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Die Atomver(w)irrung

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Schlagzeilen der letzten Tage kündeten: „Bald neue Volksabstimmung über Zwentendorf. Und SPÖ-Klub-obmann Heinz Fischer überlegte schon halblaut vor sich hin, es „könnte die Volksabstimmung im Spätwinter oder Vorfrühling, also im Februar oder März”, stattfinden. Atombefürworter dürften voreilig jubeln, Kernkraftgegner ängstigen sich vorzeitig: die Atom-ver(w)irrung.

Denn: Zu einer zweiten Volksabstimmung über Zwentendorf kann es so bald überhaupt nicht kommen. Es sei denn, die Politiker werden allesamt wortbrüchig. Es sei denn, der Nationalrat beendet vorzeitig seine laufende Legislaturperiode und es gibt Neuwahlen; die SPÖ wählt auf einem Sonderparteitag Bruno Kreisky ab und kürt Hannes Androsch zum Parteivorsitzenden; gleichzeitig räumt in der ÖVP Alois Mock seinen Parteiobmannsessel für Karl Dittrich.

Nur dann wäre nämlich politisch all das hinfällig, was einstweilen einer Neuauflage der Atomvolksabstimmung vom 5. November 1978 im Wege steht.

Formal ist die Atomdiskussion entschieden: Vor 18 Monaten votierten 50,47 Prozent bei der Volksabstimmung gegen eine Inbetriebnahme von Zwentendorf, die Kern-kraftbefürworter blieben mit 49,53 Prozent knapp, aber doch in der Minderheit.

Im Dezember 1978 beschloß der Nationalrat einstimmig das Atomsperrgesetz mit einem „Verbot der Kernspaltung für die Energieversorgung in Österreich”.

Ein Jahr später wurde, nach zähem Ringen, auch dieses Gesetz noch verschärft: in einer gemeinsamen Entschließung verpflichteten sich SPÖ, ÖVP und FPÖ, daß das Atomsperrgesetz wenn überhaupt, so nur mit Zweidrittelmehrheit und auch dann nur mit nachfolgender neuerlicher Volksabstimmung aufgehoben werden kann.

Eine solche Zweidrittelmehrheit zeichnet sich nicht ab. Daran ändert auch ein Volksbegehren zur Aufhebung des Atomsperrgesetzes nichts, um das sich unscheinbar der Badner Maschinenbauingenieur Herbert Schöfnagl, Architekt Felix Stika und Versicherungsmann Michael Rupprecht, um so augenscheinlicher aber Gewerkschaftsund Industriefunktionäre bemühen.

Gleichzeitig sammelt auch die Vorsitzende der Katastrophenhilfe österreichischer Frauen, Elisabeth Schmitz, Unterschriften unter den Kernkraftgegnern, um mit einem anderen Volksbegehren den Umbau von Zwentendorf in ein konventionelles kalorisches Kraftwerk durchzusetzen.

Sowohl die Kernkraftbejaher wie auch ihre Gegenspieler können mit einem Erfolg rechnen: die erforderlichen 200.000 Unterschriften für ihre Volksbegehren werden sie zusammenbekommen. Dann kommen diese zur Behandlung in den Nationalrat - und dort findet sich, nach dem gegenwärtigen Stand, für keines die erforderliche Mehrheit.

Vor einer Volksabstimmung müssen sich die Parteien entscheiden und eine Aufhebung des Atomsperrgesetzes beschließen. Erst dann könnte darüber das Volk erneut abstimmen.

Die ÖVP sieht gegenüber dem Volksabstimmungsjahr „keine neue Faktoren” , vor allem nicht im Bereich der Sicherheit und der gefahrlosen Endlagerung des Atommülls, die die Inbetriebnahme von Zwentendorf ermöglichen könnten.

Die FPÖ bleibt ebenfalls bei ihrem grundsätzlichen Nein.

Und der SPÖ sind, auch wenn heute kein Spitzenpolitiker die Courage aufbringt, dies öffentlich zu sagen, die Hände gebunden.

„In Österreich”, bekannte die Kreisky-Partei in ihrer Wahlplattform 1979, „entschied das Volk, ob Energie aus Kernkraft gewonnen werden soll. Die Sozialisten haben diese Volksabstimmung durchgesetzt und stehen zu ihrem Ergebnis.” Dies verpflichtet die Regierungspartei für die laufende Legislaturperiode.

Allerdings, könnte eingewendet werden, ergebe sich durch ein Volksbegehren eine neue Situation. Nur ändert das nichts.

„Unsere Mehrheit legitimiert uns nicht”, deponierte der Bundeskanzler schon am 22. August 1979 in der „Arbeiter-Zeitung” , „mit ihr das Atomsperrgesetz aufzuheben. Hunderttausende haben uns am 6. Mai dafür gewählt, die uns sonst nicht gewählt hätten.”

Fünf Tage später nahm der Regierungschef konkret auf die nunmehr eingetretene Situation Bezug und meinte: „Die Regierungsmehrheit reicht nicht dafür aus, weil eine solche Initiative nicht als Wahlziel der SPÖ angegeben wurde, sondern die SPÖ im Gegenteil gesagt hat, daß für sie das Ergebnis der Volksabstimmung gilt”.

Da keine der drei im Parlament vertretenen Parteien bereit und in der Lage ist, sich für eine Aufhebung des Atomsperrgesetzes zu entscheiden, ohne völlig die Glaubwürdigkeit - und damit die nächsten Wahlen - zu verlieren, ist eine Diskussion über die Volksabstimmung, der ein Pro-Zwentendorf-Beschluß von SPÖ und ÖVP vorangehen müßte, fruchtlos.

Auch wenn Nationalbank-Generaldirektor Heinz Kienzl allmonatlich Meinungsumfragen für einen angeblichen Meinungsumschwung in der Bevölkerung vorlegt.

Auch wenn Finanzminister Hannes Androsch die Zwentendorf-Frage mit seinem Budget-Füllhorn junktimiert.

Auch wenn ÖGB-Präsident Anton Benya anregt, „in aller Ruhe zu überlegen, ob es sinnvoll ist, das Kernkraftwerk Zwentendorf... ungenützt stehen zu lassen” und dies mit der Frage der Vollbeschäftigung verknüpft.

Für Benya ist nämlich das Thema eigentlich „vom Tisch” , vertraute er am 3. 4. des Vorjahres dem SPÖ-Zentral-organ an. Mehr noch: „Weder in der Führung der SPÖ noch unter sozialistischen Gewerkschaftern denkt jemand daran, das Ergebnis zu unterlaufen. Ich habe ausdrücklich gesagt, daß wir nicht initiativ werden. Das ist die Sache der Parteien.”

Bruno Kreisky ist wieder entgegengesetzter Meinung: Partei und Regierung werden keine Initiative ergreifen.

Hannes Androsch ist nicht initiativ. Karl Sekanina auch nicht. Schon gar nicht Anton Benya. Oder doch?

Nichts, meinte einmal Harold Mac-millan, ist für einen Politiker so schwer verdaulich, wie manches von dem, was er gestern gesagt hat.

An den Magenkrämpfen der Politiker nehmen wir in diesen Tagen Anteil.

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