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Die Arzte am Scheideweg
Ein 52 cm großer, 3,65 kg schwerer Bub sorgte vorige Woche für Aufsehen: Er ist Österreichs erstes „Retortenbaby", die erfreuliche Frucht einer fragwürdigen Forschung.
Ein 52 cm großer, 3,65 kg schwerer Bub sorgte vorige Woche für Aufsehen: Er ist Österreichs erstes „Retortenbaby", die erfreuliche Frucht einer fragwürdigen Forschung.
Es ist soweit: Österreich hat sein erstes „Retortenbaby". Der kleine Slatko Jovanovic ist gesund, die Eltern sind glücklich, die Mediziner der II. Wiener Universitäts-Frauenklinik (Vorstand: Univ.-Prof. Herbert Janisch) sind stolz auf ihre Leistung.
Ist damit alles in Ordnung? Oder sind Bedenken gegenüber Formen der Fortpflanzung anzumelden, die sich immer mehr von den natürlichen entfernen?
Der Wiener Gynäkologe Wolfgang Müller-Hartburg, Primarius in Eisenstadt und engagierter Gegner der Fristenregelung, ist positiv eingestellt: „Wenn es sich um ein Ehepaar handelt, das ei-
nen seriösen Kinderwunsch hat und anders nicht zu biologisch eigenen Kindern kommen kann, sehe ich keinen Einwand gegen den Gebrauch dieser wissenschaftlichen Leistung. Die Gebrauchsund Mißbrauchmöglichkeiten sind nicht größer als bei der natürlichen Befruchtung."
An der Wiener Klinik sieht Müller-Hartburg derzeit seine ethischen Forderungen an so einen Vorgang gewahrt. Unmoralisch wären in seinen Augen „das Durchbrechen des Kulturgutes der Ehe (durch Verwendung des Samens eines anderen Mannes) und die Erzeugung von Kindern, denen man keine Lebenschance gibt (sie also nicht einpflanzt)".
Daß im Falle einer funktionsuntüchtigen Gebärmutter eine „Leihmutter" für diejenige, von der das Ei stammt, ein Kind austrägt, diesen Fall will der Gynäkologe „nicht von vornherein apodiktisch negativ beurteilen", ebenso nicht die Verwendung einer „künstlichen Gebärmutter", wie er sie in wenigen Jahrzehnten für möglich hält: „Die Entwicklung eines Menschen ist auf die Dauer nicht zwangsläufig an Schwangerschaft gebunden."
Müller-Hartburg glaubt, daß der Bedarf nach der neuen Methode zunimmt: „Das Versagen der Eileiter beruht zum größten Teil auf Entzündungen, diese wieder zum überwiegenden Teil auf Promiskuität oder Verwendung der sogenannten .Spirale'."
Probleme am Rande
Rechtlich ist die „extracorpora-le Fertilisation" nach den Worten des Zivilrechtlers Univ.-Prof. Rudolf Welser, derzeit Dekan der Juridischen Fakultät der Universität Wien, „absolut nicht geregelt, aber nach den natürlichen Rechtsgrundsätzen zulässig — allerdings sollte man darangehen, die Voraussetzungen der Zuläs-sigkeit rechtlich zu fassen."
Welser sieht eine Reihe von Problemen, die am Rande entstehen könnten: Schädigungen an
der Mutter (was rechtlich analog zu ähnlichen anderen Eingriffen zu behandeln wäre) oder am Kind (deren alleinige Verursachung durch die Retortenzeugung aber kaum beweisbar wäre), Unterhaltsstreitigkeiten im Falle einer heterologen Insemination (wenn also nicht der Samen des Ehemannes verwendet wird).
Auch im Hinblick auf Samenbanken sieht Welser gesetzliche Regelungen der künstlichen Fortpflanzungsmethoden für notwendig an, abgesehen davon sei „das' Ganze natürlich ein hochethisches, moralisches und religiöses Problem".
„Die Forschungsmethoden sind viel kritischer zu beurteilen als die Anwendungsmethoden", erklärt Müller-Hartburg, und der katholische Moraltheologe Univ.-Prof. Karl Hörmann (Universität Wien) sieht ebenfalls das Hauptproblem darin, „daß Leben geweckt wird, das man dann unter Umständen zum Abfallprodukt werden läßt".
Das kirchliche Lehramt hat sich dazu nicht offiziell geäußert. Papst Pius XII. hat einst Befruchtungshilfen unter Eheleuten unter weitgehender Annäherung an den natürlichen Vorgang vorsichtig gebilligt, die Zeugung in der Retorte aber abgelehnt. Seine Nachfolger haben dazu wenig und nichts grundsätzlich anderes gesagt. Viele Theologen raten eher zu einer Adoption als zu einer Retortenzeugung, andere können aber auch diesen Schritt verstehen.
Huxley bestätigt?
Hörmann stört vor allem die Entpersonalisierung der Zeugung, wenn sie im Laboratorium geschieht: „Die Kirche hat früher das Kind als Zweck der Ehe überbetont, was einseitig war, heute kommt zunächst die Liebesbegegnung der Gatten und dann, als deren Frucht, das Kind. Mit dem Retortenbaby kehrt man zu einem der Vergangenheit angekreideten Verhalten zurück: Fortpflanzung ohne Gattenliebe."
Hörmann fragt auch nach den Folgen für die von der Psychologie als wichtig erkannte pränatale Mutter-Kind-Beziehung. Sollte ein Kind mittels „Leihmutter" oder künstlicher Gebärmutter zur Welt kommen, würde diese Phase überhaupt wegfallen oder ganz anders verlaufen.
Aldous Huxley, Verfasser des Buches „Schöne neue Welt", in dem nur mehr Retortenmenschen mit bestimmten Eigenschaften herangezüchtet werden, hat unsere Retortenbabys nicht mehr erlebt, hätte sich aber sicher bestätigt gefühlt. Die Vorstellung, Menschen völlig außerhalb des Mutterleibs zur Entwicklung zu bringen, ist keine reine Utopie mehr. Sie bleibt aber, so verständlich medizinische Hilfe zur Mutterschaft im Einzelfall sein mag, auf die Allgemeinheit übertragen eine Horrorvision.
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