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Digital In Arbeit

Die Ausenbeschäitisuns

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Gefährlich, weil ohne Prüfung entstanden und hingenommen, ist der weitverbreitete Eindruck, mit dem Fernsehen sei ein neuer, allen zugänglicher Bildungsweg entstanden, der ohne Anstrengung (Lernzwang, Gedächtnispaukerei) begangen werden kann. Die Erfahrung von zwei Jahrzehnten Fernsehbeobachtung in Europa widerspricht diesem Eindruck. Daraus ergibt sich eine Frage, die viele Einzelheiten aus der Beziehungswelt vom Fern-, sehen zum Menschen und umgekehrt auf den Prüfstand holt.

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Gefährlich, weil ohne Prüfung entstanden und hingenommen, ist der weitverbreitete Eindruck, mit dem Fernsehen sei ein neuer, allen zugänglicher Bildungsweg entstanden, der ohne Anstrengung (Lernzwang, Gedächtnispaukerei) begangen werden kann. Die Erfahrung von zwei Jahrzehnten Fernsehbeobachtung in Europa widerspricht diesem Eindruck. Daraus ergibt sich eine Frage, die viele Einzelheiten aus der Beziehungswelt vom Fern-, sehen zum Menschen und umgekehrt auf den Prüfstand holt.

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Zwischen den äußersten Polen totaler Annahme aller Sendungen ohne jede kritische Beziehung (aus Bequemlichkeit, Standpunktlosig- keit, Dummheit) und totaler Ablehnung (aus Hochmut, aus Angst vor den Folgen einer Überflutung in der Familie, aus Verkennen des Mediums und seiner gesellschaftspolitischen Relevanz, aus Wissen um die Nichtbewältigung des Massenangebotes) pendelt die Einstellung der Menschen zum Fernsehen: für eine sozialpsychologische und anthropologische charakterologische Untersuchung eine höchst ergiebige Fundgrube. Die ganze Skala der Unterschiede in Bildung, Haltung und Charakter tritt dabei auf den Plan.

Aber es kann keine Debatte darüber geben, daß der Normalmensch in unserer Welt das Fernsehen akzeptiert hat — rund 80 bis 90 Prozent der Haushalte in den meisten Ländern besitzen Fernsehgeräte. Sich dagegen stemmen oder es ablehnen, weil einem manches nicht behagt, zeugt von der gleichen Borniertheit, die manche Gebildete bis heute dem Film gegenüber an den Tag legen, weil es zu ihrer Fasson gehört, ins Theater, ins Konzert zu gehen — aber das Kino als Unterhaltungsstätte für das gemeine Volk anzu- und zu ‘übersehen. Gerade dieser Hochmutsdünkel aus gewolltem Abstand hat durch mehrere Generationen böse Folgen gezeitigt: den rechtzeitigen und allgemeinen Einsatz der notwendigen Filmerziehung und den Aufbau einer selbstverständlichen Filmkultur verhindert. Inzwischen ist eine Generation herangewachsen, die als einseitiger Femsehanhänger oder -fanatiker die Bildungsleistung des Films (und vielleicht auch anderer Medien) übersieht oder abschiebt, obwohl viele Idealisten sich Jahre und Jahrzehnte als Filmpädagogen mühten und es heute noch tun.

Die Wechselbeziehungen

Das heißt aber nicht: kritiklos hinnehmen, was im TV produziert wird, um ein visuelles Bedürfnis von Massen zu befriedigen. Ein Medium von solcher Verbreitung und Wirkmöglichkeit, das allen Beobachtern zeigt, wie Kommunikationsinstrument und Gesellschaftsform in nicht zu leugnender Wechselbeziehung stehen, ist nicht mit einem Kartoffelmarkt zu vergleichen. Der Bildungspädagoge fordert daher vom Fernsehen, daß es:

• seine Aufgabe als Erziehungsinstrument und Bildungshelfer erfaßt und einsetzt;

• seine Mittel nicht inadäquat verwendet;

• seine spezifische Art im Bereich der Kommunikationsmedien sucht und ausbildet.

Beobachtungen bezeugen, daß die rechte Einstellung zum Fernsehen als Bildungsmöglichkeit und -lei- stung auf beiden Seiten fehlt: sowohl bei den Konsumenten als auch bei den Produzenten.

Anläßlich einer kritischen Beurteilung von Fernsehprogrammen auf ihre Eignung als Bildungsbeitrag war zu beobachten, wie einzelne Sendungen — ohne Bedachtnahme auf ihren möglichen Wert für eine bestimmte Gruppe — aus einer fixierten persönlichen Einstellung zu unbeliebten Darstellungsmodi abgelehnt wurde. Es ist durchaus einsichtig, daß sich zum Beispiel ein Literaturfreund für einen Filmvortrag über Verpackungsart von Gütern und deren Schutz vor Transportgefährdungen kaum begeistern wird, der jedoch für Menschen wichtig ist und bildungswirksam werden kann, die damit zu tun haben, wenn diese Empfänger auf ihre Einstellung zu gezeigten Erfordernissen zu achten beginnen und aus neuen Erkenntnissen ihr Verhalten ändern.

Mängel im TV-System

McLuhan nennt das Fernsehen den schüchternen Giganten, ein „kühles Medium“ (bezeichnend, daß ein amerikanischer Film diesen Titel trägt!) mit geringem Grad an Informationsdichte, das vom Zuschauer einen hohen Grad an innerer Anteilnahme fordert.

Im allgemeinen scheint bei genauerer Beobachtung das Fernsehen noch immer zwischen Film und Hörfunk zu stehen, ohne seine Eigengestalt zu kennen. Vom Film weiß man — auch noch nicht sehr lange — was er isft: außer dem Unterhaltungsmittel ein Kulturgut und ein Indikator von Strömungen, in dem sich außer sozialem Engagement, bewußt oder unbewußt eingeflochten, auch Mystisches in Traumtiefanalyse vorfindet; dargeboten in einer Verbindung von Form (Einstellung, Sequenz, Komposition, Dekor, Darstellung) miit Bewegung (Bildablauf, Zeit, Kamerafahrt, Action, Schnitt) und Farbe plus Ton (Sprache, Geräusch, Musik) zu einem komplexen Eindruck beim Aufnehmenden, der sich nach Eigencharakter der Person umsetzt in eine bestimmte Inhaltserfassung (emotionell und geistig) mit ideologischem, ethischem, philosophischem Hintergrund.

Beim Hörfunk ist die Übertragung und Erfassung einfacher und dichter. Bildstürmer weisen mit Nachdruck auf die einzige Möglichkeit einer geistigen Vermittlung von geistigen Inhalten durch den Hörfunk hin. Durch den Wegfall der optischen „Ablenkung“ sei der Kontakt zwischen Empfänger und Sender beim Hörfunk intensiver und der Hörer könne sich deshalb störungsfreier mit dem Sendegut beschäftigen; damit sei die Gewähr für die unmittelbare Aufnahme auch schwieriger Inhalte gegeben.

Was aber ist das Fernsehen, von dem wir die technische Seite sehr gut kennen, als Medium? Kritische Beobachter meinen, es lasse sich (boshaft ausgedrückt) als jenes Medium definieren, bei dem die es Gebrauchenden (Produzenten, Regisseure) zumeist nicht wüßten, was das Medium-.Spezifikum ist. Diese Ungenauigkeit schafft Pein. Nicht nur dem Lehrer, der im Schulfernsehen manches vorgesetzt bekommt, das er aus Gründen der Disziplin und der Unterrichtsvereinfachung übernimmt; aber vielleicht ohne Überzeugung für einen didaktisch richtigen Einsatz — auch dem Erwachsenenbildner, weil er an der Darbietung eines (zugegeben wichtigen) Stoffes merkt, daß jemand dahinter stand, der das Fernsehen mißbraucht, um seine Weisheit anzubringen, ohne zu beachten, daß rein kognitive Wissensvermittlung ohne emotive Anregung zur Verarbeitung dem System und den Anfor-

Jerungen einer femsehgerechter ßildungssendung nicht entspricht. E: ibersieht, daß Stoffvermittlung mr lern Darstellungsmodus seinen Zeu- jungsakt eingehen muß.

Das Fernsehen wirft die Erwachsenenbildung häufig wieder zurücl tuf den Stand zwischen Elementar, schule und Universität. Ein Stoßseufzer wirft hier ein: Ja, wenn e: įur zwischen den beiden Grenz- gereichen stünde! Aber allzu vieles las geredet oder vorgetragen wird ;ehört inhaltlich und formal entweder dem einen oder beinahe nus lern anderen Lehrbereich an unc verfehlt dann im ungenügenden Darbietungsmodus den Adressater »änzlich. Das Fernsehen erfüllt seine ?urtktion als Mittler zwischen Mensch und Medium Im Bildungs- mfbau nicht, wenn die Sendung ücht richtig bedacht und nicht rech’ ‘emacht ist.

Ein Beispiel: Ein Wissenschaftler lurchaus gescheit, blendet sich ir ;ine Sendung über Lerntechnik eir md spricht nun, sehr bedeutsam and eindringlich, eine halbe Stund) iiber sein Thema, wobei sein Gesicht vom Bildschirm nicht mehs /erschwindet. Ist hier über die Dar- lietung des Wissensstoffes irgendeine emotive Aufbereitung möglich’ Ss kann aber sehr leicht eine aver- sive Haltung beim Empfänger entstehen, der dann abschaltet, stat sich mit dem Gehörten auseinander- üusetzen.

In der Methodik der Erwachsenenbildung sind andere Wege als oei der Jugenderziehung zielfüh rend, die nicht immer leichter sind. Immer müßte es die Hauptfrage sein: Sind unsere bildungsrelevanten Sendungen immer richtige Motivationssendungen, die dem Fernseher Impulse geben, zu Verhaltensweisen anregen, mit der Ausgangsmöglichkeit der Identifikation? Es muß doch ein Unterscheiden erreicht werden das vom passiven Schauen Berieseltwerden weiterführt zun aktiven Mitleben, Verarbeiten, zus Integration in die eigene Apperzeptionsmasse. Erst dieser Vorgarn leistet Wissenserweiterung, Kunstverstehen, Gesohmackbildung, Weltbegreifen, soziale Einsicht, Lockerung aus der Erstarrung eines mangelnden mitmenschlichen Verhalten: die besonders den isolierten Groß stadtmenschen wie eine Seuche bedroht oder schon erfaßt hat.

Nicht erst aus den Untersuchungen der Futurologen wissen wir welche Bedeutung den. Medien ii der zukünftigen Gesellschaft zukommt — und daß speziell das Fernsehen als Bildumgsinstrument bei- tragen muß zum Aufbau der Kritikfähigkeit, des Verantwortungsbewußtseins, der Kommunikationsfähigkeit.

Darin liegt, nach einer Veröffentlichung futurologischer Forsoher seine Bedeutung. Soll man dazi Kant bemühen, der sagt: „Die Wirklichkeit ist uns nicht gegeben, sondern aufgegeben?“

Neben der Wirklichkeit, der Darstellung der Wirklichkeit, brauche) wir die Phantasie als zweite Quell« für das Lernen. Wer möchte behaupten, die Phantasie sei minder- wertiger als die Vernunft? Nich bloß der Dichter darf von ih schwärmen als der „göttlichen Tochter“; der Bildungspädagoge mul (selbstverständlich auch im Fern sehen) von dieser Kraft wissen un ihre Strahlung nützen.

Aus der kritischen Sicht auf Fehlerquellen hebt sich die Möglichkeit und Wirklichkeit der Leistung ab. Die Bildungsleistung des Fernsehens setzt normalerweise auf der Seite des Empfängers den Willen und die Bereitschaft voraus; vom Sender die rechte Darbietung des Stoffes, sei es im kulturvermittelnden Sinne, sei es als Dokument, sei es das anregende Spiel eines Films, sei es die spezifische Femsehgestal- tung, sei es einmal in Form einer Diskussion. Es gibt leider zu viele Diskussionen auf dem Bildschirm selbst, die sich lange hinziehen und am Ende eine Öde zurücklassen statt einer Erweiterung des Gesichtskreises, eines neuen Sachverständnisses, eines neuen Engagements für eine kulturelle, soziale, wirtschaftliche Angelegenheit, einer vorwärtsführenden Bewußtseinsveränderung,

Die Informationsexplosion, die wir haben (das ist nicht gleich mit der falsch zitierten Bildungsexplosion) soll uns mahnen, daß Information über einen Sachverhalt nicht der Sachverhalt selbst ist; muß uns warnen vor der Grenzüberschreitung zwischen Fortschritt und Gefahr in der gleichen Zurüstung: der Zugang zu philosophischen, spezialpolitischen, psychoanalytischen Theorien und Lehren, die früher ein Studium erforderten, das viele Unvorbereitete und Lemun- willige abhielt, wird heute durch optische Popularisierung über das Fernsehen wie mundgerecht auch denen angeboten, denen sie in Vereinfachung wasserklar erscheinen, ohne Gewähr, ob sie eingehen in die Person als Bildungsaufbau oder als Zerstörung — die zunehmende Zahl von Selbstmorden ist zum Teil auch auf die zuwenig beachtete geistige Überforderung zurückzuführen, die nicht verkraftet wird, sondern unglücklich macht.

Die Anregung zur weiterführenden Diskussion in einer Femseh- gruppe, im häuslichen Kreise, in einer Bildungsgemeinschaft ist wichtiger als eine überkomplettierte wortreiche Darbietung, die selten mediengerecht ist und deshalb nicht auf den Femsehschirm gehört.

Wird der Zweck des Hinaufsehens (analog dem Hinauflesen bei Benützung der Bücherei) des Fernsehens nach dem erprobten MAYA-Prinzip (most advanced yet acceptable) erreicht, fließt der Bildungsstrom richtig. Werden bloß die Augen be- beschäftigt, wird die Seele vernachlässigt und rächt es sich früher odei später im psycho-physischen Gesamtsystem.

Da wir unbestritten immer mehl Reize aufnehmen, mit denen wir zusehends weniger anfangen können, muß ein bildungswertes Fernsehen besonders die Möglichkeiten bedenken, einsichtig an der Bezugsordnung der Werte mitzubauen, die nicht mosaikartig die Grundstruktui der Person in die Unschärfe verzerrt, sondern in deren Höhen- und Breitenbezug das Schöpferische gedeihen läßt.

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