7209456-1992_25_09.jpg
Digital In Arbeit

DIE BAHN INVESTIERT IN DEN OSTVERKEHR

Werbung
Werbung
Werbung

FURCHE: Welche Konzepte gibt es für den Schienenverkehr nach Osten?

HEINRICH ÜBLEIS: Schon im März 1990 haben wir alle Maßnahmen, die die ÖBB im Bahn verkehr mit der CSFR und Ungarn in Angriff nehmen wollte, aufgelistet. Die Aufwendungen für Infrastruktur und rollendes Material werden vier bis fünf Milliarden Schilling betragen.

FURCHE: Ist davon schon etwas verwirklicht?

ÜBLEIS: Im Einvernehmen mit den Bahnverwaltungen der Nachbarländer haben wir mit dem Ausbau begonnen. Dabei gibt es einen großen Vorteil: Es sind viele Verbindungen vorhanden. Daher werden die erwarteten Güterströme aus dem Osten und Norden nicht geballt auf eine Linie konzentriert sein wie am Brenner. Die Bahn wird den Verkehr bewältigen.

FURCHE: Um welche Strecken handelt es sich?

ÜBLEIS: Da ist zunächst Ceske Budejovice-Linz. Hier gab es schon Investitionen in die Streckensicherung zur Erhöhung der Kapazität. Auf der Strecke Ceske Velenice-Gmünd-Wien wurde ein Elektrifizierungsprogramm (1,15 Milliarden) begonnen. Bis 1995 soll es abgeschlossen sein. Auch zwischen Retz und Hollabrunn wurde mit der Elektrifizierung (Kostenhöhe: 600 Millionen bis 1993) begonnen. Weiters haben wir die Strecke Wien-Hohenau-Brno zur Verfügung. Sie ist heute schon hochwertig und bedarf relativ geringer Investitionen (15 Millionen). Hier kann auch mit größeren Geschwindigkeiten - testweise auf österreichischer Seite 200 Km/h - gefahren werden.

FURCHE: Und Richtung Osten?

ÜBLEIS: Über Marchegg führen wir heute schon vier Zugpaare mit einer Fahrzeit von 69 Minuten Richtung Bratislava. Früher waren es zwei Stunden. Eine Ausweitung ist jederzeit möglich. Auch die Strecke über Wolfsthal soll reaktiviert werden. Sie soll mit einer neuen Strecke Parndorf-Kittsee-Bratislava (Aufwand 670 Millionen) verknüpft werden und wäre für den Güterverkehr besonders geeignet. Die Strecke nach Budapest wird schon ausgebaut. Derzeit sind neun gut ausgelastete Zugpaare eingesetzt. Die Verkehrszeit beim Eurocity „Lehar" liegt heute bei zwei Stunden 48 Minuten, nach dem Ausbau bei etwa zwei Stunden.

FURCHE: Wie realistisch ist der Bau der Süd-Ost-Spange?

ÜBLEIS: Das ist ein Projekt auf längere Sicht: keine Utopie, aber auch keine Dringlichkeit. Sie hängt von der Entwicklung im Osten ab.

FURCHE: Wird also vorwiegend in Infrastruktur investiert?

ÜBLEIS: Auch Loks und Waggons für den Ostverkehr sind schon bestellt, um das derzeit recht schlechte Wagenmaterial zu ersetzen. Auch neue Güterwagen sind anzuschaffen.

FURCHE: Wie sieht überhaupt die Situation beim Güterverkehr aus?

ÜBLEIS: Er ist gesunken. Man spürt die schlechte wirtschaftliche Lage im Osten. Dennoch beginnen wir schon mit der ersten rollenden Landstraße von Budapest nach Wels. Geplant sind weitere Strecken, etwa Sopron-Bren-ner. Diesbezüglich ist noch viel zu tun - vor allem auch organisatorisch. Es wurden schon Kombi-Gesellschaften gegründet. Gefunden werden muß auch ein Terminal in Grenznähe zur Tschecho-Slowakei.

FURCHE: Was unternehmen die Bahnverwaltungen der Nachbarn?

ÜBLEIS: Da sind die Bemühungen groß, aber es wird alles eine gewisse Zeit dauern. Problematisch ist natürlich die Finanzierung. Jedenfalls sind die Kontakte sehr gut und intensiv.

FURCHE: Kommt man damit einer Umschichtung auf die Straße zuvor?

ÜBLEIS: Ja, es darf uns nicht dasselbe passieren wie auf dem Brenner. Da hatte die Bahn im Transit einen Anteil von 70 Prozent im Jahr 1970. Und 1988 waren es nur mehr 21 Prozent! Gott sei Dank hat sich da seither einiges geändert. 1991 hat sich die Bahntonnage verdoppelt und ihr Anteil liegt jetzt bei 36,7 Prozent.

FURCHE: Sind Sie damit an der Kapazitätsgrenze der Bahn?

ÜBLEIS: Der Transitvertrag sieht vor, daß bis 1995 etwa 20 Millionen Tonnen zusätzlich auf die Schiene gebracht werden sollen. Um das zu bewerkstelligen werden derzeit um zehn Milliarden Schilling die Brenner-, die Tauem- und die Pyhrrnstrek-ke ausgebaut und große Mittel in die Westbahn investiert. Sobald die Umfahrung Innsbruck (Mai 1994) fertiggestellt ist, wird man täglich zusätzlich 70 Güterzüge in 24 Stunden über den Brenner führen können.

FURCHE: Wieviele sind das dann insgesamt über den Brenner?

ÜBLEIS: Rund 200 täglich ab Mai 1994. Die Züge kommen überwiegend aus Deutschland, Belgien, Holland. Es sind ganze Züge, mit Containern beladen etwa direkt aus Rotterdam. Aber es gibt auch Züge aus Ingolstadt bis zum Brenner, von München nach Verona, von Wels nach Mainz. Diese Verbindungen sind sehr gut im begleiteten Verkehr, als rollende Landstraße angenommen worden.

FURCHE: Zeichnet sich also ein Umdenken ab?

ÜBLEIS: Langsam nehmen die Spediteure und die Wirtschaft die Bahn wieder ernst. Noch fehlt es allerdings an Containern und an Terminals. Eines müssen wir etwa in Wien bauen, in Inzersdorf. Die betroffene Bevölkerung lehnt das ab. Seit Jahren suchen wir ein Terminal in Graz und hoffen auf eine baldige Entscheidung. Das erfordert auch mehr Waggons: Bis zum nächsten Jahr werden wir allein 1.360 Waggons anmieten.

FURCHE: Läuft die Modernisierung der Bahn fahrplanmäßig?

ÜBLEIS: Ja. In der ersten Studie zum Thema „Neue Bahn" war vorgesehen, im Jahr 2000 rund 61 Millionen Tonnen zu befördern. Nun, 1991 haben wir schon 64,7 Millionen (um zehn Millionen mehr als 1987, bis dahin waren die Werte rückläufig) befördert.

FURCHE: Und der Reiseverkehr?

ÜBLEIS: Bis 1989 verschlechterte sich der Fahrplan. Durch den Neuen Austrotakt haben wir seither 1.000 neue Züge eingeführt. Und auch hier beobachten wir einen Anstieg: von 158,3 auf 176,3 Millionen Fahrgäste (1991). Dieser Trend setzt sich heuer fort. Besonders groß ist der Zuwachs bei den Pendlern. Vor allem auf den Strecken Wien-St.Pölten, Wien-Wr. Neustadt. Zuwächse von einigen hundert Prozent gab es auch auf der Strek-ke nach Gänserndorf oder von Neusiedl/See.

FURCHE: Rechnet sich dieser Aufwand?

ÜBLEIS: Wir hatten in den ersten drei Monaten des NAT ein Plus von 10,5 Prozent (bezieht man die Tariferhöhung von 4,8 Prozent ein). Das hatten wir in den Jahren davor nie. Und die Frequenz steigt ständig. Diese Steigerung zu bewältigen, wird durch die verbesserte Infrastruktur von Jahr zu Jahr leichter. Wirklich „ideal" wird die Infrastruktur aber erst im Jahr 2000 sein.

FURCHE: Und die Rentabilität?

ÜBLEIS: Der Nahverkehr hat eine Kostendeckung von nur 67,5 Prozent, der Fernverkehr liegt bei 85 Prozent. Beim Güterverkehr sind Ganz- und Containerzüge kostendeckend. Die rollende Landstraße rechnet sich nicht, da schießt der Bund zu. Insgesamt deckt der Güterverkehr 71,5 Prozent der Kosten. Da wir aber gemeinwirtschaftliche Leistungen erbringen, bekommen wir dafür eine Abgeltung.

FURCHE: Wie liegt die ÖBB im internationalen Vergleich?

ÜBLEIS: Die EG hat Richtlinien über die Entwicklung der Bahnen erlassen: Es geht um höhere Wettbewerbsfähigkeit durch mehr Eigenständigkeit, um Entschuldung, um Öffnung. Bei uns ist da schon einiges geschehen. Das neue Bundesbahngesetz ist ein weiterer Schritt. Im internationalen Vergleich liegen wir gut. Eine französische Zeitschrift hat uns (ohne Frankreich einzubeziehen) nach zehn Kriterien an die fünfte Stelle gereiht. Im Vorjahr hatten wir den größten Zuwachs der Tonnagen in Westeuropa.

FURCHE: Und die Schattenseiten ?

ÜBLEIS: Wir haben noch viel Bürokratie. Da ist noch einiges abzubauen - auch beim Personal. Aber das geht alles nicht von heute auf morgen. Es braucht Zeit.

Mit dem Generaldirektor der Österreichischen Bundesbahnen (ÖBB) sprach Christof Gaspari

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung