde vom Generalstab des Heeres die Doktrin der Raumverteidigung entwik-kelt. Als Skizze sei sie wiederholend in Erinnerung gebracht: Das ganze Land muß in jeder Region und in jeder Zone militärisch behauptet werden. ,

Weil das aber nicht überall gleichartig möglich ist, mußten diese Zonen verschieden aus militärischen, strategischen, geographischen und operativ mittelfristig wirksamen Gründen differenziert gewertet werden und damit auch im Verteidigungsverhalten. Es mußte möglich sein - und wie wir heute wissen, ist es das auch - kleine Räume, also Zonen, zu bestimmen, die für einen durch sie durchwollenden Aggressor deswegen von hohem Wert sind, weil er ein-

fach geographisch vorbei muß, und die für uns einen vergleichbaren Wert haben, weil es die eigene Geographie ermöglicht, mit ziemlich wenig ziemlich viel zu erreichen.

Die Thermopyylen sind ein unerfreulicher Erfolgsausweis für ein derartiges Denken und viele Ther-mopylen bringen unter Umständen einen ganzen Erfolg, nämlich den, daß die Kosten/Nutzen-Rechnung eines Aggressors nicht aufgeht.

Allein damit ist aber ein Erfolg noch nicht wahrscheinlich. Die anderen Räume, in denen man eben nicht wirklich stehen und verteidigen kann, dürfen auch nicht aufgegeben werden. Nicht aufgeben heißt aber, sie als Armee nicht zu verlassen und in einer besonderen Art immer wieder militärisch zu kontrollieren und zu beanspruchen.

Und dort ist die Taktik der 1000 Nadelstiche, die zermürben, zumin-destens aber abnützen, fremde Kräfte verschleißen, ohne allzu großen eigenen Kräfteverlust anzuwenden. Tito z. B. hat recht eindrücklich nachgewiesen, daß das möglich ist.

Das war die Idee oder, wenn man will, die Doktrin. Die Konsequenz davon war vom Denken her unglaublich zwingend - dazu brauchen wir ein neues Instrument, das solches auch kann. Und das glaubten wir in

unserer neuen und heute noch sehr jungen milizartigen Landwehrarmee gefunden zu haben. Diese haben wir seit dem Jahr 1973 zu formen begonnen. 1979 waren wir dann mit der organisatorischen Umstellung im großen und ganzen fertig.

Das Instrument ist nunmehr da, auch wenn es qualitativ noch längst nicht ausgeformt ist. Auf Grund der Möglichkeiten, die wir hatten und haben, glauben wir nach Ablauf wei-

terer sechs Jahre damit auch qualitativ ein verantwortbares Milizniveau erreicht zu haben. Daher aber kam ein Zwang zum Termin der Manöver 1979.

Wir haben einigermaßen mit Ruhe und kleineren vorlaufenden Erprobungsübungen die Umstellung bewältigt und hatten so allein noch nicht das Recht, auch zu behaupten, wir könnten beruhigt in der eingeschlagenen Richtung ausbildungsmäßig, in den Führungs- und Organisationsstrukturen sowie in den vorhandenen und gewünschten Waffen-

und Ausrüstungssystemen weiterbauen. Wir mußten also Doktrin und Instrument zugleich und genau überprüfen, um auf relativ gesicherter Basis Konsequenzen für die zweite Hälfte der Reform sinnvoll zu ziehen. War das Wirklich so leichtfertig, wie man uns das manchmal vorgehalten hat?

Wir glauben das Gegenteil. Die Unterlassung wäre unverantwortbar gewesen, auch wenn der Eintrittspreis in dieses Manöver hoch war. Das Risiko des Versagens schien aber der Armeeführung, nach Kenntnis des zwischenzeitig Erreichten, wesentlich geringer als die Unverantwortbarkeit mit abstrakten Argumenten, unbekümmert von Kritiken' und Versagensszenarien, einfach weiterzugehen. Wir glaubten, es -bisher sozusagen nur mathematisch beweisbar - besser zu wissen. Das war in erster Linie der Zwang für diese große Übung.

Der zweite Grund war ein uraltes Fachvorhaben. Die Armee mußte es einfach einmal wissen, wo sie steht. Was kann ihre Führung? Diese war völlig neu organisiert: mit der neuen Struktur der Korps, Divisionen, Militärkommanden und Landwehr-Regimentskommanden. Sie ist nicht nur strukturell neu, sie ist auch mit ganz neuen Männern besetzt, vom Brigadekommando an nach unten, mit einer neuen Führungsgeneration, die keinen Erfahrungsbezug mehr zum Krieg hat, die aber nach neuen Prinzipien ausgebildet und geformt wurde. Diese kann man nur unter der

Belastung der Führungsverantwortung über große und mittlere Verbände mit voller Truppe bewerten.

Was aber kann diese Truppe? Am Kasernenhof und in der Truppenübung ist diese Feststellung im untersten Ausbildungsbereich natürlich möglich, aber überprüfbar ist das nur unter kriegsähnlicher Belastung. Diese muß gesucht werden und wir haben sie gesucht - diese Belastung. Das war in zweiter Linie der Zwang zum Manöver.

Die manchmal gestellte Frage, ob der Ort der Manöver der richtige war,

sei folgendermaßen beantwortet: Selbstverständlich war es ein richtiger Ort. Das Donautal ist nun einmal seit einigen tausend Jahren ein Durchzugsgebiet militärischer Operationen „von Westen nach Osten und umgekehrt".

Das hat überhaupt keinen politischen Bezug - außer allenfalls einen neutralitätspolitischen: Der Gläub-barkeit nämlich, daß wir auch dort nach beiden Seiten verteidigen wollen und können. Woher der aktuelle Druck kommt, das zu beurteilen ist nicht Sache der Armeeführung.

Nur nebenbei: Kein Mensch im militärischen Westen hat sich gewundert, daß wir 1976 in vergleichbarer geographischer Gunst des Geländes ähnliches, mit umgekehrter Stoßrichtung ausprobiert haben, sozusagen als Vorlauf für diese Manöver.

Und was ist nun 1979 dabei herausgekommen? Sicher einige sehr positive Dinge: Zuerst daß diese junge Armee einen hohen Standard von Führungsfähigkeit und Einsatzbereitschaft, mit einem recht beträchtlichen Können in der Überlebensfähigkeit im Feld als Konsequenz einer soliden Grundausbildung unter manchmal gespenstisch kriegsnahen Belastungsverhältnissen ausgewiesen hat.

Zweitens: Die militärische Führung hat auf allen Ebenen im großen und ganzen so gut funktioniert, daß die Kräfte eines friedensstarken Korps einwandfrei und elastisch eingesetzt und zum müitärischen Zweck geführt werden konnten; daß also das

ganze Szenario eines Großgefechtes gemeistert werden konnte.

Ein weiteres, fast überwältigendes Ergebnis war der Ausweis des Zusammengehörigkeitsgefühls zwischen „unseren Soldaten" und „unserer Bevölkerung". Hier gab es überhaupt kein Problem.

Es bleibt zudem als Erfahrungswert fast unbestreitbar stehen: Trotz des unglaublichen Wetters wurde bestätigt, daß der Kampf der kleinen und kleinsten Jagdverbände in den Raumsicherungszonen ebenso wie der Verteidigungskampf in den Schlüsselräumen militärisch - im Zusammenhang mit der Bevölkerung - ein Faktor des Möglichen ist.

Wir haben das nicht nur theoretisch vorher behauptet, es ist diesmal wirklich gegangen. Natürlich muß das nicht immer gehen.

Da gibt es daher nachher sehr viel zum Nachdenken und ein ziemlich breites Band von Konsequenzen.

Nun aber Schluß mit dem Positiven. Diese Manöver wollten ehrlich sein und wir haben sie auch recht ehrlich durchgeführt. Daher gab es eine

breite und tiefe Palette von Erkenntnissen der Unzulänglichkeiten. Erkenntnisse, die zu einer sehr harten Forderung führen werden.

Zum Beispiel sind die Fähigkeiten der untersten militärischen Führung durch Ausbildung zu verbessern. Auf die Dauer können wir nicht die neun Mann einer Gruppe und die 40 Mann eines Zuges Verantwortungsträgern aufbürden, die ausbildungsmäßig dafür unzulänglich vorbereitet sind. Da muß in den nächsten sechs Jahren wohl noch mehr geschehen als bisher.

Die Waffensysteme, vor allem im Bereiche der dritten Dimension, der Fliegerabwehr, wurden wegen des Wetters kaum belastet. Reichen sie aus, um es verantworten zu können, diese ordentliche Truppe einzusetzen?

Es fehlt sicherlich noch sehr an festen Anlagen, also Bunkern, Kanonen, Sperren und Minen.

Und so geht das auf fast allen Gebieten der Ausbildung, Rüstung und Ausrüstung weiter. Hier müssen wir Konsequenzen ziehen. Sie werden nicht billig sein. Die Doktrin stimmt schon, die Struktur des Instrumentes auch, aber vom Weihnachtsmann können wir uns das sicherlich nicht wünschen.

Entweder wollen wir eine Armee, dann dürfen wir das nur wollen, wenn wir auch die materiellen Konsequenzen wollen, oder wir wollen die Armee nicht, dann können wir uns auch von den materiellen Konsequenzen absentieren.

Sie, die Armee, hat bei diesen Manövern an der quantitativ beachtlichen, daher repräsentativen Basis bewiesen, daß sie was wert ist. Sie hat daher das Recht zu erwarten, daß man ihr im Rahmen des Möglichen auch qualitativ das nicht mehr vorenthält, was sie noch braucht. Diese Armee ist nach diesen Manövern kein Spielzeug mehr - und auch kein Po-temkinsches Dorf.

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