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Die Armen fordern ihr Recht

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Die Armen Lateinamerikas scheinen auf niemanden mehr hoffen zu können als die Kirche. Das wissen der Papst und die Bischöfe, die gewillt sind, aus ihrer dreiwöchigen Versammlung etwas zu machen.

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Die Armen Lateinamerikas scheinen auf niemanden mehr hoffen zu können als die Kirche. Das wissen der Papst und die Bischöfe, die gewillt sind, aus ihrer dreiwöchigen Versammlung etwas zu machen.

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Joaquin Balaguer, der Präsident der Dominikanischen Republik, hatte sich verrechnet, als er darauf hoffte, der Papst könne sein klotziges Kolumbus-Monument, den elfstök-kigen Leuchtturm „Faro a Colon", einweihen. Denn dieser wollte das auf keinen Fall tun, und zwar aus zwei Gründen: Anders als der offensichtlich bei der Bevölkerung wenig beliebte Erzbischof von Santo Domingo, Nicolas de Jesus Kardinal Lopez Rodriguez, steht Johannes Paul II. diesem Prestigeobjekt kritisch gegenüber, zumal bekannt ist, daß mehrere tausend arme Menschen einfach „wegplaniert" wurden und ihr Zuhause verloren. Der andere Grund: Papst Johannes Paul II. achtete peinlich genau darauf, daß staatliche Kolumbusfeiern und kirchliches Gedenken an 500 Jahre Evangelisierung nicht miteinander vermischt wurden.

Johannes Paul II. wurde auch bei diesem seinem dritten Besuch auf der Karibikinsel herzlich begrüßt. Eine regelrechte Papstbegeisterung war zwar nicht zu spüren, dafür aber umso deutlicher, daß die Menschen in ihm einen glaubwürdigen Anwalt ihrer Sorgen sehen.

Wie selbstverständlich hatte der Papstbesuch zwei Schwerpunkte: die Option für die Armen und die Frage der Inkulturation. In seiner programmatischen Eröffnungsrede vor den Teilnehmern der Konferenz kam Johannes Paul II. immer wieder auf die Armen zu sprechen.Und immer dann, wenn ihn sein Manuskript zu diesen Stellen führte, schien der ansonsten etwas müde und durch die schwere Operation geschwächte Papst besondere Kraftreserven zu mobilisieren. Er weiß zu gut, daß sein Konzept einer Neu-Evangelisierung scheitern muß, wenn mit der Verkündigung der Frohen Botschaft nicht auch versucht wird, die trostlose Welt so zahlreicher Menschen etwas heller werden zu lassen. Deshalb bestätigte der Papst immer wieder die „vorrangige Option für die Armen". Der Dienst an den Armen sei eine bevorzugte, wenn auch nicht die einzige Form der Nachfolge Christi. Der beste Dienst sei die Evangelisierung, denn durch sie werde man „in die Lage versetzt, sich als Sohn Gottes zu begreifen, sie befreit von der Ungerechtigkeit und ermöglicht eine ganzheitliche Entwicklung".

Auch hier in Santo Domingo fiel auf, daß Johannes Paul II. stets von einer ganzheitlichen Sicht des Menschen ausgeht. Für ihn sind die Verkündigung des Wortes und der Einsatz für konkrete Gerechtigkeit keine Gegensätze, sondern zwei untrennbar miteinander verbundene Seiten derselben Medaille. Dabei kennt er seine Grenzen. Denn Konzepte, wie eine gerechte Weltwirtschaftsordnung aussehen könnte, legt er nicht vor. Aber er wird nicht müde, auf Weltebene Lösungen zu fordern, die eine wirkliche „Wirtschaft der gemeinsamen Güter und der Teilhabe an ihnen" ermöglichen.

Wie das Elend zumindest begrenzt, vielleicht sogar gemindert werden kann, wissen weder Papst noch Bischöfe sicher zu sagen. „Wir wissen, daß auch der Papst keine Wunder vollbringen kann", sagt eine junge Dominikanerin, „aber er macht uns Mut. Und den brauchen wir." Sie findet es gut, daß der Papst noch einmal die ganze Kirche zur Solidarität mit dem „Schrei der Armen" (Johannes Paul II. in Santo Domingo) verpflichtet hat.

Viele große Themen stehen auf der Tagesordnung in der Casa San Pablo, wo die 260 Bischöfe und weitere 140 Teilnehmer seit dem 13. Oktober unter dem Motto „Neue Evangelisation - Menschliche Entwicklung -Christliche Kultur. Jesus Christus gestern, heute und in Ewigkeit" über den Weg der Kirche in Lateinamerika ins dritte Jahrtausend beraten. Vieles von dem, was sich in dem Arbeitspapier findet, klingt - was die innerkirchliche Situation angeht - hoffnungsvoll und könnte Auswirkungen bis in die Kirche der Alten Welt haben. So sind einige Bischöfe fest entschlossen, ein wirklich gutes und vertrauensvolles Miteinander von Klerikern und Laien zu finden.

Eines der anspruchsvollsten und wohl auch schwierigsten Themen dieser Konferenz dürfte die Frage der Inkulturation sein. Das wurde bereits in den ersten Sitzungstagen deutlich. Zum Beispiel durch die eindrucksvolle Rede des Quechua-Indianers Jose Manuel Cachimuel Campo aus Ecuador. Im Plenum wie auch vor Journalisten machte er deutlich, daß die Ureinwohner des „entdeckten" Kontinents von der Kirche mehr erwarten als ein wohlklingendes „Pardon". Vielmehr müßten die Bischöfe und die Kirche die Rechte und die Identität der Indio-Völker respektieren und sich zu Anwälten ihrer Forderungen machen.

Die „Neue Evangelisierung soll die Irrtümer der ersten Evangelisierung korrigieren, und wenn sie uns das Evangelium bringen, sollen sie unsere Prinzipien und Werte nutzen", sagte der Indianer. Und: „Wir wollen wahrgenommen werden, damit die ganzheitliche

Entwicklung auch zu uns gelangt und die Fehler der Vergangenheit überwunden werden. Die Inkulturation des Evangeliums muß von unseren legitimen Werten ausgehen, damit wir Christus nachfolgen können, ohne unser Indio-Dasein aufgeben zu müssen."

Mit großem Respekt sprach auch er vom Papst, der Vertretern verschiedener Indio-Völker am letzten Tag seiner Reise in die Dominikanische Republik eine Botschaft ,jdes Friedens und der Liebe" übergeben hatte. Darin ermutigt Johannes Paul II. die Indios, „mit berechtigtem Stolz die Kultur ihrer Völker, die gesunden Traditionen und Bräuche, die Sprache und die eigenen Werte zu bewahren und zu fördern". Und er versichert, daß die Kirche sie unterstützen werde in ihrem Kampf für eine gerechte Agrarreform.

Das wurde ebenso mit Genugtuung aufgenommen wie die Formulierung, mit der sich der Papst zu den auch von Christen begangenen Greueltaten äußerte: „Das Wissen um den Schmerz und das Unrecht, das so vielen Schwestern und Brüdern angetan wurde, soll an diesem 500-Jahr-Gedenken Anlaß sein, demütig für das zugefügte Leid um Vergebung zu bitten." All das wurde hier verstanden als Beginn einer neuen Sprache und eines neuen Miteinander. Doch vor den Bischöfen aus Lateinamerika liegen in Santo Domingo noch geradezu unüberwindliche Hindernisse. So wie sie bei der Bekämpfung der Armut, des Elends und der Trostlosigkeit noch keineswegs das „Ei des Kolumbus" gefunden haben, so werden sie sich auch schwer tun mit der Beantwortung der Frage, wie denn die Inkulturation tatsächlich aussehen könnte. Bisher, so sagt es beispielsweise Bischof Julio Cabrera aus Guatemala, „ist das Evangelium tatsächlich noch nicht inkulturiert". Wenn das wahr ist, könnte die Neu-Evangelisierung daran scheitern, daß die Versuche zur Inkulturation zu spät kommen - und einer auch in Lateinamerika rasant wachsenden Säkularisierung begegnen, die eine Inkulturation überflüssig beziehungsweise nicht mehr erforderlich macht.

Martin Lohmann ist Ressortleiter „Christ und Welt" beim Rheinischen Merkur.

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