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Die Bauern sind nicht mehr allein

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In ihrem Buch „Voraussagen der Wissenschaft bis zum Jahre 2000“ stellen die Zukunftsforscher Kahn/Wiener folgende Prognosen: Wohlstand und Freizeit nehmen zu; die Bedeutung der primären und sekundären Berufe, wie Landwirtschaft, Bergbau und Verarbeitungsindustrie, nimmt ab; die Veränderungen erfolgen rascher; die Verstädterung nimmt zu und riesige Stadtlandschaften werden entstehen. So nimmt man etwa an, daß die Hälfte der Gesamtbevölkerung der USA (heute 200 Millionen Menschen) um das Jahr 2000 in drei Riesenstädten vereinigt sein könnte. Dieser relativ starken Entwicklung in den Großstädten wird eine Rückständigkeit in den kleineren Städten und Landgebieten gegenüberstehen. Soweit die Prognose.

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In ihrem Buch „Voraussagen der Wissenschaft bis zum Jahre 2000“ stellen die Zukunftsforscher Kahn/Wiener folgende Prognosen: Wohlstand und Freizeit nehmen zu; die Bedeutung der primären und sekundären Berufe, wie Landwirtschaft, Bergbau und Verarbeitungsindustrie, nimmt ab; die Veränderungen erfolgen rascher; die Verstädterung nimmt zu und riesige Stadtlandschaften werden entstehen. So nimmt man etwa an, daß die Hälfte der Gesamtbevölkerung der USA (heute 200 Millionen Menschen) um das Jahr 2000 in drei Riesenstädten vereinigt sein könnte. Dieser relativ starken Entwicklung in den Großstädten wird eine Rückständigkeit in den kleineren Städten und Landgebieten gegenüberstehen. Soweit die Prognose.

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Eine im Jahr 1970 in der Bundesrepublik Deutschland durchgeführte Meinungsumfrage des Emnid-Insti-tutes Bielefeld ergab dagegen, daß 68 Prozent aller Bundesbürger in den achtziger Jahren am liebsten in Städten unter 50.000 Einwohnern leben wollen und lediglich 4 Prozent Verdichtungsräume von mehr als einer Million Einwohner vorziehen. Die „Flucht“ aus den Städten, den industriellen Ballungskernen hat bereits eingesetzt. Die Bedeutung des Landes als Erholungsraum wird zunehmend erkannt.

Mit der Konzentration der Bevölkerung und der Wirtschaft in den Ballungsräumen ist im ländlichen Raum eine Interessengemeinschaft entstanden, die durch die berufsständische Organisation in ihrer heutigen Form nicht voll abgedeckt wird. Gemeinsame Interessen gehen quer durch alle Berufs- und Bevölkerungsgruppen. Als Beispiel möchte ich auf den Finanzausgleich hinweisen. Er regelt die Verteilung des Steueraufkommens zwischen Bund, Ländern und Gemeinden. Hier ergibt sich eine deutliche Verflechtung der Interessen aller Berufsgruppen. Die Anliegen der Bauernschaft lassen sich dabei genausowenig von denen anderer Berufsgruppen trennen, wie etwa bei der Forderung nach einem breiteren Angebot an Bildungsmöglichkeiten, dem Wunsch nach raschen und sicheren Verkehrsverbindungen zwischen Wohnort und Arbeitsplatz, einer entsprechenden ärztlichen Versorgung, der Schaffung und dem Ausbau von Freizeiteinrichtungen und Sportanlagen, oder einer ausreichenden Energieversorgung. In all diesen Dingen gilt unser gemeinsames Bestreben einer Chancengleichheit für alle Menschen im ländliehen Raum, unabhängig von ihrer Berufszugehörigkeit. Neben der ausreichenden Versorgung mit öffentlichen Einrichtungen und Dienstleistungen, der „Infrastruktur“, ist für den ländlichen Raum die wirtschaftliche Entwicklung von ausschlaggebender Bedeutung. Nur eine Teilnahme dieses Raumes an der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung sichert seine Funktion als Wohn-, Wirtschafts- , und Erholungsraum. Regionalpolitik wird damit zum Umweltschutz. Die Agrarpolitik spielt heute nicht mehr die Rolle, die sie einmal gespielt hat. Neben ihrer Funktion als Nahrungsproduzent wird die Landwirtschaft in zunehmendem Maße als Träger der Erholungslandschaft, verbunden mit einer Schutzfunktion für Mensch und Wirtschaft anerkannt. Ein Beispiel, die Erdrutschkata-

„Die Folgen dieses Unwetters sind zu einem guten Teil darauf zurückzuführen, daß die Land- und Forstwirtschaft in den höheren Regionen nicht mehr intakt ist.“ (Stellungnahme von Bürgermeister Ingenieur Kerschbaumer.) Die Leistungskraft jedes Unternehmens und damit auch der Land- und Forstwirtschaft wird entscheidend von der Markt-, Preis-und Kostenpolitik bestimmt. Aber an der Spitze muß die Eigeninitiative stehen. Sie ist der Motor des Erfolges! Der große Agrarpolitiker Andreas Hermes hat einmal gesagt: „Zu allen Zeiten hat der Bauernstand die wechselvollen Schicksalsfragen, vor die er gestellt wurde, dann am besten gelöst, wenn er nicht auf Hilfe von außen wartete, sondern aus dem Bewußtsein der Eigenver-

C antwortung geeignete Wege zur t Selbsthilfe beschritt.“ Solche Wege der Selbsthilfe sind etwa das Genos-t senschaftswesen, der gezielte Ausbau i von Maschinen- und Beratungsrin-. gen, die Bildung von Vermarktungs-i gemeinschaften oder die Schaffung 1 eines Betriebshelferdienstes (als : Urlaubsvertretung, für den Einsatz I im Krankheitsfall oder bei Arbeits-l spitzen). Diese Eigeninitiative muß . aber in einer Preispolitik ihre . Unterstützung finden, die bei einer , menschenwürdigen Arbeitszeit auch einen entsprechenden Lebensstandard ermöglicht. Dabei sollen wir den

Mut haben zu sehen, daß die Preise in engem Zusammenhang mit den Möglichkeiten auf dem Markt stehen und unsere Anstrengungen daher in vermehrtem Maße auf eine „Beherrschung des Marktgleichgewichtes“ abgestimmt werden müssen.

Wir haben aber Gebiete, etwa bestimmte Bergregionen oder verschiedene Grenzbezirke, wo Fleiß, Eigeninitiative und Einsatz aller Kräfte nicht zum gewünschten Erfolg führen. Einfach deshalb, weil die betrieblichen Voraussetzungen kein ausreichendes Einkommen ermöglichen. Dort müssen andere Einkommensquellen in den Vordergrund treten. Besonders in den westlichen Bundesländern stellt der Fremdenverkehr eine günstige Erwerbsmöglichkeit dar. Neben einer gezielten und ausreichenden Förderung müßten aber die gewerberechtlichen Bestimmungen für die Privatzimmervermietung und die Verköstigung in Privatquartieren auf das unbedingt erforderliche Mindestmaß beschränkt werden. In anderen Gebieten ist wieder die Gewerbe- und Industrie-ansiedlung für die Schaffung von Arbeitsplätzen in zumutbarer Entfernung von vorrangiger Bedeutung. Ich denke dabei an das obere Waldviertel, an Teile des Weinviertels, an Südburgenland oder an die Süd- und Oststeiermark, selbstverständlich auch an gewisse Berggebiete. Besonders wichtig ist jedoch, daß die neuen Arbeitsplätze in zumutbarer Entfernung von den Wohnorten, also in Tagespendlerentfernung liegen. Mehrere Gründe sind dafür maßgebend:

Die Vermögensbildung in Arbeitnehmerhand rückt immer stärker in ien Mittelpunkt der Arbeitnehmerpolitik. Arbeitnehmer, die aus der Land- und Forstwirtschaft kommen and zu Hause noch einen Betrieb 'ühren, verfügen bereits über ein solches Vermögen. Nichts ist naheliegender, als die Voraussetzungen da-:ür zu schaffen, daß sie dieses Ver-nögen weiterhin behalten können.

Eine der Voraussetzungen dafür ist, daß sie täglich auf den Betrieb zurückkehren können, denn die Führung dieser Betriebe darf nicht auf Dauer zu einer unzumutbaren Arbeitsüberlastung der Frau führen.

Die tägliche Rückkehr ist auch Voraussetzung für die Aufrechterhaltung des Wohnsitzes auf längere Zeit; ist Voraussetzung für ein gedeihliches Familienleben. Dadurch wird auch eine entsprechende Siedlungsdichte in diesen Gebieten sichergestellt. Das erfordert eine ausreichende Versorgung mit öffentlichen Einrichtungen.

Damit bringen wir zum Ausdruci daß unseres Erachtens die Funk tionsfähigkeit des ländlichen Räume und damit auch seine Erholungs funktion nur dann gesichert werde: kann, wenn agrarpolitische un regionalpolitische Maßnahmen de: Familien, die haupt- oder neben beruflich einen land- und forstwirt schaftlichen Betrieb führen, ein zeitgemäße Einkommensentwicklun ermöglichen. Was wir brauchen, is eine gesamtwirtschaftliche Entwick lung des ländlichen Raumes. Henr; Ford hat einmal gesagt: Für de: Menschen unserer Zeit gibt es nu eine einzige Sicherheit: Wissen -Erfahrung — Können. Und ein chi nesisches Sprichwort sagt: „Gibst di einem Menschen einen Fisch, näht er sich einmal; lehrst du ihn da Fischen, nährt er sich ein ganzes Le ben.“ Der Ausbau der Bildungsein richtungen im ländlichen Raum be ginnt beim Kindergarten und geh bis zur berufsbildenden Schule. Da ist geradezu eine Lebensfrage für di Menschen in diesen Gebieten.

Vordringlich sind:

• Mehr berufsbildende Schulen!

• Die Errichtung von Internaten wo die Schulwege zu lang sind!

• Stärkere Betonung der kaufmännischen und betriebswirtschaftlicher Fächer in den Landwirtschaftsschu len! (Der Bauer soll nicht nur zi einem fachkundigen Landwirt ge schult werden, sondern zum Che eines Unternehmens, das er nacl kaufmännischen Grundsätzen de: modernen Unternehmensführung zi leiten versteht.)

• Spezieller Ausbau der Erwachsenenbildung, wobei dem Fernseher eine entscheidende Rolle zukommt Harkan Hedberg schreibt in dei „Japanischen Herausforderung“, dal man in Japan bereits 1959, als nui 10 Prozent der Haushalte ein Fernsehgerät besaßen, mit einem differenzierten Ausbildungsprogramm begann. „Wir werden mit jeder Stunde reicher, nicht zuletzt dank des Fernsehens“, meinen heute die Japaner Die zunehmende Anzahl nebenberuflich geführter Betriebe in dei Land- und Forstwirtschaft hat auch an die Beratung und Förderung neue Anforderungen gestellt. Ziel der. Beratungs- und Förderungstätigkeit in diesen Betrieben muß es sein, eine arbeitsparende Betriebsorganisation herbeizuführen. Um die Interessen der nebenberuflichen Land- und Forstwirte entsprechend wahrzunehmen, muß neben den Frauen und der Jugend eine bessere Repräsentanz dieser Berufsgruppe im Rahmen unserer Interessenvertretung und politischen Organisation angestrebt werden. Schließlich sehen wir immer mehr, wie vorteilhaft es wäre, unsere regionalpolitischen Aktivitäten auf Bundesebene besser zu koordinieren, denn neben der Politik der Länder ist die Bundespolitik für die wirtschaftliche und kulturelle Entwicklung eines Gebietes von ausschlaggebender Bedeutung. Etliche A.ufgaben fallen in die ausschließliche Zuständigkeit des Bundes.

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