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Die Bibel bleibt Zentrum auch in Zeiten der Verwirrung

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Hat die Kirche heute nichts Besseres zu tun, als sich mit der Bibel zu beschäftigen? Das Konzil, das die Grundlage der vielfach anstoßerregenden „neuen“ Kirche von heute ist, erwähnt in allen 16 Dokumenten die Bibel als selbstverständlich vorgegebenes Zentrum, nach dem sich Theologie, Liturgie, geistliches Leben, Gebet, ja auch der Alltag zu richten haben. Bezeichnend ist die nahezu paradox anmutende Formulierung im 24. Artikel der Liturgiekonstitution: „Um daher Erneuerung, Fortschritt und Anpassung der heiligen Liturgie voranzutreiben, muß jenes innige und lebendige Ergriffensein von der Heiligen Schrift gefördert werden, von dem die ehrwürdige Uberlieferung östlicher und westlicher Riten zeugt.“

Erneuerung, Fortschritt und Anpassung, durchwegs Begriffe modernen Denkens, Begriffe, die zur Zeit gerade von konservativer kirchlicher Seite angegriffen werden, sind hier auf die Bibel zurückgeführt. Sie ist die große Lehrerin der Erneuerung, der Anpassung und des Fortschritts. Wird hier nicht deutlich, wie sehr unsere Gesellschaft von biblischem Denken geprägt ist? Aber auch wie wenig sich christliche Religionsgemeinschaften wesentlichem Gedankengut der Bibel ausliefern? Hört man nicht immer wieder von einer Proskynesis vor dem Zeitgeist, vor einem Angleichen an „diese Welt“ im Sinne von Römer 12, 2? Erneuerung der Kirche bedeutet nichts anderes als Buße im eigentlichen, biblischen Sinn von Umkehr, nicht aber Askese um der Askese willen zu betreiben, sondern den Menschen gegenüber offen zu sein, sich in Liebe ihnen anzupassen und mit ihnen mitzugehen.

Freilich — die Erneuerung bietet sich mancherorts nicht so dar, daß man die Intention des Konzils gleich vorstehen kann. Es gibt eine Kirchen- und vor allem eine Liturgieerneuerung, die nur „nach Vorschrift“ durchgeführt wird. Gewohnt, nach dem vom Konzil ausdrücklich verworfenen Prinzip vorzugehen, gerade noch das zu tun, was gültig und erlaubt ist, werden „die neuen Vorschriften“, mit denen man sich nicht näher auseinandergesetzt hat, „eingeführt“. Ungeschulte vorkonziliare Durchführungsorgane können auf diese Weise das vom Konzil Gemeinte völlig verdrehen, so etwa, wenn der ausdrücklich geäußerte Wunsch nach Schweigen im Gottesdienst mißachtet und einer unbeabsichtigten Uberaktivität Raum gegeben wird.

Pius Parsch, den man als Begründer der „Volksliturgie“ und einer volkstümlichen Bibelbewegung anerkennt, hat von Anfang an den Standpunkt vertreten, daß Liturgieerneuerung mehr sein muß als Ritusänderung. Er wandte sich energisch gegen gedankenlose Gesetzeserfüllung und enges Gebotsdenken. Alle Glieder der Kirche müssen sich auf das Wesentliche dieser Gemeinschaft besinnen. Das ist nur möglich, wenn man auf die Quellen, eben auf die Bibel zurückgreift.

So gesehen, kommt einem Bibelwerk in der nachkonziliaren Zeit eine besondere Aufgabe zu. Es geht um die Erneuerung der Kirche und aller ihrer Glieder von innen her und um den großen Nachholbedarf der Gläubigen bei der Auseinandersetzung mit der Heiligen Schrift. Das österreichische Katholische Bitoelwerk feierte kürzlich sein zehnjähriges Bestehen. Es wurde 1966 als kirchliches Institut mit öffentlichkeitsrecht von Kardinal König errichtet. Es untersteht der österreichischen Bischofskonferenz, in der es durch ein Mitglied vertreten ist.

In die Breite gehende Bibelarbeit ist in Klosterneuburg freilich älter: 1919 hielt Pius Parsch hier die erste Bibelstunde, 1950 gründete er nach dem Zweiten Weltkrieg das „Kloster-neuburger Bibelapostolat“, das der weit verbreiteten liturgischen Erneuerungsbewegung ideell zur Seite stehen sollte.

Der offizielle Charakter des heutigen Bibelwerks entspricht jedoch ganz der Zeit nach dem Konzil. Es wird damit dokumentiert, daß die Führung der Kirche hinter der charismatischen Erneuerungsbewegung steht. Das Bibelwerk wendet sich durch seine Mitarbeiter, durch seine Werbemittel an alle Menschen. Es bietet die Bibel in ihren vielfältigen Ausgaben an. Es ermuntert die Gemeinden zu Bibelwochen, Bibelsonntagen und Ausstellungen. Durch seine Veröffentlichungen, Bücher und Zeitschriften bemüht es sich, die Bibel zu erklären, und zwar immer unter konsequenter Anwendung der heutigen Methoden der Bibelwissenschaft. Neben der eigenen Produktion wird durch die Versandbuchhandlung des Bibelwerks wertvolle Literatur zur Bibel bekanntgemacht.

Uber Österreich hinaus hat das Bibelwerk dadurch Bedeutung, daß sich in seinem Büro in Klosterneuburg auch das Sekretariat der „Arbeitsgemeinschaft Mitteleuropäischer Bibelwerke“ befindet. Nach dem Konzil gibt es in den meisten Ländern, in denen die katholische Kirche vertreten ist, Bibelwerke, die aufs engste mit den traditionellen protestantischen Bibelgesellschaften zusammenarbeiten. Auch auf diesem Sektor gibt es in Österreich bedeutende Initiativen vor allem in der Veranstaltung von — bisher über 90 — Bibelausstellungen und in der Unterstützung von ökumenischen Bibelübersetzungen in den Missionsund Entwicklungsländern. Die Festschrift, die aus Anlaß des Jubiläums des Bibelwerkes innerhalb der Zeitschrift „Bibel und Liturgie“ erschienen ist, ebenso auch ein Symposion und ein Festakt im Schottenstift brachten neuerlich die Erkenntnis, daß „bibelpastorale“ Arbeit noch am Anfang steht. „Zeiten nach einem Konzil sind in der Kirche immer Zeiten der Verwirrung gewesen“, sagte der Trierer Professor Balthasar Fischer. In solchen Zeiten die Richtung beizubehalten, ist Aufgabe eines katholischen Bibelwerkes heute.

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