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Digital In Arbeit

Die Aufgabe der Zeitung: Boje in der Informationssee

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Die österreichische Medienlandschaft ist durch ein hohes Maß an Pressekonzentration einerseits und durch die elektronische Monopolanstalt österreichischer Rundfunk andererseits geprägt. Die Probleme, die sich daraus ergeben, heißen hier Pressevielfalt durch Vielzahl der Produkte und dort Objektivität und Meinungsvielfalt innerhalb der Rundfunkanstalt.

Die Gesamtauflage Edler österreichischen Tageszeitungen beträgt rund 2,5 Millionen, wovon 81,4 Prozent auf parteiungebundene und 18,6 Prozent auf parteigebundene Zeitungen entfallen. Die „Neue Kronen-Zeitung“ Und der „Kurier“ erreichen zusammen 54 Prozent der Gesamtauflage aller österreichischen Tageszeitungen. Die Reichweite der Tageszeitungen, also die Feststellung, wieviel Prozent der Bevölkerung Kontakt mit einer Tageszeitung haben, betrug 1976 rund 65 Prozent, was einer Leserzahl von 3,3 Millionen entspricht. Dem gegenüber hat das Fernsehen eine Reichweite von 70,4 Prozent, der Hörfunk von 69,7 Prozent, was etwa je 4 Millionen täglichen Konsumenten gleichkommt. Die tägliche Femsehdauer beträgt im österreichischen Durchschnitt zwei Stunden; Radio wird täglich im Durchschnitt drei Stunden gehört.

Betrachtet man die Darstellung der Printmedien und der elektronischen Medien in der täglichen Öffentlichkeit, so fallt auf, daß Rundfunk und Fernsehen Gegenstand regelmäßiger Berichterstattung und Kritik in den Tages- und Wochenzeitungen sind. Hingegen enthält sich die Rundfunkanstalt in eigenen Beiträgen weitgehend der Darstellung der Verhältnisse und Ereignisse auf dem Printmedienmarkt, soweit nicht aktuelle Anlässe oder die Notwendigkeit unmittelbarer Replik auf Darstellungen der Printmedien dies erforderlich machen.

Neben der hohen täglichen Fernseh- und Hörfunkdauer, der starken Intensität des über den Bildschirm kommenden Informations- und Unterhaltungsangebotes ist es nicht zuletzt diese ständige Befassung mit Rundfunk und Fernsehen, die den Fehleindruck vermitteln könnte, als ob dem geschriebenen oder gedruckten Wort schon längst nicht mehr eine gleiche Bedeutung wie der elektronischen Informationsvermittlung zukäme. Hatte Edso Marshall /McLuhan recht, wenn er 1968 formulierte, daß die Entwicklung auf dem Informationssektor vom „vorsilphabe ti schen“ über das „alphabetische“ zum „nachsdphabetischen“ Zeitsdter führt, dessen Informationstechnik sich weitgehend auf die bildliche Übertragung beschränken werde und in dem Druckerzeugnisse, selbst Bücher, zurückgehen, wenn nicht gar verschwinden werden? Befinden wir uns tatsächlich in einer Zeit, in der das Wort Eillmählich in Verlust gerät und durch sprachliche und bildliche Symbole der Television ersetzt wird? Bedeutet dies ferner, daß damit die zeitgenössische Kultur, wie dies Daniel Bell formulierte, zur visuellen und nicht zur Kultur des gedruckten Wortes wird?

Was also haben die Printmedien in der Informationslandschsift der beginnenden achtziger Jahre für eine Aufgabe? Reduziert sich ihre Funktion auf die von „Begleitmaterial“ zu Produktionen der elektronischen Medien Hörfunk und Fernsehen, wie dies etwa bei Bildungssendungen im Medienverbund mit gutem Grund und Erfolg gehandhabt wird, oder ist es gerade Aufgabe und Chance der Printmedien, sich nicht in einen Wettlauf um SekundenaktuEilität mit den elektronischen Medien einzulassen, sondern durch eine stärkere Hervorstellung ihrer speziellen Möglichkeit in diesem Konkurrenzkampf im Interesse der Meinungsvielfalt zu bestehen?

Es ist kein Zweifel, daß der Zwang für die Mitarbeiter in elektronischen Medien, die jeweiligen Übertragungsgeschwindigkeiten nutzen zu müssen, auch vielfach Verzicht auf gründliche Recherchen oder vollständige Darstellung bedeutet. „Hohe Aktüalität erzwingt Vordergründigkeit“ (Karl Steinbuch). Hier steckt die Chance der Druckmedien, in der genauen Recherche, der vertiefenden Darstellung von Zusammenhängen und Hintergrundereignissen und insbesondere der - je nach Standort der Zeitung - auch klar und offen deklarierten Meinungsaussage.

Darüber hinaus verfügen die Druckmedien (Lesemedien) über eine Reihe von in ihrer Natur liegenden Vorzügen, die sie von elektronischen Medien auch in Zukunft unterscheiden werden. So ist der Leser einer Zeitung, einer Zeitschrift oder eines Buches sein eigener „Programmgestalter“.

Durch die Art der Informationsaufnahme via Lesemedium ist es aber dem Rezipienten auch möglich, über Argumente schon während der Informationsaufnahme nachzudenken und zu Reflexion über die eigenen Vorstellungen zu gelsingen. Das visuelle Medium Fernsehen zwingt hingegen, wie es Darnel Bell formulierte, dem Betrachter sein Tempo auf und lädt ihn auf Grund seiner Bevorzugung von Bildern zuungunsten von Worten nicht zur Begriffsbildung, sondern zur DrEimatisierung ein. Damit aber erschöpfe sich die visuelle Kultur erheblich schneller als die Kultur des gedruckten Wortes, weil sie sich bereitwilliger als jene den von der

Masse jeweils aufgegriffenen Impulsen überläßt.

Man wird daher, bei Respektierung der der elektronischen Informationsübermittlung innewohnenden Faszination, dem Lesemedium unbestritten den Vorteil der größeren Nachhaltigkeit, der Möglichkeit sachlicher Differenzierung wie auch der Vermittlung von bleibenden Informationen hohen wissenschaftlichen oder ästhetischen Niveaus zusprechen können. Bezogen auf die achtziger Jahre, die auf dem elektronischen Sektor geprägt sind von Begriffen wie Kabel-TV, Satelli-

ten-TV, also von einer zu erwartenden weiteren Informations- und Kanal Vielfalt, wird dem Lesemedium, und hier vor allem den Zeitungen und Zeitschriften, ein zunehmend differenzierter, aber voraussichtlich mit höherem Stellenwert versehener Platz in der Informationslandschaft zukommen: Leuchtfeuer und Bojen in der eher stürmischen elektronischen Informationssee zu sein, die nachhaltige Orientierung und Information einerseits, aber auch wiederholtes Überdenken und im ästhetischen Bereich besinnlichen Genuß ermöglichen.

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