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Die Benzinkuh

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Nur ein paar Grüne schrien „Hurra", ein paar Pensionisten machten erfreute Gesichter, sonst blieb die Begeisterung in engen Grenzen, als die Trachtenmusik-kapelle die Bundeshymne anstimmte und die Kameramänner des Fernsehens Mühe hatten, einige klatschende Hände ins Bild zu bringen.

Die Eröffnung der Fußgängerzone auf dem Autobahnabschnitt St. Pölten-Wien in beiden Gehrichtungen war trotzdem gut besucht. Das Interesse galt dabei freilich hauptsächlich der Regierungsdelegation, die in genagelten Wanderschuhen erschienen war, weil sie anschließend an den Festakt zu Fuß zu weiteren Festakten zu gehen hatte.

Das für den Sonntagabend von der Exekutive vorgesehene Überholverbot auf der AUFUZO in Richtung Wien mußte nicht verhängt werden. Die Fußgänger verhielten sich diszipliniert.

Die im wahrsten Sinne des Wortes schrittweise Umstellung Österreichs auf den geregelten Fußgängerverkehr, allerdings mit Mautpflicht für ehemalige Autobahnen, wäre klaglos vonstatten gegangen und das Ausland blickte bereits neidvoll wie immer auf die Insel der Seligen, die auch dieses Problem mit hohem Gewinn an Lebensqualität zu lösen imstande war, wenn nicht just in diesen Wochen der Landwirtschaft ein neues Zuchtprodukt gelungen wäre, welches der Motorisierung einen gewaltigen Rückschritt ins Zeitalter des Automobils versetzte.

Es begann mit verhältnismäßig harmlosem Ärger. Um die Maut auf der AUFUZO zu umgehen, aber auch den Ochsengespannen auf den Bundesstraßen auszuweichen, wanderten Fußgänger mitunter durch die Fluren. Die Landwirte befürchteten und beklagten Schäden.

In den Apotheken gab es damals noch vereinzelt Benzin um 250,— Schilling pro Viertelliter. Auf dem Wiener Mexicoplatz handelten verarmte OPEC-Scheichs jedoch Benzin zu 238,— Schilling pro Viertelliter schwarz. Es soll sich um minderwertige Qualität gehandelt haben. Die ÖMV hatte auf die Produktion von Back- und Puddingpulver umgestellt.

Obwohl die Regierung unablässig den Genuß von Milchspeisen propagierte, den Export von Käse und Butter hoch subventionierte und die Produktion von Trockenmilch auf Hochtouren lief, ergab sich zwischen Butterberg und Milchschwemme ein steigender Uberschuß. So mancher Bauer, dessen Mercedes im Stall verrostete, jammerte: Wenn doch die Kühe Benzin statt Milch gäben!

Eher durch Zufall als durch systematische Forschung, wie meistens bei der sogenannten Innovation, gelang eben dies eines Tages auf einer Alm in Tirol. Es wid behauptet, daß einige Kuwaitis, die sich völlig verarmt als Viehhirten verdingt hatten, die Hand im Spiel gehabt haben.

Die Details liegen im Dunkel.

Tatsache ist, daß die neuen Bergscheichs nicht nur goldene Kuhglocken verwendeten, sondern auf den Almen im Laufe der Zeit sogar Hubschrauber-Landeplätze anlegten.

Die Zucht und Vermehrung der österreichischen Benzinkuh gelang jedenfalls vorzüglich. Die Landwirtschaftskammer erwarb das OPEC-Gebäude am Ring, die Molkereien schlössen Lieferverträge mit der ÖMV, und binnen kurzer Zeit stieg das Ansehen der österreichischen Viehwirtschaft in einem noch nie dagewesener^ Ausmaß.

Die Autobahnen wurden für Fußgänger wieder gesperrt, die Tankstellen, die Wanderproviant verkauft hatten, nahmen ihre Zapfsäulen wieder in Betrieb, und die Apotheker und Schwarzhändler blieben auf ihrem teuren Benzin sitzen. Benzin gab's nun in Normalqualität zum Preis von Magermilch und Super zum Vollmilchpreis.

Hei, war das ein Start! Aus den Garagen und Schuppen, von Abstellhalden und Schuttplätzen wurden die Autos wieder herbeigeholt. Und selbst die Grünen, die mit schwächlicher Stimme vor der Zweckentfremdung und Denaturierung der Kühe gewarnt hatten, bestiegen eilig ihre Landrover, um ihre Ideen besser und schneller unters Volk zu bringen.

Die Umstrukturierung der vordem aufgeblähten Schuhindustrie in Autoreparaturwerkstätten und Leichenbestattungen gelang in kurzer Zeit. Die Politiker waren endlich wieder flott unterwegs. Die Energieluxussteuer wurde auf 85 Prozent angehoben, aber das störte niemand mehr.

Das einzige Problem war noch die Züchtung von Dieselöl-Kühen. Aber das müßte durch die großzügigen staatlichen Forschungsaufträge eigentlich bald zu lösen sein. An der Autobahn bei St. Christophen wurde das Denkmal des letzten Fußgängers enthüllt. Es war aus saurem-Re-gen-resistentem Material.

Und wenn sie nicht zu stoppen sind, dann fahren sie noch heute.

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